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"Konkrete Beanstandungen haben wir noch nicht gehört"

Gergely Pröhle, der stellvertretende Staatssekretär im ungarischen Außenministerium, sagte, dass das umstrittene ungarische Mediengesetz der EU-Kommission vorgelegt worden sein. Bei möglicher Beanstandung sei die ungarische Regierung auch zu Änderungen bereit.

Gergely Pröhle im Gespräch mit Christoph Heinemann | 07.01.2011
    Christoph Heinemann: Man muss diese Musik nicht lieben und auch über den Text kann man die Nase rümpfen, wir hören den Titel "It’s on" – die Sache läuft – des US-amerikanischen Rappers Ice-T. Da geht es um Drogengeschäfte, Tenor: Sollten sich irgendwelche Cops in den Weg stellen, dann knallt es. Die ungarische Medienbehörde hat einen Radiosender aufgefordert, diese Musik jetzt nur noch nach 21 Uhr zu spielen, Begründung: Dieser Titel enthielte Anspielungen auf Gewalt und Sexualität. Rechtliche Grundlage dieser Anweisung ist ein Gesetz, das in 228 Paragrafen die Befugnisse der ungarischen Medienaufsicht regelt, und dieser Aufsichtsrat kann bei politisch unausgewogener Berichterstattung saftige Geldstrafen verhängen. Was politisch unausgewogen ist und bedeutet, das weiß der Rat allein, möglicherweise mit freundlicher Unterstützung der Regierung. Ein ungarischer Kollege, ein Radiojournalist, der Radiojournalist Attila Monk, wurde gar mit Mikrofonverbot belegt, weil er aus Protest gegen das neue Mediengesetz eine Minute lang das machte, was ich jetzt 15 Sekunden lang tun werde:

    [Schweigen.]

    15 Sekunden mal vier macht eine Minute, so viel Stille hielt die Medienaufsicht nicht aus. Das ungarische Mediengesetz ist in aller Munde in einer für Ungarn und für die gesamte EU wichtige Zeit, Stichwort Euro. Die Regierung in Budapest leitet seit Beginn dieses Monats die Europäische Union, heute reist die Europäische Kommission, Kommissionspräsident Barroso, in die ungarische Hauptstadt, um der Ratspräsidentschaft ihre Aufwartung zu machen. Am Telefon ist jetzt Gergely Pröhle, er ist stellvertretender Staatssekretär im ungarischen Außenministerium. Guten Morgen nach Budapest!

    Christoph Heinemann: Am Telefon ist jetzt Gergely Pröhle, er ist stellvertretender Staatssekretär im ungarischen Außenministerium. Guten Morgen nach Budapest!

    Gergely Pröhle: Ja, guten Morgen, Herr Heinemann!

    Heinemann: Herr Pröhle, die EU-Kommission ist heute in der Hauptstadt zu Gast. Worüber wird voraussichtlich vor allem gesprochen werden?

    Pröhle: Vor allem wird über das Programm der ungarischen Ratspräsidentschaft gesprochen. Ich glaube, das ist doch eine sehr wichtige und auch großartige Sache, dass wir in dieser schwierigen Situation, in der sich unser Kontinent befindet, diese Aufgabe übernehmen können. Es gibt reichlich Gesprächsthemen, Wirtschaftskrise natürlich, das ist das, was uns alle bewegt und was eigentlich das Programm der ungarischen Ratspräsidentschaft mit den wichtigsten Themen der, praktisch der deutschen Innenpolitik auch verbindet.

    Heinemann: Nämlich?

    Pröhle: Nämlich: Wie können wir Europa wirtschaftlich stabilisieren, wie können wir den Kontinent wettbewerbsfähiger machen, was können wir tun? Ich glaube, das war vielleicht das Hauptthema der letzten Monate auch in Deutschland: Die Solidarität, die ja weiterhin ein wichtiges, ein wichtiger Eckpunkt der ganzen europäischen Zusammenarbeit ist, so belasten und so wahrnehmen, dass wir da nicht Gefahr laufen, dass die Wirtschaftsregierung irgendwie abrutscht. Also was können wir tun, dass wir wirtschaftlich weiterkommen, dass Europa sich erholt?

    Heinemann: Herr Pröhle, wie belastet ist die ungarische Ratspräsidentschaft jetzt gleich am Anfang durch das neue Mediengesetz?

    Pröhle: Was wir bisher erlebt haben - und ich meine dieses große Interesse, was Sie jetzt auch mit dieser kurzen Funkstille zum Ausdruck gebracht haben -, ...

    Heinemann: Hat Ihnen die gefallen?

    Pröhle: Ach wissen Sie, das ist eigentlich schon merkwürdig, dass jetzt die ungarische Innenpolitik so im Rampenlicht bei Ihnen steht. Ich hätte andere Ideen gehabt in den letzten 20 Jahren aber auch vorher, wo Sie das auch hätten tun können. Das ist natürlich Ihre Entscheidung, wie Sie das handhaben, aber ich meine, in einer Berichterstattung, wie Sie das getan haben, ist das wohl berechtigt, dass Sie das tun. Aber können Sie sich vorstellen, dass Sie sich in einem öffentlich-rechtlichen Sender, dem Sie angehören, eine Minute Funkstille sich leisten gegen eine Entscheidung einer Regierung? Ich glaube, das ist wohl in allen europäischen Ländern unmöglich. Aber ich meine, gut, das war vielleicht ein Gag, eine Idee. Wie das Mediengesetz die Präsidentschaft belastet? Was das ungarische Außenministerium schon immer gesagt hat, ich habe das glaube ich in Deutschlandradio Kultur auch schon gesagt: Wir haben dieses Gesetz an die Europäische Kommission geschickt, und auch dem Medienvertreter der OSZE mit der Bitte um konkrete Beanstandungen, wenn es sie gibt. Die Antwort haben wir noch nicht bekommen, gestern hat der Ministerpräsident gesagt: Wenn diese Beanstandungen kommen und wenn diese beanstandeten Punkte sich auch in anderen Gesetzen anderer EU-Mitgliedsstaaten nicht befinden, dann sind wir natürlich gerne bereit, diese Punkte zu ändern. Konkrete Beanstandungen haben wir noch nicht gehört, politischen Protest, Funkstille wie auch jetzt bei Ihnen haben wir schon mehrfach bekommen. Ich meine, wenn die offizielle Beanstandung, die offizielle Mitteilung kommt, an dieser und jener Stelle passt dieses Gesetz nicht, ist nicht vereinbar mit der Pressefreiheit, mit den europäischen Grundwerten - dann ist die ungarische Regierung selbstverständlich bereit, diese Punkte unter die Lupe zu nehmen.

    Heinemann: Herr Pröhle, muss man so etwas, Entschuldigung, muss man so etwas nicht vorher klären?

    Pröhle: Ich glaube nicht, dass die Verpflichtung da wäre, Gesetze im Voraus an die Europäische Kommission zu schicken. Das ist rechtlich nicht gegeben.

    Heinemann: Journalisten sollen in Ungarn künftig ihre Quellen offenlegen, wenn die nationale Sicherheit infrage steht. Dieser Begriff "nationale Sicherheit" ist etwa so schwammig wie die Bewertung "politisch unausgewogen". Nun ist der Quellenschutz für Journalisten ungefähr so wichtig wie das Beichtgeheimnis für Priester, nämlich die Grundlage von Vertrauen. Ist die Regierung möglicherweise bereit, da etwas zu ändern?

    Pröhle: Wie ich gesagt habe: Wenn von der Europäischen Kommission, wo diese juristischen Prüfungen gemacht werden können, wo das alles wirklich geprüft werden kann, ob das rechtmäßig ist oder nicht, und wenn es etwas unrechtmäßig ist und etwas nicht vereinbar ist mit der europäischen Regelung, dann ist die ungarische Regierung selbstverständlich bereit, die zu verändern.

    Heinemann: Herr Pröhle, es hagelt Kritik. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hat jetzt die EU aufgefordert, gegen dieses Mediengesetz vorzugehen, und auch der deutsche SPD-Europaabgeordnete Martin Schulz, wir werden ihn jetzt gleich hören, nimmt kein Blatt vor den Mund.

    Einspielung Martin Schulz:

    Martin Schulz: Herr Orban ist ein Ministerpräsident, der in einer Finanzsituation ist, die man mal so beschreiben will: Griechenland, Irland, Spanien und Ungarn, Ungarn gehört nur der Eurozone nicht an, ist aber, was seine Staatsfinanzen angeht, unter extremem Druck. Also man müsste Herrn Orban ziemlich klar sagen: Wer sich so verhält wie du und die Solidarität bei den Grundwerten aufkündigt, kriegt auch keine Solidarität auf anderen Ebenen. Das wirkt erfahrungsgemäß mehr.

    Heinemann: Ist Ungarn erpressbar?

    Pröhle: Erpressbar glaube ich nicht, aber ich glaube - und das kann ich immer nur wiederholen, das wird langsam für die Hörer genauso langweilig wie die Funkstille vielleicht -, ich kann immer nur wiederholen: Wenn außer diesen politischen Kritikpunkten, die wir immer wieder hören und die natürlich auch dazu beitragen können, dass vor den Medien, wo natürlich alle Politiker gut ankommen wollen, diese Politiker sich populär machen. Wenn konkrete Kritikpunkte kommen - das wiederhole ich jetzt schon zum vierten Mal vielleicht -, dann können wir mit denen genau was anfangen. Das ist nicht Erpressbarkeit, das ist Rechtsprechung, das ist Rechtsstaat, das ist Pressefreiheit, das sind europäische Werte, und genau die sind für die ungarische Regierung und für die Ungarn, die ja mit Deutschland eben in den letzten paar 100 Jahren sehr verbunden sind, sehr, sehr wichtig.

    Heinemann: Mögen Sie Ice-T, ich meine jetzt die Musik?

    Pröhle: Ich glaube nicht, aber wissen Sie, jetzt, wo das so im Rampenlicht steht, vielleicht werde ich mir das anhören. Aber ich würde meine Kinder bitten, aus dem Zimmer zu gehen.

    Heinemann: Das Problem ist, dass sich die Kinder das mühelos aus dem Internet herunterladen können längst, das heißt, Verbote zählen oder bringen in Zeiten des weltweiten Netzes eigentlich nicht mehr so viel.

    Pröhle: Schauen Sie, das ist gut möglich, wie vieles möglich ist. Ich möchte inhaltlich diese Entscheidung selbstverständlich nicht kommentieren. Dass es allerdings richtig ist - und das sage ich jetzt als Vater von vier Kindern -, dass eben manche Inhalte vielleicht nicht in der Hauptsendezeit von Fernseh- und Rundfunkanstalten zu hören sind, die sind vielleicht doch wichtig. Was die gefährden, die öffentliche Ordnung oder die Erziehung der Kinder, das will ich jetzt und kann ich jetzt gar nicht definieren. Aber sind vielleicht alle Familienväter und -mütter mit mir heute in dieser Sendung auch einig, dass solche Entscheidungen manchmal vielleicht auch notwendig und nützlich sind, wobei - und das betone ich immer wieder - die Pressefreiheit dabei natürlich nicht verletzt werden darf.

    Heinemann: Nun hat jede Epoche ihre Ausdrucksformen. Kennen Sie in der europäischen Musikgeschichte eine einzige Oper, die keine Anspielungen auf Sexualität oder Gewalt enthielte?

    Pröhle: Doch, wissen Sie, meine Eltern sind Musiker und mir ist es auch verboten worden, dass ich bis zu meinem 12. Lebensjahr zum Beispiel "Rigoletto" sehe, die ja eine ziemlich blutige Geschichte ist. Gilda im Sack, das ist wirklich nichts für kleine Kinder, vielleicht genauso nicht wie Ice-T am frühen Morgen für Schulkinder.

    Heinemann: "Don Giovanni" vielleicht auch nicht, denn der zählt immerhin 1003 Eroberungen und Geliebte in Spanien. Darf ein solcher Mistkerl in Ungarn noch auf die Bühne?

    Pröhle: Ja, wissen Sie, das ist wiederum so: Mille Tré kenne ich auch sehr gut, und das passt sehr gut zum europäischen Trio mit der spanischen Präsidentschaft. Und ich glaube auch, dass Kleinkinder auch nicht in den "Don Giovanni" gehen. Gut, wissen Sie, es gibt natürlich immer Dinge, die für Erwachsene da sind, die für Kinder da sind. Übrigens, wenn Sie sich die amerikanische Rechtsprechung und die Geschichte von Ice-T in den Vereinigten Staaten angucken, wo ja die Pressefreiheit in der Tat nicht beschränkt ist, dann können Sie aber ähnliche Regelungen finden. Insofern würde ich diese Ice-T-Geschichte wirklich nicht so hoch aufhängen, dafür viel dafür tun, dass die Kinder vielleicht mit Dornröschen anfangen, aber später auch zu "Don Giovanni" gehen, und wie Sie die Geliebten zählen, das ist dann wieder ein anderes Kapitel.

    Heinemann: Und vielleicht enden Sie dann bei Jon Cage "Silence", da wird nämlich auch ganz lange geschwiegen. Gergely Pröhle, der stellvertretende Staatssekretär im ungarischen Außenministerium. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Pröhle: Okay, ich danke Ihnen auch. Tschüss!