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Konfrontationspunkt Kaliningrad (4/5)
Ein deutscher Landwirt macht sich Sorgen

Bankrotte Unternehmen, kaputte Betriebe - nach dem Ende der Sowjetunion lag die Wirtschaft im Kaliningrader Gebiet am Boden. Ein deutscher Landwirt hat einen der Höfe wiederbelebt. Angesichts der aufgeheizten politischen Stimmung fühlt er sich inzwischen nicht mehr wohl in der russischen Exklave.

Von Gesine Dornblüth | 12.04.2018
    Der deutsche Landwirt Thassilo von der Decken steht auf seinem Hof in der Nähe von Gusew im Kaliningrader Gebiet vor seinen Kühen
    Der deutsche Landwirt Thassilo von der Decken bewirtschaftet 2.000 Hektar Land bei Gusew im Kaliningrader Gebiet. Von Deutschtümelei hält der 60-Jährige wenig. (Deutschlandradio/ Gesine Dornblüth)
    Thassilo von der Decken fährt auf seinen Hof in der Nähe von Gusew. Die Kleinstadt liegt nahe der litauischen und polnischen Grenze. Der frühere, ostpreußische Name, Gumbinnen, steht auf einer Häuserfassade im Stadtzentrum. In den 1990er-Jahren unterstützte die Bundesregierung in dieser Gegend noch Russlanddeutsche, damit diese nicht in die Bundesrepublik kommen, erzählt von der Decken. Er leitete damals eines der Projekte:
    "Naja, wissen Sie, so ein bisschen nach dem Motto: Geben wir da mal einen Fußball hin, aber ohne Sportplatz. Sie können ja auf der Wiese ein bisschen spielen, und vielleicht finden die Leute das so interessant, dass sie da bleiben. Das war der Ansatz. Sprich also wir haben den Leuten beigebracht, wie man Landwirtschaft macht."
    Faible für Osteuropa
    Von der Decken hat selbst Landwirtschaft studiert. Er war Entwicklungshelfer in Afrika. Dort lernte er auch seine russische Frau kennen. Sie war ein Grund, dass er gern nach Kaliningrad kam. Außerdem hatte er in den 80er-Jahren in Polen studiert und ein Faible für Osteuropa.
    Die Rechnung der Bundesregierung für Kaliningrad ging nicht auf - die meisten Russlanddeutschen zogen am Ende doch weiter nach Deutschland. Von der Decken blieb, machte seinen eigenen Betrieb auf:
    "Das hier ist eine ehemalige Kolchose, die wie alle anderen in den 90er-Jahren langsam in die Däbbere ging."
    Er fährt an einer neuen chromfarbenen Anlage vorbei. Hier wird Getreide getrocknet. Der Deutsche bewirtschaftet 2.000 Hektar Land, beschäftigt 30 Mitarbeiter. Als er Ende der 90er-Jahre als Landwirt anfing, waren Polen und Litauen auf dem Weg in die EU. Von der Decken hoffte, das Kaliningrader Gebiet werde irgendwie davon profitieren.
    "Für uns wäre es ja ideal, wenn wir in unsere Nachbarländer das Getreide zum Beispiel exportieren könnten, und, keine Ahnung, die würden uns was auch immer, Hühnchen oder Schweine oder sonst was wieder liefern. Das ist ja alles nicht möglich, weil wir in einem anderen Wirtschaftsraum sind. Und das hat nichts mit der aktuellen Situation zu tun, das war vorher schon so."
    "Dann fresst doch Euer Getreide selber"
    Durch die Sanktionen nach der Krim-Annexion hat sich die Lage aber noch einmal verschlechtert. Norwegen zum Beispiel kaufte früher Getreide aus Kaliningrad für die Fischzucht und exportierte Lachs nach Russland. Weil Norwegen aber die EU-Sanktionen gegen Russland unterstützt, kauft Russland im Gegenzug keinen Fisch aus Norwegen mehr.
    "Und daraufhin sagen dann die Norweger: Embargo hin oder her, dann fresst doch euer Getreide selber."
    Von der Decken hält vor einem langen, flachen Betonbau: "So, nun sind wir am Kuhstall angekommen. Hier stehen unsere Milchkühe." 180 Kühe drängen sich im Außengatter. Drinnen stehen junge Kälber in Laufställen.
    "Wie wir das hier übernommen haben, war das alles in einem abenteuerlichen Zustand. Das Wasser lief durch die Dächer, und die Viecher standen angebunden mehr oder weniger im Dreck. Das haben wir alles entkernt, alles rausgerissen."
    Ein Angestellter fragt nach einem Ersatzteil. Eine Wasserleitung ist kaputtgegangen.
    Ferngehalten von Reaktionären aus Deutschland
    Nach dem Ende der Sowjetunion kamen viele Glücksritter, Abzocker und rechtsgesinnte Reaktionäre aus Deutschland in die Region, einige davon Nachfahren von Vertriebenen. Von denen habe er sich tunlichst ferngehalten, erzählt von der Decken. Er selbst hatte zwar eine Oma, die in Königsberg geboren wurde; sie heiratete aber lange vor dem Krieg nach Niedersachsen.
    Von Deutschtümelei hält der 60-Jährige wenig, Germanisierung betreibt er allenfalls in der Viehzucht: Er kreuzt die hiesige Kuhrasse mit Holsteiner Schwarzbunten, das steigert den Milchertrag.
    Sein Büro hat von der Decken im Gebäude der ehemaligen Kolchosverwaltung eingerichtet. Vor dem Haus fahren zwei Arbeiter auf dem Fahrrad vorbei. Rundherum ist es ruhig. Ein Idyll. Hier in der Gegend, um die Kleinstadt Gussew herum, sind viele Uniformierte zu sehen. Hier sollen auch die Iskander-Raketen stehen, vor denen westliche Sicherheitsexperten warnen. Wo genau, weiß kaum jemand. Auch von der Decken schüttelt den Kopf: "Ist auch besser, es nicht zu suchen, glaube ich."
    Stadtansicht von Gusew in der russischen Exklave Kaliningrad
    Die Kleinstadt Gusew in der russischen Exklave Kaliningrad: In der Gegend sollen auch die Iskander-Raketen stationiert sein, von denen sich die NATO-Staaten bedroht fühlen (Imago)
    Gefährlicher Patriotismus
    Er komme gut mit den Leuten hier aus – trotz der aufgeheizten politischen Stimmung, sagt von der Decken. Allerdings sei die Atmosphäre früher viel freundlicher gewesen.
    "'Eure Merkel begreift wohl nicht, worum es geht' - das ist natürlich das, was man jetzt immer mehr hört. Es ist also nicht aggressiv, aber es ist enttäuscht. Und zwar zu einem so hohen Maße enttäuscht, dass es nun eigentlich auch keine, auch mit Freunden, befruchtenden Diskussionen mehr gibt. Sondern nun hat man seinen Standpunkt, und der ist hochpatriotisch."
    Dieser Patriotismus beunruhigt ihn, der russische ebenso wie der in den westlichen Ländern. Und vom Erfolg der nationalistischen PiS-Regierung in Polen ist er besonders enttäuscht:
    "Das bin ich im großen Sinne, obwohl ich Polen-Fan bin und eben finde, dass die Polen eigentlich den großen Anstoß und Auslöser gegeben haben, dass der Eiserne Vorhang gefallen ist. Und dieser Patriotismus, der in manchen Ländern eben zum Nationalismus geworden ist, am Anfang fand ich das befremdlich, und inzwischen finde ich es gefährlich."
    Richtig wohl fühlt sich von der Decken im Kaliningrader Gebiet nicht mehr. Bleiben will er trotzdem.