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Konjunktur
"Euro-Schwäche nicht überbewerten"

Der Bankenexperte Michael Kemmer hat Ängste vor den Folgen des schwachen Eurokurses zurückgewiesen. Die derzeitige Lage bedeute keine große Katastrophe, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken im DLF. Vielmehr habe die Euro-Schwäche auch Vorteile.

Michael Kemmer im Gespräch mit Dirk Müller | 23.02.2015
    Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken, Michael Kemmer, gestikuliert während eines Pressegespräches.
    Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken, Michael Kemmer (imago / Jakob Hoff)
    Kemmer erklärte, dass die gegenwärtige Euro-Schwäche nicht überbewertet werden sollte. Der niedrige Kurs sei vielmehr mit der Stärke des US-Dollars zu begründen, sagte er. Die Euro-Schwäche habe auch eine positive Seite: Importe würden teurer, Exporte billiger, wodurch die Konjunktur angekurbelt werde.
    Kemmer verwies darauf, dass die Volatilität des Euros normal sei. Es habe schon immer Schwankungen im Kurs gegeben. Als der Euro eingeführt wurde, sei die Währung noch schwächer dotiert gewesen. Dennoch stellte Kemmer klar, dass die Bankenbranche keinen schwachen Euro anstrebe.

    Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Michael Kemmer:
    Dirk Müller: Gelöst ist das Ganze noch lange nicht. Griechenland droht noch immer die Staatspleite. Weit über 300 Milliarden Euro Gesamtschulden, ein Haushaltsdefizit, das Italien und Frankreich dagegen brillant aussehen lässt, eine Arbeitslosigkeit, die vor allem unter Jugendlichen in vielen Regionen bei über 60 Prozent liegt, Millionen leben am Existenzminimum. Eine neue Regierung, die viel versprochen hat, die auf Konfrontation gesetzt hat und jetzt seit diesem Freitag offenbar eingeknickt ist vor der Phalanx der Europäer, oder vielleicht auch nur diplomatisch eingelenkt hat. Die Kredite sollen vier Monate länger laufen, wenn die Reformvorschläge aus Athen denn die Europartner zufriedenstellen.
    Der Euro selbst, wenn er denken könnte und wenn er gucken könnte, schaut sich wohl das ganze Spektakel seit Jahren an und dürfte äußerst frustriert sein, denn sein Ansehen, sein Wert fällt und fällt weltweit und damit fällt auch das Vermögen der Bürger Europas. Am Telefon ist nun Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der deutschen Banken. Guten Morgen.
    Michael Kemmer: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Kemmer, muss Griechenland raus, damit der Euro bleiben kann?
    Kemmer: Nein, überhaupt nicht. Griechenland soll in der Eurozone bleiben. Die Eurozone ist auf Unumkehrbarkeit angelegt. Das gilt auch für Griechenland. Wir sollten alles dafür tun, dass die Eurozone so bleibt wie sie ist. Das ist sehr wichtig. Die Eurozone bringt Wohlstand, die Eurozone nützt allen, sie nützt den Griechen am meisten, sie nützt auch den Deutschen. Nein, Griechenland muss unbedingt drin bleiben.
    Müller: Ein fatalistisches Argument, oder aus Überzeugung?
    Kemmer: Aus Überzeugung. Da ist für Fatalismus kein Platz. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Euro eine gute Sache ist, und sobald ein Mitglied rausbrechen würde, hätten wir ein Problem der Glaubwürdigkeit, hätten wir ein Gesamtproblem. Nein, wir müssen alles daran setzen, damit die Eurozone geschlossen bleibt.
    Müller: Und was sagen Sie denjenigen, die Euros in der Hand halten und dann feststellen müssen, dass sie weniger wert sind als früher?
    "Außenwert des Euro ist gesunken"
    Kemmer: Der Außenwert des Euro ist gesunken. Das hat aber schon damit zu tun, dass beispielsweise in Amerika die Konjunktur hervorragend läuft. Das heißt, es ist mehr eine Dollarstärke als eine Euroschwäche. Außerdem ist der Euro ja eine starke Binnenwährung. Das heißt, die Kaufkraft des Euro bemisst sich ja auch an dem, was sie in den einzelnen Euroländern wert ist. Ich würde diese gegenwärtige Euroschwäche nicht überbewerten. Wie gesagt, es ist mehr eine Dollarstärke als eine Euroschwäche. Ich glaube, dass wir da auch wieder rauskommen.
    Müller: Aber vor ein paar Jahren konnte man sich beispielsweise in New York oder wo immer in den Vereinigten Staaten ganz getrost einen Hamburger und einen Hotdog leisten. Inzwischen bekommt man 1,12 Dollar, 1,13 Dollar dafür. Ist das ein dramatischer Wertverlust, wird der heruntergespielt hier in Europa?
    Kemmer: Das ist natürlich nicht schön für denjenigen, der sich in New York einen Hamburger kaufen will. Da haben Sie völlig Recht. Das ist aber natürlich für den ganz schön, der zum Beispiel Erdöl einkaufen möchte. Das wird in Dollar denominiert. Das ist ja momentan extrem billig. Viele andere Rohstoffe, die in Dollar notiert sind, sind extrem billig. Das ist ein quasi Konjunkturprogramm für beispielsweise die deutsche Wirtschaft. Diese Dinge haben immer ihre zwei Seiten. Wir streben keine Euroschwäche an, aber wie gesagt, die Euroschwäche hat durchaus auch ihre Vorteile.
    Müller: Aber die Importe werden immer teurer und andere Länder, nicht Deutschland in erster Linie, haben darunter zu leiden: die Franzosen, die Spanier, die Portugiesen und so weiter.
    Kemmer: Ja, ist schon richtig. Die Importe werden teurer, das ist absolut zutreffend. Wie gesagt, man muss versuchen, das in einer Balance zu halten. Wir streben ja alle miteinander keinen schwachen Euro an, aber wenn sie die Exporte sich anschauen, für die ist es natürlich sehr viel günstiger. Deshalb bringt das wie gesagt für die Konjunktur durchaus auch ein bisschen was. Aber es wäre schon gut, wenn langfristig der Euro sich wieder deutlich stabilisieren würde.
    Müller: Schauen wir noch mal auf meine einseitige Perspektive, wie sie es vielleicht sehen, Herr Kemmer. Sparvermögen, Pensionsrücklagen, Lebensversicherungen, private Altersvorsorgen, alles das, was man sich versucht hat, in den vergangenen Jahrzehnten anzusparen und anzueignen, das wird alles viel, viel weniger wert. Viele sagen, das ist eine systematische Vernichtung dessen. Was kann man dagegen tun?
    Niedrigzins schlecht für Sparguthaben
    Kemmer: Das was Sie ansprechen hat zu tun mit der Niedrigzins-Situation in Deutschland, mit negativen Realzinsen. Das heißt, dass die Inflationsrate über den Nominalzinsen liegt. Momentan haben wir sehr viel niedrige Zinsen, eigentlich null Zinsen, wobei wir momentan eben auch eine sehr, sehr niedrige Inflationsrate haben, eigentlich in Teilen ja auch eine leicht negative Inflationsrate. Das heißt, die reale Geldentwertung ist momentan nicht so schlimm. Gleichwohl: Diese lang andauernde Niedrigzins-Phase - und wir gehen davon aus, die wird schon auch noch eine Zeit lang anhalten -, diese lang andauernde Niedrigzins-Phase ist nicht gut für die Vermögen der Sparer, auch für die Lebensversicherungen. Das haben Sie richtig angesprochen. Sie ist aber natürlich die Kehrseite einer sehr schlechten Konjunktur in Europa und solange die Konjunktur so schwach bleibt, werden auch die Zinsen weit unten bleiben. Das ist eine Ausnahmesituation, wie wir sie nicht haben wollen, aber wir werden uns darauf einstellen müssen, dass die noch eine Zeit lang anhält.
    Müller: Können wir das so sagen, die Politik von Mario Draghi vernichtet Vermögen?
    Kemmer: Nein, das wäre viel zu kurz gesprungen. Mario Draghi kauft der Politik Zeit. Letztendlich müssen wir alle, müssen die Regierungen, die Staaten etwas tun, um rauszukommen aus dieser schwachen Konjunktur in Europa. Wir brauchen Wachstumsimpulse. Dafür ist es notwendig, dass strukturelle Reformen in Europa insbesondere in den Peripherieländern, aber nicht nur dort angegangen werden. Und die EZB unterstützt das. Die EZB kann den Regierungen Zeit kaufen. Aber letztlich müssen die Strukturreformen von den Ländern selbst umgesetzt werden.
    Müller: Zeit kaufen ist auch immer die Möglichkeit, ein bisschen weiterzuschlafen oder zu verschlafen. Ich erinnere mich noch an Gespräche - wir reden ja regelmäßig miteinander -, da waren Sie äußerst skeptisch, als es darum ging, Staatsanleihen zu kaufen. Das haben wir schon mal thematisiert. Da haben Sie damals gesagt, vor ein paar Monaten, na ja, noch ist es nicht so weit, vielleicht kommt es, wäre nicht so gut. Jetzt ist dieses Ankaufprogramm da, jetzt ist es fest geplant, wird jetzt vermutlich im nächsten Monat schon umgesetzt mit 60 Milliarden Euro pro Monat, einfach so in die Wirtschaft, in die europäische Wirtschaft reinpumpen. Das heißt, wir werden noch weniger wert?
    Kemmer: Wir halten das Ankaufprogramm nach wie vor nicht für gut. Wir halten es weder für wirkungsvoll, noch halten wir es für notwendig. Wir glauben, es ist genügend Liquidität im Markt und es muss noch nicht weitere Liquidität hineingegeben werden. Aber wie gesagt, Draghi ist da auch ein bisschen ein Gefangener der Märkte und ein bisschen auch ein Gefangener der Politik in den einzelnen Ländern, die eben ihre Hausaufgaben dringend machen muss. Er versucht, alles zu vermeiden, was in Richtung einer Deflation gehen könnte. Unsere Einschätzung ist, dass es reale Deflationsgefahren eigentlich in der Form nicht gibt, dass sie ein solches Programm nötig machen würden, aber die Europäische Zentralbank sieht das anders. Sie ist unabhängig, wir haben das zu respektieren. Aber noch mal: Wir sind nach wie vor der Meinung, dass ein solches sogenanntes quantitative easing nicht notwendig ist.
    Müller: Jetzt hier noch mal ganz konkret die Frage: 60 Milliarden pro Monat, macht das den Euro noch schwächer?
    Kemmer: Es wird ihn nicht stärken, da haben Sie schon Recht. Aber wie gesagt, ich sehe diese Euroschwäche nicht als große Katastrophe. Wenn Sie schauen: Als der Euro neu eingeführt worden ist, wo wir alle ja sehr, sehr zuversichtlich waren, da war er noch deutlich schwächer, als er heute ist. Er hat dann Phasen relativer Stärke gehabt, jetzt ist er wieder ein bisschen unten. Die Volatilität ist normal, die gehört ein Stück weit auch dazu. Noch mal: Dauerhaft wollen wir keinen schwachen Euro, aber es ist keine ökonomische Katastrophe, wenn der Euro ein bisschen schwächelt.
    Müller: Reden wir auch über die Banken, über Investitionen, über das Geld, was zur Verfügung gestellt wird, darüber, wie schwierig es ist, für Unternehmen, für wen auch immer, an Geld heranzukommen. Vertrauenskrise bei den Banken, unter den Banken, das war auch immer Ihr großes Thema. Gibt es inzwischen trotz Griechenland mehr Vertrauen?
    Kemmer: Vertrauen ist da. Die Banken sind stabilisiert. Es ist sehr, sehr viel geschehen in den letzten Jahren. Die Banken haben insbesondere ihr Eigenkapital deutlich aufgestockt, um mehrere hundert Milliarden in Europa. Hier ist Vertrauen zurückgekehrt. Es ist nicht komplett wiederhergestellt, so wie es vor der Finanzkrise war. Da müssen alle Beteiligten noch dran arbeiten. Wir gehen aber nicht davon aus, dass die Konjunktur dadurch belastet wird, insbesondere in Deutschland nicht dadurch belastet wird, dass es zu wenig Kreditmittel gäbe. Liquidität ist ausreichend da. In Deutschland gab es noch nie und gibt es auch aktuell überhaupt nicht irgend so etwas wie eine Kreditklemme. Die Wirtschaft wird ausreichend mit Kredit versorgt. Ganz im Gegenteil: Die Banken hätten es lieber, wenn die Wirtschaft mehr investieren würde. Sie würden gerne mehr Kredite geben. Aber es gibt hier eine Zurückhaltung bei den Investitionen.
    Müller: Also liegt es an der Wirtschaft, nicht an den Banken, nicht am Geldgeber?
    Zu wenig Investitionen
    Kemmer: So ist es. Es liegt daran, dass wenig, zu wenig Investitionen da sind. Investitionen werden immer getätigt oder nicht getätigt mit Blick auf die Zukunftsaussichten. Das heißt, wenn das Umfeld eher unsicher ist, gibt es eine Investitionszurückhaltung. Das beobachten wir im Moment. Aber es liegt nicht daran, dass die Banken zu wenig Kredit geben würden. Das ist in den Peripheriestaaten in Teilen anders. Da haben die Unternehmen Schwierigkeiten, an Kredite zu kommen. Das hat aber in den allermeisten Fällen mit der Bonität der Unternehmen zu tun und damit auch mit dem gesamtwirtschaftlichen Umfeld in diesen Ländern, und da sind wir wieder bei der Notwendigkeit, Reformen durchzuziehen, und ohne die wird es nicht gehen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg in fast jeder Beziehung.
    Müller: Wenn jetzt ein deutscher Unternehmer kommt, ein kleinerer mittelständischer Unternehmer und sagt, ich möchte in Griechenland jetzt in dieser Situation investieren, Sie, Herr Kemmer, wären zuständig für das operative Geschäft, würden Sie ihm den Kredit geben?
    Kemmer: Wenn das ein vernünftiges Projekt ist mit vernünftigen Ertragsaussichten, mit einem zu erwartenden stabilen Cashflow, wird es wahrscheinlich kein Problem geben, den Mann mit Kredit zu versorgen. Aber es sind natürlich die üblichen Bedingungen zu erfüllen und Griechenland ist ein schwieriges wirtschaftliches Umfeld. Da wird gerade die Abschätzung eines künftigen stabilen Cashflow nicht ganz einfach sein. Aber noch mal: Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, warum sollte dieser von Ihnen beschriebene Unternehmer dann keinen Kredit von meiner Bank bekommen.
    Müller: Also trotz Alexis Tsipras?
    Kemmer: Ja, natürlich! Es wird ja kein Kredit an irgendeinen Politiker gegeben und wir sollten die Kraftrhetorik, die es hier gibt, auch nicht überbewerten. Die Leute werden an dem gemessen, was sie tun, und wenn ich mir anschaue, was sie am Freitag unterschrieben haben, würde ich mal sagen, das ist schon der erste Schritt in die richtige Richtung.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der deutschen Banken. Danke für das Gespräch und Ihnen noch einen schönen Tag.
    Kemmer: Gerne! Danke gleichfalls, Herr Müller.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.