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Konflikt im Weltkulturerbe Cordoba
Moschee oder Kathedrale?

Die andalusische Stadt Córdoba lebt von ihrem maurischen Erbe. Die einstige Moschee gehört weltweit zu den größten Sakralbauten. Nach der Eroberung der Stadt durch die Spanier wurde eine Kirche eingebaut. Damit vereint das Bauwerk maurische und christliche Kultur, was besonders in Zeiten wachsender Kirchenkritik und islamistischer Bedrohung zu Konflikten führt.

Von Brigitte Kramer | 24.10.2014
    Zweimal täglich, sonntags viermal, wird in der Mezquita von Córdoba die katholische Messe gelesen. Das zentrale Kirchenschiff ist üppig mit Silber und dunklem Holz aus den einstigen Überseekolonien dekoriert. In seinem Plateresken Stil erinnert es an Zeiten, als Spanien eine Weltmacht war. In den Bänken vor dem Altar sitzen heute nur wenige Besucher, die meisten sind ältere Leute aus dem Viertel. Während Dekan, Geistliche und Gläubige singen und beten, bestaunen rings herum Touristen den berühmten Säulenwald der maurischen Gebetshalle. Ihretwegen steht die Moschee von Córdoba seit 30 Jahren unter UNESCO-Schutz.
    Beten dürfen nur Christen
    Beten dürfen dort nur Christen, denn verwaltet und unterhalten wird der Tempel vom Domherrenrat, einer Gruppe katholischer Geistlicher, die im Auftrag des Bischofs handeln. José Juan Jiménez ist einer von ihnen.
    "Die Kirche hat sich seit jeher um den Erhalt dieses Tempels bemüht, mehr noch, sie unterhält ihn komplett. Wir haben den 1200. Jahrestag der Gründung der ersten Moschee gefeiert, dieses Jahr feiern wir den 775. Jahrestag der Kathedrale, wir unterstützen die Feierlichkeiten zum Jahrestag des Unesco-Schutzes für das alte Judenviertel hier... Die Kirche ist immer bereit, zum Wohl Córdobas beizutragen, zu Wohl und Fortschritt der Stadt. Wir wissen, dass dieses Gebäude ein Symbol ist, es stützt die Stadt, nicht nur ihren Glauben, den Glauben der Katholiken von Córdoba, sondern auch ihre gesamte wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung."
    Vernachlässigt die Kirche das maurische Erbe?
    Nicht alle Cordobesen sehen das so. Unter den 320.000 Einwohnern der ruhigen Stadt am Guadalquivir verbreitet sich der Vorwurf, die Kirche tue zu wenig, um das maurische Erbe zu wahren. Sie verdrehe die Geschichte, heißt es, mindere den Wert muslimischer Architektur und Kultur. Im Jahr 2006 trug das Bistum die gesamte Anlage im Grundbuch als Besitz der Kirche ein. Die Einnahmen aus den Eintrittspreisen in Millionenhöhe werden nicht versteuert, Archäologische Ausgrabungen oder Forschungen im Archiv sind nicht gestattet. Fast 800 Jahre Verwaltung und die einstige Schenkung durch König Ferdinand III im 13. Jahrhundert berechtigte sie dazu, so das Argument des Domkapitels.
    Fast 400.000 Bürger haben nun spanienweit ein Dokument unterzeichnet, in dem sie die Übergabe des Tempels an den Staat fordern. Sie befürchten, durch die Verwaltung der katholischen Kirche verliere das Baudenkmal seinen Wert als Symbol friedlichen Zusammenlebens der Religionen. Anlass zur Sorge gibt die Tatsache, dass die weltberühmte Moschee den Besuchern neuerdings nur mehr als Kathedrale vorgestellt wird. Antonio Manuel Rodríguez hat die Bürgerbewegung "Mezquita-Catedral, öffentliches Kulturgut" gegründet. Auf der Römerbrücke, die zur Moschee führt, erzählt er.
    "In dem Moment, in dem die Bürger bemerkten, dass die Kirche ihr Monument vereinnahmte und seinen Namen geändert hatte, weltweit ist sie ja als Moschee bekannt, und dass sie plötzlich überall, an den Fassaden, auf Eintrittskarten, auf Faltblättern und Plakaten nur noch Kathedrale heißt, und als dann auch noch der Bischof in einer Predigt forderte, das Gebäude solle nur mehr Kathedrale heißen, in dem Moment wurde eine Grenze überschritten, die Grenze des Gedächtnisses und des Blutes."
    Die Jahrhunderte von Al Andalus
    Gedächtnis und Blut. Für den Aktivisten Rodríguez sind das zwei Begriffe, die zum Hintergrund des Streites führen. Ihm geht es dabei um die Identität der Andalusier, geprägt von Al Andalus, von 800 Jahren muslimischer Herrschaft. Rodriguez setzt sich für die Anerkennung dieses Erbes ein, das letztlich auch Europa geprägt hat.
    "Europa war über tausende von Jahren mediterran. Die Bewohner von Rom waren ebenso Europäer wie die von Alexandrien. Der Moment, in dem sich das ändert, ist der Moment der Glaubenskonflikte, der Religionskriege gegen den Anderen. Die Aussage europäisch ist gleich christlich ist furchtbar. Al Andalus gehört nicht den arabischen Ländern, Al Andalus ist ein europäisches Phänomen, die Bewohner waren keine Araber. Sie kamen hier in der Stadt zur Welt, wie ihre Väter und Großväter, sie kamen nicht aus Mekka oder Medina, sie stammten aus Córdoba. Und Córdoba ist so europäisch wie Berlin oder München."
    Europas Vielfalt spiegelt sich auch in der Volkskultur. Typisch spanische Formen wie die Osterprozessionen oder der Flamencogesang wurzeln in der multikulturellen Vergangenheit des Landes. Antonio Manuel Rodríguez:
    "Die typischsten Elemente spanischer Kultur stammen aus Andalusien. Sie sind Elemente des Widerstands gegen die christliche Eroberung. Zum Beispiel die bekannten Osterprozessionen mit ihrer Heiligenverehrung. Der Islam und das Judentum verbieten ja den Bilderkult. Mit den Prozessionen sagten die Konvertiten: Du kannst mich nicht töten, nicht verbrennen, siehst du nicht, dass ich Bilder verehre? Und dann singen sie Flamenco, felahikum, das heißt in andalusischen Arabisch die Musik der Landlosen. Wir sind die, denen sie ihr Land und alles weggenommen haben und wir singen immer noch, mit dem wohl universellsten Ausdruck von Schmerz, den ich kenne. Die Karwoche und der Flamenco sind direkte Erben des andalusischen Traumas, der Verleugnung, anders zu sein. Und sie sind bis heute lebendig."
    Die Drohungen der Islamisten
    Córdoba war lange Hauptstadt von Al Andalus und im 10. Jahrhundert eine der wichtigsten Städte der Welt. Rund eine halbe Million Juden, Christen und Moslem lebten hier. Radikale islamistische Gruppen kündigen nun immer wieder an, Andalusien zurückerobern zu wollen. Al Kaida sprach davon, Andalusien von Ungläubigen desinfizieren zu wollen. Und die Terroristen des Islamischen Staats träumen von einem Kalifat und kämpfen nach dem historischen Vorbild der islamischen Expansion des siebten und achten Jahrhunderts. Fühlt sich das Bistum von Córdoba bedroht?
    "Der Vorstoß des Dschihadismus ist sehr, sehr besorgniserregend. Seine Anhänger haben Al Andalus, und konkret Córdoba im Visier. Das macht mir persönlich, als Bürger, große Sorgen, unabhängig von meiner Konfession. In diesem Zusammenhang halte ich es für unverantwortlich, diese Debatte jetzt loszutreten. Ich glaube nicht, dass die Bürgerbewegung direkt mit dem Dschihadismus etwas zu tun hat. Aber das Ganze ist kontraproduktiv. Es stört den sozialen Frieden und das gesellschaftliche Gleichgewicht."
    Dschihadismus, sozialer Frieden und eigene muslimische Vergangenheit. Ein Spannungsfeld, mit dem sich in Córdoba ein Forschungsinstitut beschäftigt. Soziologe Fernando Aguiar:
    "Einerseits sind die Cordobesen stolz auf die große Vergangenheit ihrer Stadt, sie sind stolz auf das kulturelle Erbe und sie sind zufrieden, denn es bringt ihnen großen Gewinn, die Stadt lebt ja vor allem vom Tourismus. Ein Bewusstsein dafür, dass man es respektieren muss, weil es islamisch ist, das existiert nicht, schon gar nicht heutzutage, wo der Islam so negativ besetzt ist. Als diese radikalen islamischen Gruppen die Moschee zurückforderten, haben die Leute hier das sofort zurückgewiesen. Es gibt für sie keine Verbindung zwischen der muslimischen Vergangenheit und dem heutigen Islam, das ist vollständig abgespalten."
    Führt die Spur zu Franco?
    Der Soziologe deutet die Diskussion um die Moschee eher als Zeichen des veralteten Verhältnisses zwischen Kirche und Staat, eine Folge der national-katholischen Diktatur. Franco beherrschte das Land fast 40 Jahre lang, bis zu seinem Tod 1975.
    "Wir sprechen von einer Religionsgemeinschaft, die in Spanien viel Macht besitzt. Die Kirche betreibt hier viele Schulen, hat hohe Einnahmen, viele Gläubige und nicht zuletzt auch viele Stimmen. Besonders hier in Andalusien kann es viele Stimmen kosten, wenn man sich der Kirche in den Weg stellt. Die Kluft, die zwischen den Generationen unter 45 und über 45 existiert, ist ausschlaggebend. Erst wenn alle Generationen in der Demokratie geboren sind, wenn sie in der Demokratie ausgebildet wurden, in weltoffenen Schulen und Universitäten, in Europa gelebt haben, mit einem Erasmus-Stipendium im Ausland waren und eine bessere Ausbildung haben, erst dann wird es eine Mehrheit geben, die die Trennung von Kirche und Staat, von Kirche und Gesellschaft unterstützt. Heute hat die Kirche in fast allen Bereichen noch einen enormen Einfluss."