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Konkurrenz oder Bereicherung?

Seit die erste PISA-Studie vor zehn Jahren den Ruf der staatlichen Schulen ruinierte, ist auch die Mittelschicht bereit, für die Bildung ihrer Kinder Geld auszugeben. Die Zahl allgemeinbildender Privatschulen wuchs seither um 26 Prozent. Ist dies der Anfang vom Ende der öffentlichen Schulen?

Von Katja Bigalke | 19.12.2010
    Mittwoch früh, halb neun. Die Tür im zweiten Stock des alten Backsteingebäudes in Berlin-Wedding pendelt jetzt im Sekundentakt. Mit großen Ranzen beladene Kinder werden von ihren Eltern durch den hellen Flur zur Aula gebracht. Jeden Morgen versammeln sich dort die Schüler von Phorms, einer englisch-deutschen Privatschule, bevor der Unterricht beginnt. Die Lehrer begrüßen sie, nehmen sie mit in die Klassenzimmer. Auf dem Plan der ersten Klasse steht heute Mathematik.

    Mit ein paar Fragen zum Wetter startet die Lehrerin die Stunde. Wie kalt es ist, wie windig oder bewölkt? Alles auf Englisch.

    "My question to you: is it colder than 4 degrees which was the temperature yesterday?"

    Sie tippt auf das große Smartboard an der Wand und öffnet die Datei mit den Wetterangaben der letzten Tage. Die Kinder sollen nun den Unterschied von gestern zu heute ausrechnen.

    "One – it went down by one degree."

    Völlig unbefangen plappern die Sechsjährigen auf Englisch drauf los. Obwohl die meisten von ihnen zuhause ausschließlich Deutsch sprechen.

    "Paula the last way? How many blue?
    zero – how many blue?"

    Das Konzept von Phorms heißt Immersion. Es bedeutet, dass die Kinder in allen Fächern – außer Deutsch – konsequent auf Englisch unterrichtet werden. So wird die wissenschaftlich belegte Erkenntnis, dass Kinder in diesem Alter viel leichter eine Fremdsprache lernen, in der Praxis umgesetzt. Das Kollegium der Schule besteht zur Hälfte aus englischen Muttersprachlern. Sechs solcher Immersionsschulen betreibt das streng marktwirtschaftlich orientierte Bildungsunternehmen Phorms in Deutschland. In Berlin-Wedding werden bereits 320 Kinder an der Grundschule unterrichtet, auf dem Campus gibt es auch eine Kita und ein Gymnasium. Schulleiterin ist die Englisch-Lehrerin Stefanie Jansen, die vor vier Jahren von einer Waldorfschule zu Phorms wechselte. An dem privaten Träger schätzt sie das klare Profil und die größere Gestaltungsfreiheit:

    "Im Vordergrund steht Bilingualität über Immersion, das ist eine Lebenseinstellung. Wir legen Wert darauf, dass sich alle Kollegen damit identifizieren. Dann: ein sehr junges Kollegium. Bei uns ist der Vorteil, dass die mit einer aktuellen Uniausbildung kommen - wir haben ein Kollegium, das sehr intensiv zusammenarbeitet, das bedeutet, Ressourcen können verteilt werden."

    Zum überzeugenden Profil dürfte beitragen, dass Jansen im Unterschied zu ihren Nachbarschulen im Migrantenbezirk Wedding keine gesellschaftliche Reparaturarbeit zu leisten hat. Ihre Schüler kommen nicht aus Problem-, sondern aus bildungsaffinen Familien. Die sind darüber hinaus gewillt und in der Lage monatlich zwischen 220 und 900 Euro Schulgeld zu zahlen.
    Als Gegenleistung gibt es kleine Klassen und einen zweiten Assistant-Teacher.
    Geworben wird regelmäßig mit einem "Tag der offenen Tür". Eine Veranstaltung, nach der zum Beispiel diesem Vater aus dem eher bürgerlichen Weißensee die Entscheidung gegen das staatliche Angebot leicht fiel.

    "Ich wurde von Kindern durch die Schule geführt. Die hatten sehr viel Selbstbewusstsein, waren höflich, haben uns begrüßt und die Türe aufgehalten. Es ging um soziale Werte, wo ich die Kinder sehr gut fand."

    Dafür nimmt er nun auch in Kauf, seinen Sohn jeden Tag zehn Kilometer zur Schule zu bringen. Auch für Missia Mansur war das Sozialverhalten neben der guten Fremdsprachenvermittlung ein Grund, ihre beiden Kinder bei Phorms anzumelden. Sie nennt es: "Abwesenheit von Gewalt". Die regulären Schulen hätten sie in dieser Hinsicht nicht überzeugt:

    "Ich hab mir drei Stück angeschaut und da war von vorneherein klar, da wird mein Kind nicht hingehen, weil die Kinder nicht gut deutsch sprechen können, dadurch, dass zuhause nur die Muttersprache gesprochen wird."

    Besonders wichtig für die Zukunft ihrer Kinder hält Mansur nicht nur ein gutes Deutsch, sondern auch ein perfektes Englisch. Da trifft sie sich mit der französischen Bankkauffrau, deren zwei Kinder jetzt dreisprachig aufwachsen:

    "Wir sehen das als Investition. Man will das Beste für das Kind haben und da ist uns das wichtiger als ein zweites Auto."

    Bildung als Investition, das ist das entscheidende Stichwort. Seit die erste PISA-Studie vor zehn Jahren den Ruf der staatlichen Schulen ruinierte, ist auch die deutsche Mittelschicht bereit, für die Bildung ihrer Kinder Geld in die Hand zu nehmen. Nach PISA wuchs die Zahl allgemeinbildender Privatschulen um 26 Prozent, private Gymnasien gewannen allein in den letzten fünf Jahren knapp 62.000 neue Schüler hinzu. Und bei den Grundschülern sind die Wachstumsraten noch rasanter. Ist dies der Anfang vom Ende der öffentlichen Schule? Barb Neumann schüttelt energisch den Kopf. Zwar sieht auch die Vizepräsidentin des Verbands deutscher Privatschulen den deutlichen Aufwind ihrer Branche. Gemessen am Gesamtaufkommen sei der Anteil von allgemeinen Privatschulen aber noch immer recht klein:

    "Die absolute Zahl ist nicht hoch. An den berufsbildenden Schulen haben wir mehr Schüler: 22 Prozent. Auf dem Gebiet der Allgemeinbildenden Schulen 9,2 Prozent. In Ostdeutschland haben wir ein Wachstum von 33 Prozent, aber von einem niedrigen Stand ausgehend."

    Tatsächlich besuchen bundesweit nach wie vor relativ wenig Kinder eine Privatschule. Während in Europa der Anteil bei etwa 20 Prozent aller Schüler liegt, sind es in Deutschland nur knapp 8 Prozent. Und das grenze – angesichts der für ihre Branche komplizierten Bedingungen – schon an ein kleines Wunder, findet Neumann. Das Grundgesetz garantiere zwar in Artikel 7 Absatz 4 das "Recht zur Errichtung von privaten Schulen, sofern sie in Erziehungs- und Bildungszielen, Ausstattung und Lehrerqualifikation den Standards der öffentlichen Schulen entsprechen." In der Praxis seien Schulgründungen hierzulande allerdings äußerst schwierig.
    So müssen Privatschulen ein besonderes pädagogisches Profil aufweisen, das penibel überprüft wird. Je nach Bundesland ist zudem eine Probezeit von bis zu 5 Jahren ohne staatliche Finanzhilfe zu überbrücken. Selbst wenn danach die Anerkennung erfolge, decken die Subventionen mitunter gerade mal 55 Prozent der Kosten. So sei es für die Schulen oft unmöglich, das gesetzlich geforderte "Sonderungsverbot" einzuhalten. Es besagt, dass kein Kind über die Höhe des Schulgeldes ausgeschlossen werden darf. Sprich: Mehr als 130 bis 200 Euro im Monat darf eine Privatschule bei einem niedrigen Einkommen der Eltern nicht als Schulgeld nehmen. Zusätzlich kämen nun aber noch neue Hürden wie etwa eine Mindestanzahl der Klassen dazu, berichtet Neumann:

    "Wir haben gegenwärtig in Sachsen Initiativen, die Bedingungen zu verschlechtern. Auch die Rahmenbedingungen, was Zügigkeiten angeht, Klassengrößen, dann sind Errichtungshürden aufgebaut worden. In Mecklenburg Vorpommern ist das Schulgesetz umgesetzt, sind die Schulen zu selbstständigen Schulen geworden. Das heißt, man gibt den staatlichen Schulen mehr Freiräume und versucht den freien Schulen den Freiraum zu nehmen. Da kommen wir zu einer Gleichmacherei, die von keinem gewollt ist."

    Die Verbandsfunktionärin argumentiert, dass die größere Freiheit der Privatanbieter in der Verwendung ihrer Finanzen, der Wahl ihres Lehrpersonals und bei der Ausgestaltung der Lehrpläne die grundlegende Voraussetzung für einen fairen Wettbewerb sei. Nur das führe am Ende zu einer Bereicherung des Bildungswesens. Oft hätten sich gerade Privatschulen als Modernisierungsantreiber erwiesen, die die anderen zum Umdenken bewegten:

    "Ein ganz großes Modell sind die Ganztagsschulen. Wenn man sieht, dass überall Ganztagsschulprogramme aufgelegt werden, deren Geburtsstunde eigentlich die freien Schulen waren, das ist ein aktuelles Beispiel – auch das Einbeziehen von berufspädagogischen Ansätzen, Montessori. Wir haben jetzt eine Vielzahl von solchen Schulen insgesamt, die Erfolge oder den Weg dieser Schulen beobachten und sagen das ist gut, das übernehmen wir."

    Solcherart "Bereicherung der Schullandschaft" durch private Träger lässt sich zwar gut behaupten, aber kaum objektiv messen – sieht man einmal vom verstärkten Interesse der Eltern ab. Das liegt auch daran, dass der Begriff "Privatschule" letztlich ein buntes Sammelsurium umfasst: Die traditionsreichen religiösen Einrichtungen gehören ebenso dazu wie Waldorfschulen oder spezialisierte Berufsschulen, über deren pädagogischen Mehrwert sich kaum allgemeingültige Aussagen fällen lassen. Thomas Koinzer vom Erziehungswissenschaftlichen Institut der Humboldt Universität Berlin untersucht die Entwicklung der Privatschulen deshalb ausgehend von ihrem Platz in der jeweiligen Schullandschaft: Vor allem im ländlichen Raum der neuen Bundesländer beobachtet er, dass sie zunehmend existenzielle Aufgaben übernehmen.

    "Wo wegen dem dramatischen Rückgang der staatlichen Schulen dann die Eltern mit den Kindern unterwegs sind. Schulschließungen, die haben zugenommen. In diese Nische springen dann die privaten Träger, die sagen, wir halten die Schule am Ort."

    Da den privaten Trägern im Gegensatz zu den staatlichen Einrichtungen keine Mindestanzahl von Klassen vorgeschrieben wird, können sie bei schrumpfendem Bedarf auch sehr kleine Schulen gründen. Zur Not eben mit nur einer Klasse pro Jahrgang. Der Staat bietet den Schulbus, die Gemeinde die Privatschule – so sieht häufig die Alternative vor Ort aus. Auf diese Weise werden Privatschulen zunehmend zu echten Ersatzschulen. Gerade im Osten hat sich die Anzahl der Privatschulen im Vergleich zu 1992 verfünffacht – was aber auch am vorher bestehenden Mangel an alternativen Pädagogikkonzepten lag.

    "Sie holen es nach. Aber sie holen es in einer Phase nach, wo sich der Staat zurückzieht. Das macht es besonders. Eine neue Dimension, die auch mich interessiert zu untersuchen – nicht nur, welche Milieus dahinterstehen, sondern auch was da in traditionellen Schulen passiert."
    Denn da präsentiert sich die Entwicklung genau umgekehrt: Allein im Zeitraum von 2000 bis 2007 schlossen knapp 30 Prozent der staatlichen Schulen im Osten. Eine Entwicklung, die anderen ländlichen Gebieten noch bevorsteht, glaubt Koinzer. In Ballungsgebieten hingegen, wo schon immer überdurchschnittlich viele Privatschulen das staatliche Angebot ergänzten, sieht der Wissenschaftler einen fruchtbaren Wettbewerb zwischen Staat und Privaten.

    "Sie werden nie einen so großen Anteil einnehmen, dass sie die Mittelschicht komplett aufsaugen. Weil wir sehen an einzelnen Schulen, wie staatliche Schulen darauf reagieren – inhaltlich etwas dagegensetzen, dass sie attraktiv sind für wichtige Segmente der Mittelschicht."

    Ein solches Beispiel ist die staatliche Grundschule am Arkonaplatz in Prenzlauer Berg – die der privaten Phorms-Schule zum Verwechseln ähnelt.

    Französischunterricht in der dritten Klasse. Zum Chor aufgereiht stehen die Kinder im hinteren Teil des Klassenzimmers, üben Lieder zur Musik aus dem CD-Player.
    Die Hälfte ihres Unterrichts findet in Französisch statt – von der Einschulung an, zum Teil mit Lehrern aus Frankreich. Und weil hier auch viele Muttersprachler ihre Kinder angemeldet haben, ist die Sprache ganz selbstverständlicher Teil des Schulalltags.

    Erst auf den zweiten Blick werden die Unterschiede zur privaten Phorms Schule sichtbar. Statt Smartboard muss es die einfache Schiefertafel tun, die Wände hätten mal wieder einen Anstrich nötig, und das gemütliche Sofa in der Ecke sieht aus als käme es vom Sperrmüll. Trotzdem kann sich Schulleiterin Monika Große vor Nachfragen kaum retten: 140 Kinder stehen auf der Warteliste, sagt sie stolz. Das war nicht immer so: Als sie vor zehn Jahren an die Schule kam, stand diese kurz vor der Schließung. Die Schüler waren in Nachbarbezirke abgewandert, weil die Schule profillos war. Der Umbruch kam,

    "…weil wir gesagt haben, so geht es nicht. Wir müssen uns was einfallen lassen, um den Eltern ein attraktives Angebot zu bieten. Ich hab mit Französisch angefangen, das hier mit hinzunehmen, dann lebten viele Franzosen hier, und dann stand die Idee. Wenn der Bedarf höher als das Angebot ist, und dann haben wir nachgefragt, ob wir nicht einen Zweig der SESB einrichten können. Wir hatten den Platz, brauchten nur die Genehmigung, und dann kriegten wir sofort die Genehmigung und konnten gleich im Sommer anfangen."

    Neben dem Grundschulbetrieb wurde ein Zweig der französischen Europaschule eingerichtet. Das war die erste Neuerung. Dann begannen zwei Lehrerinnen sich für Reformpädagogik zu interessieren – nach der Montessori-Methode. Und steckten mit ihrer Begeisterung bald das gesamte Kollegium an. Bilingual und Montessori– was sich nach dem Konzept einer Privatschule anhört, stieß in Mitte auf fruchtbaren Boden. Die Schülerzahl stieg von 220 auf 450. Große hatte Glück – weil ihr Kollegium, das sie sich im Unterschied zur Privatschule nicht selbst zusammenstellen kann, mitgezogen ist.

    "Ich denke, es liegt daran, ob sich ein Kollegium auf den Weg macht oder nicht. Unsere Motivation war, einfach ein Stück vorwärtszukommen, was Neues auszuprobieren."

    Für den Wissenschaftler Thomas Koinzer sind Grundschulen wie die am Arkonaplatz der Beweis dafür, dass die staatlichen Schulen besser sind als ihr Ruf. Studien wie Pisa, sagt er, würden letztlich nur messen, was Schüler zu einem bestimmten Zeitpunkt gelernt haben. Was die pädagogische Qualität der jeweiligen Schule betreffe, hätten sie wenig Aussagekraft.

    "Man nutzt Pisa aber für alles Mögliche: für eine Schulstrukturdebatte. Aber auch um zu sagen, die Lehrer sind zu alt und und und…. Und private Schulen, die profitieren von der Defizitwahrnehmung an staatlichen Schulen."

    Den Privatschulen kommt auch zugute, dass sie an den Evaluierungen meist nicht teilnehmen. So lassen sich ihre Leistungen nur schwer vergleichen – bis auf vereinzelte, wenig repräsentative Untersuchungen gibt es kaum Datenmaterial. Die Pisa-Ergänzungsstudie aus dem Jahr 2006, die einzige Studie, in der auch 14 private Realschulen und 18 Gymnasien in freier Trägerschaft untersucht wurden, stellt keinen relevanten Leistungsvorteil der Privatschulen fest. Während sie bei den Realschulen bessere Ergebnisse zeigten, hatten an den Gymnasien die öffentlichen Schulen ein Stück weit die Nase vorn. Manfred Weiß vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung hat die Studienergebnisse ausgewertet. Er sieht lediglich bei der individuellen Förderung eine gewisse Überlegenheit des privaten Sektors:

    "Was wir auch festgestellt haben, ist dass die Zahl der Sitzenbleiber an den Privatschulen geringer war. Wenn wir also die Aussage der 15-Jährigen an den Realschulen dazu nehmen, die sagen, dass sie sich besser unterstützt fühlen als an den öffentlichen und dass ein größerer Teil der 15-Jährigen bereits die Klasse zehn besuchte an der Realschule, dann könnte man das vorsichtig als eine wirksamere Förderkultur an den Privatschulen betrachten."

    Für Eltern ist diese Förderkultur oft das i-Tüpfelchen der Entscheidung. Immer wieder werden als Argument für die Privatschule die erhöhten Zukunftschancen der Kinder genannt. Daneben spielen die erweiterte Persönlichkeitsbildung – etwa bei Waldorf-Schulen – und das bessere soziale Umfeld eine Rolle. Gründe, die der Bildungsforscher Weiß teilweise nachvollziehen kann. Durch das dreigliedrige System habe sich an öffentlichen Schulen eine Art Entsorgungsmentalität etabliert, konstatiert er: Kinder und Jugendliche, die nicht mitkämen, werden einfach an die niedrigere Schulform weitergereicht. Das Paradoxe sei nun, dass gerade jetzt, da man versuche etwa durch Gemeinschaftsschulen die Dreigliedrigkeit aufzubrechen, die Privatschulen zu einem Höhenflug ansetzen. Neue homogene Schulformen entstehen und gewinnen immer mehr gesellschaftliche Akzeptanz, was die angestrebte Chancengleichheit womöglich wieder unterminiere.

    "Man muss regional und lokal sehen, wo - in dem Kontext expandierender Privatschulen diese zu ernst zu nehmenden Konkurrenten werden, dass sie die öffentlichen Schulen in ihrem Bestand auch bedrohen und es zu einer negativen Selektion kommt. Das sollte man nicht vernachlässigen, was im Augenblick geschieht. Zu stark wird das Elterninteresse in den Vordergrund gestellt und nicht die Implikationen, die damit verbunden sind."

    Eine Implikation könnte etwa sein, dass sich die soziale Kluft weiter vergrößert. Privatschulen werden eh schon als "Schulen für Bessere" wahrgenommen, weil sie sich ihre Schüler aussuchen, eine interessierte Elternschaft haben und Geld kosten. So findet - ob die Privatschulen das wollen oder nicht - eine Selektion statt, die bei ihrer weiteren Expansion das System als Ganzes ins Ungleichgewicht bringen könnte. Von dem Szenario "Für jedes Milieu seine Privatschule und für den Rest die staatliche Schule nebenan" ist man in Deutschland zwar noch weit entfernt. In Gegenden aber, in denen der Staat schon jetzt wegen sinkender Schülerzahlen den Bildungsauftrag privaten Trägern überlässt, ist eine stärkere Einflussnahme des Staates notwendig. Er muss hier mitreden dürfen – bei Fragen der Zügigkeit, des Standortes und der Schülerauswahl. Privatschulen, die zu wahren Ersatzschulen werden, müssen an dieser Stelle nicht nur in der Theorie für alle da sein. Wenn sie es dann noch besser machen als die staatlichen – umso besser.