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Konflikte um Jerusalem
"Religion ist potenziell gefährlich"

Juden, Christen und Muslime erheben Anspruch auf Jerusalem. Das führt oft zu Gewalt. Peter Schäfer, Direktor des Jüdischen Museums Berlin, plädiert für eine Unterordnung der Religion. Religionsführer müssten "das Primat der demokratischen Rechtsordnung anerkennen", sagte Schäfer im Dlf.

Peter Schäfer im Gespräch mit Andreas Main | 21.05.2018
    Peter Schäfer, Direktor des Jüdischen Museums in Berlin
    Peter Schäfer ist Direktor des Jüdischen Museums in Berlin und einer der renommiertesten Judaisten weltweit (Deutschlandradio / M. Hucht)
    Andreas Main: Im Dezember wurde im Jüdischen Museum in Berlin eine große Jerusalem-Ausstellung eröffnet. Sie hat den Titel "Welcome to Jerusalem". Diese Ausstellung habe ich hier in der Sendung bei "Tag für Tag", unseren Informationen "Aus Religion und Gesellschaft", besprochen - und zwar ausgesprochen positiv. Danach entspann sich ein Dialog mit Peter Schäfer, dem Direktor des Jüdischen Museums. An einem Punkt widersprach er meinen Einschätzungen. Sein Widerspruch kulminiert in diesem einen Satz, den ich jetzt einfach mal vorlesen möchte. Zitat: "Politik und Religion sind gerade hier in Jerusalem seit der Antike untrennbar miteinander verquickt. Diese unheilvolle Verquickung ist der Kern des Problems. " – Zitatende.
    Und dann haben wir uns verabredet, diese These zu vertiefen. Und nun ist es endlich so weit. Wir sitzen uns gegenüber in unserem Berliner Funkhaus, wo wir das Gespräch aufzeichnen. Peter Schäfer, einer der renommiertesten Judaisten weltweit, schön, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben. Guten Morgen, Herr Schäfer.
    Peter Schäfer: Guten Morgen, ich freue mich hier zu sein.
    Main: Fangen wir mal provozierend an, Herr Schäfer. Wenn Religion und Politik in Jerusalem von der Antike an miteinander verquickt sind, und wenn das eine unheilvolle Verquickung ist, die bis heute wirkt, dann können wir eigentlich unser Gespräch hier an dieser Stelle beenden, weil eh nichts zu retten ist.
    Schäfer: Das ist eine starke Aussage. Was ist zu retten? Was kann man tun? Was kann man tun, um diese unheilvolle Verquickung von Politik und Religion nicht zu beenden? Ich glaube, die lässt sich nie beenden, denn die ist eingegraben. Aber was kann man tun, um sie aufzulockern? Was kann man tun, um rational damit umzugehen?
    "Von Heiligkeit kontaminiert"
    Main: Sie bezeichnen die Verquickung von Religion und Politik ja wohl deshalb als unheilvoll, weil sie wie ein Brandbeschleuniger wirkt in den Konflikten von Juden, Christen und Muslimen. Versuchen wir das mal durchzudeklinieren anhand aktueller Beispiele, bevor wir vertiefend in die Antike schauen. Mal zum jüdischen Part. Welche Verquickung von Religion und Politik beobachten Sie in der jüdischen Welt, die ein friedliches Zusammenleben in der Region erschwert?
    Schäfer: In der jüdischen Welt heute, selbstverständlich. Jerusalem ist – will sein die Hauptstadt des Staates Israel. Jerusalem hat eine lange Tradition im Judentum und das Problem der Verquickung ist genau das, dass auch die anderen beiden monotheistischen Religionen ihre Ansprüche auf Jerusalem stellen.
    Blick auf den Felsendom und die Al-Aksa-Moschee in der Altstadt von Jerusalem.
    Jerusalem ist Heiligtum für drei Weltreligionen (AFP / Thomas Coex)
    Es hat mal jemand gesagt: "Es gibt kaum einen Ort der Welt, der so sehr von Heiligkeit kontaminiert ist, wie Jerusalem." Und ich finde, das trifft es sehr gut. Kontaminiert – einmal: Die Heiligkeit ist sozusagen überall. Aber zum anderen und vor allen Dingen: Die Heiligkeit ist umstritten. Wer darf denn sein Verständnis von Heiligkeit wo und wie ausüben? Denn diese Heiligkeit ist ja auch territorial. Das heißt, sobald wir Orte der Heiligkeit haben und diese Orte der Heiligkeit von anderen mit ähnlichen Argumenten beansprucht werden, haben wir ein Problem. Und dieses Problem haben wir in Jerusalem seit Beginn der Geschichte Jerusalems.
    Main: Aber würde man dem Judentum Jerusalem nehmen, würde man es nicht sozusagen entkernen und es würde sich in Luft auflösen?
    Schäfer: Das ist vielleicht etwas stark formuliert. Da müssen wir jetzt doch in die Geschichte gehen. Das Judentum ist ja eine Religion, die zunächst sehr stark auf den Opferkult im Tempel angelegt gewesen ist. Dieser Opferkult im Tempel ist mit der Zerstörung Jerusalems und des Tempels 70 nach Christus beendet worden. Seitdem gibt es keinen Opferkult mehr. Also man hätte erwarten können, dass das Judentum damit auch erledigt gewesen wäre. Jerusalem als Zentrum der Welt, als Zentrum des Judentums mit dem Tempel, der zwischen Gott und Menschen vermittelt, ist damit eigentlich, man kann fast sagen, erledigt gewesen. Aber ist es eben nicht.
    "Jerusalem ist nicht alles für das Judentum"
    Das Judentum hat den Wandel geschafft von der opferzentrierten Religion zu der Religion, die auf das Buch, auf die Tora konzentriert ist. Und mit diesem Wandel hat Jerusalem natürlich sich in eine ganz neue Epoche katapultiert. Allerdings darf man nicht übersehen, natürlich auch für dieses Judentum, das auf das Buch konzentriert ist, spielt Jerusalem eine ganz zentrale Rolle und wird immer eine ganz zentrale Rolle spielen, aber nicht in dem Sinne, wie es mit dem Tempel gewesen ist.
    Main: Aber jeder Jude hat doch das in sich und jede Jüdin genauso.
    Schäfer: Ja.
    Main: "Nächstes Jahr in Jerusalem."
    Schäfer: Richtig. Aber trotzdem, hat man auch mit Recht gesagt, ist das Judentum ein portables Judentum, das eben auch in der Diaspora als Judentum existieren kann. Also, es gilt beides. Ja, Jerusalem ist ganz zentral, aber Jerusalem ist nicht alles für das Judentum.
    Main: Verquickung von Religion und Politik: Schauen wir mal zum jüngeren Geschwisterkind, zum Christentum. Das scheint ja an dem Punkt etwas weniger politisch daher zu kommen, wobei es schon mehr oder weniger subtil kirchliche Einmischungen gibt, die als Israelkritik getarnt die Situation nicht einfacher machen. Also, auch an dieser Front, der Israelfront: Politisierte Religion auch in den Kirchen?
    Schäfer: Natürlich haben wir auch in den Kirchen politisierte Religionen, aber die haben wir auch nicht nur in Bezug auf Israel. Die haben wir in Bezug auf alles. Wenn wir das Verhältnis von Politik und Religion jetzt mal abgehoben von Israel betrachten, dann haben wir auch da eine ganz enge Bindung, eine ganz enge Verknüpfung von Politik und Religion, die sich in vielen Dingen äußert – Religion, christliche Religion äußert sich ständig auch zu aktuellen Fragen. Das heißt, wir kommen da in das Problem hinein des Verhältnisses von Staat und Kirche – das Verhältnis von Religion und Politik, die sich natürlich in Bezug auf Israel auswirkt, aber keinesfalls und keineswegs nur in Bezug auf Israel.
    Das heißt, auch da, auch im Christentum finden wir eine sehr enge Verknüpfung von Politik und Religion, die wir auch nicht so einfach auflösen können, indem wir sagen, machen wir eine radikale Trennung und dann ist alles wieder gut. So einfach geht das nicht. Man ist mit allen drei Religionen in einem ständigen territorialen, ideologischen, religiösen Konkurrenzkonflikt.
    "Man versucht zu delegitimieren"
    Main: Der Konkurrenzkonflikt – spielen wir den jetzt auch noch mit Blick auf den Islam an einem konkreten aktuellen Beispiel durch. Da gibt es Delegitimierungskampagnen, die so weit gehen, dass jüdische Wurzeln in Jerusalem geleugnet werden. Das macht der Großmufti von Jerusalem. Das macht auch der Palästinenserpräsident in öffentlichen Reden. Kein Journalist, kein Politiker kritisiert das dann öffentlich. Aufseiten der Muslime: Welche Zündeleien sind Ihnen in jüngster Zeit besonders aufgefallen?
    Schäfer: Also, zunächst mal: Man versucht in der Tat zu delegitimieren. Man versucht ganz stark das Judentum von dem Territorium abzukoppeln. Ich hatte vor Kurzem eine Diskussion im Jüdischen Museum und da hat mir eine Muslima gesagt: "Aber was wollen Sie? Jerusalem war nie das Zentrum des Judentums, in der ganzen Geschichte nicht." Und da habe ich gefragt: "Was war es denn? Was war denn das Zentrum?" Und da hat sie mir erzählt: "Akko – oben in …"
    Main: Bei Haifa.
    Schäfer: Bei Haifa, Akko. Wir haben uns lange darüber – ich habe auch nicht so richtig begriffen, was sie meinte. Am Ende habe ich vermutet, sie meint, in der Kreuzfahrerzeit spielte Akko eine große Rolle und hat deswegen Akko irgendwie im Kopf gehabt. Ja, es wird immer wieder versucht von palästinensischer Seite, diese enge Verbindung von Jerusalem, von Israel, des Territoriums vom Judentum abzukoppeln, was aber historisch natürlich völlig unsinnig ist.
    "Religion und Politik sind eigentlich immer verquickt gewesen"
    Main: Herr Schäfer, oft relativiert ja der Blick in die Geschichte aufgeladene politische oder religiöse Debatten. Versuchen wir das jetzt mal. Mit Blick in die Geschichte – wem würden Sie den Schwarzen Peter zuschieben? Wer ist ursächlich schuld an der Verquickung von Religion und Politik?
    Schäfer: Da gibt es keine Instanz, die ursächlich schuld ist. Religion und Politik sind eigentlich immer verquickt gewesen, in allen monotheistischen Religionen. Beginnen wir im Judentum vielleicht, ja. Im Judentum beginnt das Problem damit, dass wir ein Judentum haben, das sehr stark auf den Tempel konzentriert gewesen ist. Das heißt, der Hohe Priester spielt eine ganz große Rolle. Dann in der Geschichte die Richter. Und dann kommt irgendwann jemand auf die Idee und sagt dem Richter Samuel, wir möchten gerne auch einen König haben, wie die anderen Völker. Und dann sagt Samuel – spricht mit Gott und Gott ist nicht sehr begeistert von der Idee und auch Samuel nicht und sagt, ja, das ist keine gute Idee. Das wird wahrscheinlich schiefgehen, denn das geht ja gegen die Königsherrschaft Gottes. Aber er gibt da nach.
    Dann wird Saul König und das hat nicht funktioniert. Dann wird David König und das war auch nicht so ganz toll. Dann wird Salomo – also dann kommt das Königtum. Und von dem Moment an haben wir eigentlich in der gesamten jüdischen Geschichte die Konkurrenz zwischen König und Hohem Priester. Also, im Judentum ist diese Konkurrenz zwischen Politik und Religion von Anfang an angelegt gewesen und hat sich auch in der ganzen Geschichte fortgesetzt.
    Main: Und auch theologisch betrachtet: Wenn ich die hebräische Bibel, das Alte Testament, wenn ich es richtig verstehe, dann doch wohl dahin, dass dieser Gott ein Gott ist, der in der Geschichte wirkt. Ein Gott nicht nur von Individuen, sondern auch eines Volkes, einer Gruppe, die er begleitet und der er ein Land verspricht.
    Schäfer: Richtig. Und das ist genau das, was den Konflikt noch weiter verschärft. Diese Verheißung bezieht sich eben auch auf ein Territorium. Und damit haben wir dann wirklich alle Elemente dieser Konfliktsituation, die da in der Geschichte ständig sich wieder von Neuem ausgewirkt haben und explodiert sind.
    "Das Jüdische am jüdischen Staat - das wird nicht definiert"
    Main: Zumal sich das Judentum nicht nur als Religion versteht, sondern auch, na, sagen wir mal, als Ethnie oder als Volk. Seit wann ist das – das ist auch in der Antike begründet letzten Endes.
    Schäfer: Das ist schon sehr alt. Das ist natürlich schon in der Antike begründet. Als Problem wird das auch sehr deutlich sichtbar in der Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel von 1948. Da erklärt ja Ben-Gurion die Unabhängigkeit des Staates Israel. Und der entscheidende Satz ist: "Ein jüdischer Staat im Lande Israel." Nirgendwo wird erklärt, was denn eigentlich dieser – was heißt denn "jüdischer Staat"? Da wird hinterher gesagt – sehr, sehr fortschrittlich – das schließt ein, alle Menschen unterschiedlicher Rassen, unterschiedlicher Religionen, unterschiedlichen Geschlechtes, erwähnt ausdrücklich auch, dass die Araber willkommen sind in diesem jüdischen Staat.
    Nach der Unterzeichnung der Proklamationsurkunde am 14. Mai 1948 im Stadtmuseum von Tel Aviv hält eine nicht identifizierte Person das Schriftstück mit den Unterschriften in die Höhe, links David Ben Gurion, der erste Ministerpräsident Israels.
    David Ben Gurion, der erste Ministerpräsident Israels bei der Staatsgründung am 14. Mai 1948 (picture alliance / dpa)
    Aber was das Jüdische am jüdischen Staat ausmacht, das wird nicht definiert und nicht erklärt. Und das ist im Grunde auch das, was wir bis heute als Problem sehen. Denn danach sollte ja eine Verfassung kommen. Aber die Verfassung ist nie gekommen. Es gab einen kurzen Ausschuss, der die erste Knesset begründet hat, und dann hat man das aufgegeben, eine Verfassung zu entwerfen. Man hat dann diese sogenannten Basic Laws, Grundgesetze entworfen, die vom obersten Gericht als Art Verfassungsgrundsätze anerkannt worden sind, die also sozusagen immer weiter entwickelt werden, aber eine Verfassung gibt es nicht.
    Und diese Frage – was ist denn der jüdische Staat, was macht das Jüdische am jüdischen Staat aus –, die ist im Grunde bis heute der Kern des Problems, denn wir haben eine doppelte Gerichtsbarkeit. Wir haben eine Gerichtsbarkeit des Rabbinats mit Personenstandsgesetzen, Schabbat, all diese Dinge und wir haben eine säkulare Gerichtsbarkeit, die wiederum die anderen Dinge regelt. Und diese Spannung ist angelegt bis dahin, dass Orthodoxe zum Beispiel, wie wir alle wissen, versuchen in Bussen Geschlechtertrennung einzuführen, zu verhindern, dass Frauen auf Plakaten abgebildet werden dürfen oder die Frage stellen: Dürfen Frauen im Militär Männer befehligen? Alle diese Dinge sind hier angelegt in einem ungeklärten Verhältnis zwischen Theokratie und Demokratie.
    Main: Und darüber streitet die gesamte israelische Gesellschaft immerfort, zu jeder Tages- und Nachtzeit.
    Schäfer: Immerfort, zu jeder Tages- und Nachtzeit und das oberste Gericht greift immer wieder mäßigend ein. Es ist ein demokratischer Staat, ein demokratisches Gericht. Aber die Gegenkräfte sind sehr stark und die Gegenkräfte zielen auf die Verwirklichung einer eher theokratischen Gesellschaftsordnung. Und diese Spannung lässt sich so auch nicht auflösen.
    "Zuspitzung des Politischen im Christentum"
    Main: Sie haben jetzt doch einen Ausflug von der Antike in die Gegenwart gemacht, ein ausgesprochen spannender Ausflug. Aber ich möchte jetzt noch mal zurück auf die Christen und in die Antike. Da haben wir einen Moment, wo aus einer reform-jüdischen Bewegung ein Jude namens Jesus von Nazareth eine – nennen wir es mal – jüdische Sekte begründet. Später wird daraus eine Art Staatskirche. Mit welchen Folgen für Jerusalem?
    Schäfer: Genau das ist ja auch da wieder das Problem, das wunderbar zeigt die Verquickung von Politik und Religion. Genauso ist es, wie Sie gesagt haben. Eine jüdische Sekte. Das Judentum in der Zeit war ein Judentum, das sich ja nach der Zerstörung des Tempels und Jerusalems ganz auf die Tora konzentriert hat. War wenig bedeutsam, politisch, sowohl im Lande als auch außerhalb des Landes. Das Christentum setzt sich langsam immer mehr durch und setzt sich natürlich mit großem Knall in dem Moment durch, in dem es zur Staatskirche wird.
    Und in dem Moment wird der Konflikt, der ja im Christentum selbst angelegte Konflikt des Verhältnisses zwischen Christentum und Judentum, wird dieser Konflikt in einer Weise politisiert mit unendlich tragischen Folgen für das Judentum. Denn dann kann das Christentum in Form des Staates in die jüdischen Belange eingreifen und tut es auch. Und tut es immer mehr. Dieser Umschwung, diese Zuspitzung des Politischen im Christentum war von großem, großem Schaden und Nachteil für das Judentum und ist es eigentlich immer gewesen in der ganzen Geschichte dann.
    Main: Eine Verschärfung dieser Konfliktlage, dieses Konkurrenzverhältnisses zwischen den großen Religionen erfolgt auch dadurch, dass ein halbes Jahrtausend später die muslimische Religion entsteht. Eines der wichtigsten islamischen Heiligtümer ist Jerusalem – so heißt es immer – obwohl Religionsgründer Mohammed ja wohl nie in Jerusalem gewesen sein kann, wenn wir nicht Glaubensgeschichten als historisch interpretieren, dass er mit einem Pferd in den Himmel geritten ist. Also, wieso diese Fixierung auf Jerusalem auch im Islam seit den Anfängen?
    Schäfer: Das haben Sie gerade sehr schön gesagt. Und das ist aber der Punkt. Wir müssen Glaubensgeschichten historisch ernst nehmen. Glaubensgeschichten werden historische Fakten und an denen kommen wir nicht vorbei. Also, wir können natürlich sagen, aufgeklärt, das ist eine Geschichte, wie soll das denn passiert sein. Wir wissen ja, dass es ursprünglich eine Reise zwischen Mekka und Medina gewesen ist. Dann soll er nach Jerusalem gekommen sein. Und dann soll er in Jerusalem mit seinem Pferd Buraq, soll er in den Himmel aufgefahren sein.
    Gemälde von Mohammed, vom Kopf bis zu den Knien vor grauem Himmel, in weißem Gewand, mit schwarzem Bart und weißem Kopftuch, in seiner Hand hält er einen Bogen Papier hoch.
    Der Prophet Mohammed soll auch Jerusalem besucht haben (imago/stock&people)
    Aber das ist eine Glaubensgeschichte von unendlicher historischer Bedeutung und damit Wirklichkeit. Glaubensgeschichten werden Wirklichkeit. Und genau diese Glaubensgeschichte, die zu Wirklichkeit geworden ist, die bedingt und nur die bedingt die Heiligkeit Jerusalems für Muslime. Jerusalem ist deswegen und auch, weil die al-Aqsa-Moschee – gilt als das dritthöchste Heiligtum des Islam, das kommt noch dazu –, aber diese Geschichte mit Mohammed und dem Pferd, das ist eine historische, Wirklichkeit gewordene Glaubensgeschichte, ob wir es wollen oder nicht.
    Main: Also, müssen wir akzeptieren: Für drei Religionen ist ein Ort heilig. Damit müssen wir leben.
    Schäfer: Damit müssen wir leben und daran kommen wir auch nicht vorbei.
    Laizismus "funktioniert in vielen Dingen nicht"
    Main: Jetzt haben wir die Verquickung von Religion und Politik aktuell und historisch durchdekliniert. Was machen wir nun? Eine Lösung wäre ja, Religion zurückdrängen, sie womöglich sogar bekämpfen. Was halten Sie von diesem Weg?
    Schäfer: Es gibt ja verschiedene Modelle, wie man versucht hat, das Verhältnis von Politik und Religion zu klären. Schauen wir auf unsere Länder in Europa. Das radikalste Modell ist Frankreich. Ein strikt laizistischer Staat, klare Trennung, keine Diskussion sozusagen.
    Main: Ich sage, das funktioniert.
    Schäfer: Sagen Sie.
    Main: Es gibt auch Gegenpositionen.
    Schäfer: Ja. Ich sage, das funktioniert in vielen Dingen nicht. Es gibt Stimmen, die meinen, dass genau diese Striktheit der Trennung dazu geführt hat, dass sich religionspolitische, religiöse Probleme eher verschärfen, stärker virulent in Frankreich geworden sind also woanders. Darüber kann man streiten.
    Was wollen wir uns sonst noch angucken? Gucken wir uns Deutschland an. Deutschland – ist das Christentum keine Staatskirche, aber wir haben Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechtes anerkannt. Wir haben Konkordatsverträge. Also, wir haben eine Mischform in Deutschland. Und wie funktioniert das in Deutschland? Da bin ich mir auch nicht so sicher, dass das so super funktioniert. Kein Land hat bisher ein Modell gefunden, in dem das so richtig wirklich funktioniert.
    "Immer stärkeres Gewicht der Religionen"
    Main: Die Vereinigten Staaten – Sie haben lange in Princeton, einer Elite-Universität, gelehrt und geforscht. Da haben wir die Situation – ist es das 13. oder 14. Amendment? 14th Amendment, in dem eben gesagt wird, der Staat verhält sich religionsneutral, lässt alle Freiheiten, befördert aber auch nicht. Wir haben eine religiöse Vielfalt und wie ist es mit den Religionen aus Ihrer Sicht?
    Schäfer: Und wie klappt denn das mit dieser wunderbaren Bestimmung? Wir sehen doch in den USA ein immer stärkeres Gewicht der Religionen – in allen Bereichen. Gerade auch der …
    Main: Aber als Privatsache.
    Schäfer: Als Privatsache? Gucken Sie sich mal die Politiker an, die in Amerika das Sagen haben. Das ist doch keine Privatsache mehr. Also, wir haben theoretisch das wunderbar geregelt, aber faktisch ist es teilweise schlimmer als woanders. Also, ich finde, das ist gerade kein leuchtendes Beispiel für das Funktionieren einer Trennung von Staat und Religion.
    Ich würde es so formulieren: Überall kann man versuchen, Staat und Religion institutionell so weit wie möglich zu trennen, aber das Religiöse und das Staatliche als Grundbedingungen einer menschlichen Konstitution lässt sich nirgendwo wirklich radikal trennen. Und deswegen kann eigentlich der Staat nur dafür sorgen, dass das Potenzial der Gefährlichkeit in der Religion – denn die Religion ist potenziell gefährlich –, dass dieses Potenzial eingegrenzt wird, und dass dieses Potenzial ständig austariert wird im Verhältnis zwischen demokratischen Grundrechten und religiösen Ansprüchen.
    "Den Staat in Richtung einer Theokratie drängen"
    Main: Wie müsste das – um bei unserem Thema zu bleiben – in Israel, in Jerusalem geschehen, damit eben diese Konflikte nicht weiter eskalieren, sofern das noch möglich ist?
    Schäfer: Indem man klarmacht und durchsetzt, dass Grundsätze, die durch den Glauben vorgegeben sind – den Glauben der unterschiedlichen Religionen vorgegeben sind, mit unterschiedlichen Konsequenzen in den unterschiedlichen Religionen, dass diese Grundsätze immer im Einklang sein müssen mit einer demokratischen Rechtsnorm des Staates. Das heißt, dass der Staat, die demokratische Rechtsnorm des Staates, immer den aus dem Glauben sich ableitenden Prinzipien übergeordnet sein muss und niemals untergeordnet werden darf. Und das muss man durchsetzen.
    Main: Es wäre womöglich auch eine Aufgabe für die Religionsvertreter, denn Sie haben jetzt eben vom Staat gesprochen…
    Schäfer: Ja.
    Main: … eine Aufgabe für die Religionsvertreter zu sagen: Schauen wir doch mal hin, wo wir unsere Religion entpolitisieren könnten. Wäre das auch eine Strategie?
    Schäfer: Absolut. Entpolitisieren könnten, auch versuchen könnten in Kleinigkeiten, in alltäglichen Bereichen uns genau anzusehen: Wie sind unsere Ansprüche in Einklang zu bringen mit den Ansprüchen des demokratischen Staates? Und nicht versuchen letztlich den Staat zu drängen in Richtung einer Theokratie, sei es einer jüdischen Theokratie, sei es einer muslimischen Theokratie.
    Der iranische Präsident Hassan Ruhani
    Eine Theokratie wie im Iran soll für Israel keine Lösung sein (AFP / Iranian Presidency)
    Eine christliche Theokratie haben wir längst hinter uns gelassen. Das ist das geringste Problem. Aber jüdische und muslimische – das Musterbeispiel einer muslimischen Theokratie können wir im Iran beobachten. Da haben wir das ja genau. Und es gibt Kreise auch in Israel, ultraorthodoxe Kreise, die versuchen auch da den Staat zu drängen in Richtung auf eine jüdische Theokratie. All diese Dinge müssen vom demokratischen Staat unter Kontrolle gehalten werden.
    "Das Primat der demokratischen Rechtsordnung anerkennen"
    Main: Und womöglich auch von den Religionsführern, die sich womöglich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren sollten und sich um den Glaubensverlust in den eigenen Reihen kümmern sollten, anstatt sich in Politik einzumischen und zu versuchen, die Gesetzgebung im Sinne einer Religion zu beeinflussen.
    Schäfer: Völlig richtig. Dann werden natürlich diese Religionsführer immer wieder fragen: Ja, was sind denn die Bereiche, auf die wir uns zurückziehen dürfen? Und natürlich müssen und dürfen Religionsführer auch zu aktuellen politischen Fragen Stellung nehmen. Selbstverständlich. Aber sie müssen immer das Primat der demokratischen Rechtsordnung anerkennen, als übergeordnet anerkennen.
    Main: Der Judaist Peter Schäfer war das, lange Jahre Professor in den USA und heute Direktor des Jüdischen Museums in Berlin. Herr Schäfer, ganz herzlichen Dank für Ihr öffentliches Nachdenken über Ihren Satz, Zitat: "Politik und Religion sind gerade hier in Jerusalem seit der Antike untrennbar miteinander verquickt. Diese unheilvolle Verquickung ist der Kern des Problems." Danke dafür.
    Schäfer: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.