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Konflikt um Bergkarabach

Mit dem Zerfall der Sowjetunion eskalierte der schon lang schwelende Konflikt zwischen Armeniern und Aserbaidschanern: Am 19. Januar 1990 marschierten sowjetische Truppen in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku ein.

Von Tobias Mayer | 19.01.2010
    Im Mittelalter war Bergkarabach ein gemischt besiedeltes Gebiet. Armenier, Kurden, Araber und verschiedene Turkvölker hatten ihr Auskommen im Südkaukasus, wenn sich auch das Zusammenleben wohl schon damals nicht immer ganz friedlich gestaltete. Nach mehreren Einwanderungswellen waren um 1920 allerdings etwa 90 Prozent der Bewohner Bergkarabachs Armenier. Dennoch setzten sich in der Gründungszeit der Sowjetunion die aserbaidschanischen Interessen durch. Diese Bevorzugung der islamischen, turksprachigen Volksgruppe der Azeris gegenüber den christlichen Armeniern war ein Zugeständnis an die Türkei, mit der Russland gerade einen Friedensvertrag geschlossen hatte. Im Juli 1921 beschloss das Kaukasus-Büro der Kommunistischen Partei:

    "Ausgehend von der Unumgänglichkeit nationalen Friedens zwischen Muslimen und Armeniern und den wirtschaftlichen Bindungen zwischen Ober- und Unterkarabach verbleibt Bergkarabach innerhalb der Grenzen der Aserbaidschanischen SSR, wobei ihm eine großzügige Gebietsautonomie eingeräumt wird."

    Die Ansprüche der Armenischen Sowjetrepublik auf Bergkarabach fielen unter den Tisch, der Status als Enklave in Aserbaidschan war für die folgenden 70 Jahre zementiert. Als Mitte der 80er-Jahre der Einfluss der sowjetischen Zentralgewalt zu schwinden begann, besannen sich die Völker auf ihre kulturelle Identität und die alten Feindseligkeiten brachen wieder hervor.

    "Ohne Frage hat Gorbatschows Glasnost und Perestroika das nationale Bewusstsein geweckt. Auch in Aserbaidschan wurden die Menschen plötzlich sehend. Sie mussten erkennen, dass sie unerträglich schlecht lebten. Doch ihre geringe politische Kultur hinderte sie daran, die tieferen Gründe ihres Elends zu verstehen. Sie suchten die Ursachen nicht im System, sondern schauten nach Sündenböcken aus. Das waren dann die Armenier, wer sonst","

    ... berichtete der ARD-Korrespondent Roland Haug. Anfang 1988 verübten Aserbaidschaner im ganzen Land Pogrome an Armeniern. Gleichzeitig begannen massenhafte Vertreibungen von Aserbaidschanern aus Bergkarabach.

    Im Februar 1988 gingen die Menschen in Stepanakert, der Hauptstadt Bergkarabachs, zu Tausenden auf die Straße, für die Unabhängigkeit, wahlweise den Anschluss an Armenien. Auf dem Hauptplatz von Stepanakert lauschten die Demonstranten gespannt der Radioübertragung einer Ansprache des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow.

    ""Unsere Gesellschaft befindet sich in einer Zeit bedeutender Umgestaltung. Vom Erfolg der Perestroika ist das Schicksal des Sozialismus, unserer Heimat, ist unser Schicksal abhängig. Es ist dies die Stunde der Vernunft und Nüchternheit."

    Doch seine Appelle blieben ungehört. Das gegenseitige Morden ging weiter, die Flüchtlingsströme schwollen an. Aserbaidschan riegelte die Versorgungswege zu Bergkarabach ab. Als aserbaidschanische Nationalisten im Januar 1990 die Macht an sich reißen wollten, verhängte Gorbatschow den Ausnahmezustand und entsandte Truppen. In der Nacht vom 19. auf den 20. Januar 1990 marschierten 160.000 Soldaten der Roten Armee in Aserbaidschan ein und besetzten die Hauptstadt Baku.

    "Überall sind Schüsse zu hören. Die sowjetische Armee und aserbaidschanische Nationalisten liefern sich heftige Kämpfe. In der ganzen Stadt patrouillieren schwer bewaffnete Truppen. Der zentrale Platz von Baku ist umstellt. Schützenpanzer sind im Einsatz. Soldaten sperren wichtige Straßen ab."

    Gorbatschow konnte mit dieser militärischen Intervention weder den ethnischen Konflikt zwischen Armeniern und Aserbaidschanern entschärfen noch den zentralistischen Einheitsstaat am Leben erhalten. 1991 löste sich die Sowjetunion auf, Armenien und Aserbaidschan wurden unabhängig. Der Karabachkonflikt weitete sich ein Jahr später zu einem Krieg zwischen beiden Staaten aus. Die Bilanz: 20.000 Tote und bis zu 1,5 Millionen Vertriebene.

    Im Ergebnis hatte Armenien den ganzen Landstrich und noch etwas mehr eingenommen, fast 20 Prozent des völkerrechtlich nach wie vor zu Aserbaidschan gehörenden Gebietes. Seit 1994 herrscht ein Waffenstillstand in Bergkarabach, wo kein Azeri mehr wohnt. Zwar sprechen Armenier und Aserbaidschaner seit einiger Zeit wieder miteinander, doch eine Lösung ist nicht in Sicht.