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Konjunkturaussichten
"Die Investitionen sind zu niedrig"

Der Finanzwissenschaftler Aloys Prinz nimmt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gegen Kritik an dessen Sparkurs in Schutz. Die Finanzen der europäischen Länder müssten in Ordnung gebracht werden, sagte Prinz im Deutschlandfunk. Doch auch im deutschen Haushalt sieht er Probleme.

Aloys Prinz im Gespräch mit Dirk Müller | 20.10.2014
    Ein Straßenbauer in orange-farbener Arbeitskleidung bringt eine neue Asphaltdecke auf einer Straße in Freiburg auf.
    Finanzwissenschaftler Aloys Prinz fordert in Deutschland höhere öffentliche Investitionen - etwa in den Straßenbau. (dpa picture alliance / Patrick Seeger)
    In Deutschland werde zu wenig für Investitionen ausgegeben, bemängelte der Finanzwissenschaftler. Zwar sei das Volumen des Haushalts in Ordnung, über die Haushaltsstruktur aber müsse geredet werden. "Wir haben einen zu hohen Staatskonsum im Vergleich zu den Staatsinvestitionen", sagte Prinz. Diese seien seit zehn Jahren zu niedrig, so müsse in vielen Bundesländern dringend etwas für die Infrastruktur getan werden.
    Auf der anderen Seite gebe es etwa in der Sozialpolitik immer weitere Programme mit fragwürdigem Nutzen - etwa, wenn im Bereich der Familienpolitik auch die Mittel- oder gar Oberschicht gefördert werde. "Man erfindet außerdem immer weitere Subventionen, auch dort, wo keine nötig sind", so Prinz.
    Dass sich der deutsche Finanzminister für Haushaltskonsolidierungen in den europäischen Ländern einsetzt, begrüßte Prinz allerdings. "Schäuble tut etwas, was man schon lange hätte tun müssen", sagte er. Die Länder müssten ihre Finanzen in Ordnung bringen, weil sonst Wachstum nicht mehr möglich sei. In einigen Staaten seien harte Strukturreformen nötig - nicht nur an den Rändern, sondern auch im Kern Europas - insbesondere in Frankreich und Italien.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: "Gegen die Dummheit kämpfen selbst die Götter vergebens." Das sagt diesmal der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman. Und damit ist nicht Frankreich, nicht Italien oder gar Griechenland gemeint; er meint damit Deutschland, den deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble. Gemeint ist die Sparpolitik des Ministers, die nach Meinung Krugmans dazu führt, dass die europäische Wirtschaft weiter in den Abgrund gefahren wird, weil sie eben nicht wächst, weil sie nicht in Fahrt kommt. Auch die deutschen Konjunkturindikatoren weisen nach unten, von Frankreich und den anderen in der EU ganz zu schweigen. Und warum straucheln die Börsen und was kann die Zentralbank bei null Zinsen denn überhaupt noch machen? Der Streit um die richtige Wirtschaftspolitik geht in die nächste Runde, auch weil Berlin heute qualifizierte Gäste aus Paris erwartet.
    Konjunkturabschwung, Börseneinbruch und Etatzwänge - steht Europa erneut vor dem Abgrund?
    Unser Thema mit dem Finanzwissenschaftler Professor Aloys Prinz, Autor des Buches "Die große Geldschmelze. Wie Politik und Notenbanken unser Geld ruinieren". Guten Morgen nach Münster.
    Aloys Prinz: Guten Morgen!
    "Italien und Frankreich brauchen harte Reformen"
    Müller: Herr Prinz, hat Wolfgang Schäuble einen Sparfimmel?
    Prinz: Würde ich so nicht sagen. Er tut etwas, was man hätte schon lange tun müssen, nämlich die Finanzen der europäischen Länder in Ordnung zu bringen. Da hilft auch kein Konjunkturabschwung. Und alle möglichen anderen Ausreden, die man bisher hatte, staatlicherseits den Haushalt nicht in Ordnung zu bringen, die funktionieren eben auch nicht mehr.
    Müller: Weil Wettbewerbsfähigkeit letztendlich über alles geht?
    Prinz: Wettbewerbsfähigkeit nicht, aber die Länder müssen ihre Regelungen für die Wirtschaft in Ordnung bringen, weil ansonsten Wachstum nicht mehr möglich ist. Das ist der Punkt. Es geht nicht um die Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Ländern, sondern es geht einfach darum, dass in bestimmten Ländern sehr harte Reformen notwendig sind, und zwar nicht nur am Rande der Euro-Zone, sondern innerhalb des Kerns der Euro-Zone auch, insbesondere Italien und Frankreich.
    Müller: Und die 50 Millionen Arbeitslosen haben Pech gehabt?
    Prinz: Nein, die haben nicht Pech gehabt. Die sollten einen Druck darstellen auf die Regierungen, tatsächlich mal das Richtige zu tun. Es ist ja so, dass ohne, dass es Druck gibt, Regierungen nicht bereit sind und auch nicht in der Lage sind, ihren Kurs zu ändern und zu sehen, dass Arbeitslosigkeit nicht unbedingt nur aus Konjunkturproblemen besteht, sondern auch durch Wachstumsschwächen hervorgerufen wird, ist vielleicht eine wichtige Erkenntnis und die sollte man auch versuchen, dann mal umzusetzen.
    Müller: Wenn Sie jetzt Politiker wären, verantwortlicher Finanzminister, würden Sie zunächst mal sagen, wir brauchen jetzt viel, viel, viel Geduld.
    Prinz: Erstens das und zum zweiten muss man die Haushaltsstruktur überdenken. Es wird immer nur über das Volumen geredet, aber nicht über die Struktur. Und da sieht man, dass wir tatsächlich viel zu wenig für öffentliche Investitionen tun. Da liegt eigentlich das Hauptproblem im deutschen Haushalt, eben nicht im Volumen. Wir haben Rekordsteuereinnahmen und so weiter. Das wird sich jetzt auch relativieren durch den Konjunktureinbruch, und wenn die Steuereinnahmen zurückgehen, wird das auch mit der schwarzen Null mehr oder weniger automatisch nichts mehr. Nur aktive Konjunkturpolitik momentan zu betreiben, das Ziel von vornherein aufzugeben, dafür sehe ich keinen Grund.
    "Staatskonsum im Vergleich zu den Staatsinvestitionen zu hoch"
    Müller: Sie sagen, auf der einen Seite sparen, konsolidieren ist richtig. Auf der anderen Seite muss man auch Geld ausgeben, öffentliche Ausgaben. Was meinen Sie damit genau?
    Prinz: Man muss halt sehen. Vor allem Sie sehen ja auf der Ebene der Länder - gerade Nordrhein-Westfalen ist hier ein Beispiel - muss dringend was an den Straßen getan werden. Wir wissen, dass die öffentlichen Investitionen schon über ein Jahrzehnt zu niedrig sind in Deutschland. Das kann man in den Daten durchaus sehen, und zwar sehr klar sogar sehen. Wenn man natürlich immer nur neue Programme erfindet für andere Zwecke und das Geld dafür ausgibt, nicht für Investitionen, dann rächt sich das irgendwann. Wir haben sozusagen einen zu hohen Staatskonsum im Vergleich zu den Staatsinvestitionen.
    Müller: Aber sagen Sie mir einen anderen Zweck, auf den man verzichten könnte.
    Prinz: Es gibt immer eine Million Argumente dagegen, nichts umzuschichten. Aber die Frage ist doch: Brauchen wir noch zusätzlich, was weiß ich, irgendein Programm für Personen im Bereich der Sozialpolitik, die eh schon selber nicht besonders schlechtgestellt sind? Brauchen wir wirklich solche Maßnahmen, wie wie gesagt zusätzliche Beschäftigte im öffentlichen Dienst, zusätzliche Beschäftigte dort und dort? Letzten Endes sind das leider alles konsumtive Ausgaben.
    Müller: Aber wen meinen Sie denn damit, Herr Prinz? Die Rentner?
    Prinz: Nicht unbedingt die Rentner. Aber es geht darum zum Beispiel, dass man in ganz bestimmten Sozialprogrammen nicht nur die Sozialschwachen fördert, sondern auch Personen aus der Mittel- bis in die Oberschicht.
    "Warum Subventionen für Personen aus der Mittel- bis in die Oberschicht?"
    Müller: Familienpolitik?
    Prinz: Im Bereich der Familienpolitik gibt es Probleme. Das ist ja auch schon mehrfach von anderer Seite, auch vom Wissenschaftlichen Beirat des Familienministeriums festgestellt worden. Wir haben auch in anderen Bereichen Probleme mit diesen Ausgaben. Man muss immer überlegen, was kann man mit den Ausgaben noch erreichen. Und noch ein zusätzliches Sozialprogramm und noch eine zusätzliche Ausgabe an dieser Stelle führt dazu, dass derselbe Euro im Investitionsbereich nicht ausgegeben werden kann.
    Müller: Und Mindestlohn? Wie steht es damit?
    Prinz: Mindestlohn hat ja zunächst einmal noch gar keine Auswirkungen. Der wird ja erst im Laufe der nächsten Jahre sozusagen auf uns zukommen, und das wird sicherlich für die Beschäftigung in Deutschland an der einen oder anderen Stelle auch eine Auswirkung haben. Nur das ist ja nicht haushaltswirksam insofern zunächst einmal. Das ist da weniger das Problem. Es geht eher darum, jetzt auch nicht bestehende Programme zu beschneiden, sondern für die Konzeption neuer Programme mal darauf zu achten, dass man einfach die Investitionen mal stärker in den Blick nimmt als die konsumtiven Ausgaben, und da gibt es sehr viele Möglichkeiten. Gerade bei den Beschäftigungszuwächsen im öffentlichen Bereich muss man einfach schauen: Das sind reine konsumtive Ausgaben.
    Müller: Wir werden später um zehn nach acht noch einmal auch über das Thema Flüchtlinge reden. Mehr Flüchtlinge als in den vergangenen Jahren, das kostet die Kommunen auch wieder sehr, sehr viel Geld. Woher nehmen, wenn Sie sagen, dafür ist kein Geld da?
    Prinz: Sehen Sie, es ist ja nicht so, dass kein Geld da wäre, sondern gerade auch im kommunalen Bereich ist es sicher so, dass die Kommunen das alleine nicht schultern können. Da sind dann auch wiederum die Bundesländer gefragt und eventuell auch sogar der Bund. Nur wenn man sich die Ausgaben insgesamt anschaut, dann sieht man doch, dass das nicht die Hauptausgabenblöcke sind. Die liegen doch woanders und das muss man sich anschauen. Es geht jetzt nicht darum, Sündenböcke auszumachen und zu sagen, gerade an diesen Bereichen müssen wir dann sparen. Das ist doch gar nicht die Frage. Es ist immer interessant zu schauen, was an neuen Leistungen und so weiter geplant ist, das macht sehr viel mehr Sinn, und dann zu schauen, sich ernsthaft Gedanken darüber zu machen, vor allem wie gesagt die investiven Ausgaben gegenüber den konsumtiven etwas wenigstens zu stärken. Das halte ich für viel wichtiger, als das Haushaltsvolumen zu stärken. Wie gesagt, das Haushaltsvolumen ist sehr hoch.
    "Subventionen auch dort, wo keine notwendig sind"
    Müller: Das hat Wolfgang Schäuble an diesem Wochenende in mehreren Interviews ja auch eingeräumt oder gesagt, wir müssen mehr investieren. Sie sagen, das Geld ist da, es muss nur dementsprechend anders verteilt werden. Wenn der Minister Sie fragt, dann hätten Sie schon eine Liste mit 10, 20, 30 Umschichtungsvorschlägen. Das kann man so machen?
    Prinz: Das ist sicherlich durchaus möglich. Es fängt wieder an mit dem üblichen, was man tut: Man subventioniert ja auch. Es sind ja nicht nur Sozialleistungen, sondern es sind auch Subventionen, zum Beispiel für den Klimawandel und was man da hat. Man erfindet auch tatsächlich immer wieder neue Subventionen, auch dort, wo eigentlich gar keine notwendigen sind. Leute, wo das eh sinnvoll ist, die werden die Investitionen tätigen, oder die Ausgaben entsprechend tätigen. Man spricht dann von Mitnahmeeffekten.
    Müller: Also die Ökostromabgabe für Sie auch ein rotes Tuch?
    Prinz: Ja, zum Teil schon. Ich denke nicht mehr, dass da nach oben viel Spielraum erst mal besteht. Nur auch das ist jetzt nicht der zentrale Punkt. Der zentrale Punkt ist eher wiederum zu überlegen, die direkten Subventionen, die es gibt, sowohl in den Bereich der privaten Wohnungen, wo es um die Renovierung und so weiter geht aus energetischen Zwecken. Es geht um die Förderung von Solarstrom, von allen möglichen anderen Arten von Strom, die jetzt nicht über das EEG läuft, sondern die tatsächlich direkt über den Haushalt laufen. Auch da gibt es ja noch eine große Liste von Subventionen, wenn man sich das anschaut, und zwar geht das ja meistens über das Steuerrecht interessanterweise. Mit direkten Investitionen tut man sich aus guten Gründen schwer. Da besteht das Problem, dass die Europäische Union etwas da mitzureden hat und sagt, dass das eine unzulässige Beihilfe ist. Insofern muss man einfach schauen: Auch die indirekten Subventionen im Steuerrecht müssen auf den Prüfstand gestellt werden, und da gibt es eine ganze Menge Spielraum.
    Müller: Herr Prinz, jetzt muss ich Sie leider unterbrechen. Danke für das Interview. - Der Münsteraner Finanzwissenschaftler Professor Aloys Prinz. In wenigen Sekunden geht es hier im Deutschlandfunk weiter mit den Nachrichten. Gleich 6:59 Uhr. Vielen Dank nach Münster!
    Prinz: Ebenfalls!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.