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Konsequent experimentell

Um die experimentelle Literatur ist es still geworden. War sie noch in den 50er-, 60er-Jahren eine ernsthafte Alternative zum Mainstream, erscheinen derartige Schreibstile heute eher abseitig. Ein Verlag, der weiterhin unermüdlich an der Verbreitung nicht-konventioneller Schreibweisen arbeitet, ist der Klagenfurter Ritter Verlag.

Von Enno Stahl | 21.03.2012
    Experimentelle Literatur zu verlegen, ist schon ein besonderes Schicksal. Zu Zeiten der "Konkreten Poesie", der Wiener Gruppe, stand sie hoch im Kurs. Doch viele Leser heute empfinden avantgardistische Schreibweisen oft als unzugänglich. Experimentelles Schreiben verzichtet auf Identifikationsmöglichkeiten oder zerstört sie gar bewusst, vielmehr geht es um die reine Sprache, Sprache an sich. Heute, da auch die höhere Literaturindustrie Spaß, Spannung und Unterhaltung auf ihre Fahnen geschrieben hat, wirken die Autoren einer heutigen Avantgarde wie ein letzter versprengter Rest.

    Dabei hat es in der Literatur immer zwei Seiten des ästhetischen Zugriffs gegeben, eine eher vermittelnde, dem Leser zugewandte, ihn mit einbeziehende Richtung, aber auch eine abstrakte, dem höheren Form- und Sprachexperiment verpflichtete Spielart. Beide koexistierten und beeinflussten sich stets. Manche Errungenschaften der Avantgarde, wie zum Beispiel sprachliche Montageverfahren, gingen über in den Mainstream, erweiterten auch dessen erzählerische Möglichkeiten.

    So legitim also ein experimenteller Ansatz auch ist, wirtschaftlich gesehen erscheint er kaum mehr lukrativ. Publikumsverlage könnten sich eine solche Leidenschaft nicht leisten, nur zu schnell stünden sie vor dem Aus. Anders aber ist die Situation in Österreich, wo selbst zu Haiders Zeiten noch eine beispiellose Verlagsförderung von Seiten der Regierung betrieben wurde. Hier, wo die experimentelle Schreibweise traditionell stark ist, können Autoren und Verlage dieser Leidenschaft nachgehen, ohne gleich in ihrer Existenz bedroht zu sein.

    Einer dieser Verlage ist der Klagenfurter Ritter Verlag, der seit vielen Jahren anti-konventionelle Text- und Kunstbücher vertreibt. Paul Pechmann ist verantwortlicher Lektor und Programmleiter des literarischen Bereichs. Wie lange ist der Ritter Verlag denn inzwischen aktiv?

    "Ja, Ritter gibt's seit etwas über 30 Jahren, ist gegründet worden als Kunstverlag und hat relativ bald auch schon eine Literaturreihe betrieben, die recht bald unter der Ägide von Franz Schuh war. Franz Schuh hat seine ersten Essaybände bei Ritter publiziert, und seine Karriere ging dann in andere Richtungen. Da war dann eine Dimension, wo Ritter nicht mehr mitkonnte, auch sein Interesse, jetzt weiter programmgestalterisch tätig zu sein, hat dann irgendwann verlaufen. Anfang der 90er-Jahre kam dann mit Ralph Klever ein damals noch junger Germanist in den Verlag, der dem Verlag ein sehr markantes Profil gegeben hat und ich glaub, ein gutes Jahrzehnt in dem Sinne tätig war, also Konzentration auf experimentelle, sprachspielerische, avancierte Literatur. Vor vier Jahren hat er den Verlag verlassen, hat eine eigene Edition, die Edition Klever in Wien gegründet, und seine Stelle wurde vakant und so bin ich durch Zufall zu Ritter gestoßen. Ich hatte kurz zuvor ein Buch über Wolfgang Bauer herausgegeben und kannte die Ritter-Autoren schon aus verschiedenen Zusammenhängen. Zum einen mal aus dem Zusammenhang mit der Zeitschrift "Perspektive" und war mit der ganzen Gruppe der Autoren vorher schon in gutem Einvernehmen und mit dem einen oder anderen auch befreundet."

    Wie sieht denn nun die Programmatik unter Paul Pechmanns Lektorenschaft aus?

    "Wir haben eigentlich drei Generationen, die sich experimentellen Schreibweisen in weiterem Sinn verpflichtet fühlen, nicht nur aus Österreich, sondern auch aus Deutschland, sind Autoren, die jetzt um die 30 sind wie Max Höfler, Sophie Reyer oder Crauss aus Siegen. Dann die Generation der 50er-, 60er-Jahrgänge, Ulrich Schlotmann etwa, Franzobel, Ilse Kilic, Gundi Feyrer. Und dann haben wir auch Vertreter der ersten österreichischen Nachkriegsavantgarde, also Gerhard Rühm wieder kontinuierlich im Programm, von Andreas Okopenko gibt es eine ganz Reihe von Titeln. Wir haben den Jo Berger wieder entdeckt und in diese Frühjahr gibt einen Nachlassband von Wolfgang Bauer. Das ist ungefähr die Bandbreite, wobei wir uns auf die Prosa konzentrieren, seit jeder, weil wir nur sechs bis acht Titel im Jahr haben und da sollte das Programm schön kompakt bleiben."
    Wie sehen das die Autoren selbst? Etwa der gerade erwähnte Max Höfler, mit Jahrgang 1978 ein sehr junger Ritter-Autor - ihn reizt gerade auch die spezifische Tradition des Ritter Verlags, in die er sich einreihen kann:

    "Na, ich hab' keine Vergleichsmöglichkeiten als Autor natürlich, aber was beim Ritter Verlag mir sehr entgegenkommt: Alle Autoren, die ich sehr schätze, wie zum Beispiel Petra Coronato, Brigitte Falkner, Helmut Schranz und der großartige Ulrich Schlotmann, die haben alle bei Ritter publiziert. Und das freut mich natürlich, dass ich dort auch publizieren kann. Das Schöne an dem Verlag ist, und da gibt's leider nur sehr wenige im deutschsprachigen Raum, die sich trauen, forminnovative Literatur zu publizieren, die gleichzeitig immer auch Seitenblicke auf gesellschaftliche Verhältnisse wirft, und genau diese Spannung zwischen Forminnovativem und Gesellschaftspolitischem interessiert mich an dem Verlag."

    Dieter Sperl, Jahrgang 1966, also zur mittleren Generation der Ritter-Autoren gehörend, der schon eine ganze Reihe von Titeln im Ritter Verlag publiziert hat, schließt sich an:

    "Ich denke, der Ritter Verlag hat in den letzten 20 Jahren das Hauptaugenmerk vor allem darauf gelegt, nicht gängige Erzählweisen zu forcieren, oder nicht so übliche Erzählformen des Nacheinander-Erzählens. Vielleicht das Wesentliche daran ist, dass nicht nur der Fokus immer auf Literatur gelegt wird, die selbst-reflexiv ist, die gegen konventionelle Literatur, konventionelle Erzählformen arbeitet, sondern auch - ich würde sagen: die Fülle, die dagegen arbeitet. Also es passiert in Österreich in Verlagen schon immer wieder, dass es einzelne Bücher gibt, die irgendwie ein bisschen neben den üblichen Formen publiziert werden, aber im Ritter-Verlag in den letzten 20 Jahren ist ein Haufen solcher Bücher publiziert worden."

    Die "Fülle, die dagegen arbeitet" - dieses Stichwort, das Sperl hier gibt -, ist in der Tat das Auffällige am Ritter Verlag. Mit seltener Konsequenz verschmäht man, wenigstens hier und da einmal publikumsaffine Bücher zu vertreiben, der Verlag wirkt beinahe wie der "letzte Hort der österreichischen Avantgarde":

    "Ja, das klingt sehr schön. Ich glaube, wir haben schon Mitbewerber, die ein ähnlich markantes Programm haben, wie etwa der Czernin Verlag, die Literaturreihe des Czernin Verlags, Ralph Klever eben. Dann gibt's bei Droschl etliche Publikationen, die mir auch in meinem Programm gut gefallen könnten. Was wir allerdings nicht haben, ist eine so genannte Mischkalkulation. Es gibt bei uns keine marktgängigen Krimis, die dann das Programm halten könnten. Wir haben da ganz puristische Ausrichtung und werden das weiterhin so handhaben."

    Wie kann man eine solche puristische Ausrichtung finanziell überhaupt durchhalten?

    "Es gibt in Österreich eben andere Rahmenbedingungen für kleine Privatverlage als in Deutschland. Seit 20 Jahren gibt es eine einigermaßen funktionierende Verlagsförderung, die im marktfernen Raum sich einige Verlage hat etablieren lassen, die als primäres Ziel haben, die Literatur voranzutreiben und nicht nur ihre Autoren auf irgendwelche Shortlists zu bringen."

    Tatsächlich haftet gerade dem "literarischen Markt" immer ein wenig der Geruch des Unstatthaften an. Literatur und Kommerz, das verträgt sich nicht, mag so mancher denken. Doch Literatur war, seit es sie gibt, immer auch Ware. Nicht zuletzt ist der Markt auch ein Selektionsinstrument, um die Spreu vom Weizen zu trennen, sicherlich nicht immer, aber mitunter durchaus. Ganz ketzerisch gefragt, ist die experimentelle Schreibweise nicht vielleicht schon überholt, eine Sache der 50er-Jahre, eher Literaturgeschichte als literarische Gegenwart?

    "Ja, das Interesse ist immer auf kleine Gruppen konzentriert, das war bei den Avantgarden immer so und es wäre vermessen, wenn man sich da mehr erwartet. Worum es geht, ist eben, dass diese Fortführung von Avantgarde-Positionen nicht ganz wegbricht."

    Das ist sicher ein ebenso lohnens- wie lobenswertes Unterfangen, im Dienste einer Pluralität der Stile. Denn unbestreitbar treibt die starke Marktbezogenheit der heutigen Literatur eine breite Schneise in die ästhetischen Möglichkeiten, das ist der Hauptweg, daneben bleibt nahezu nichts mehr übrig, vor allem nichts mehr zu entdecken.

    Wie aber verhält es sich - einmal binnenliterarisch gefragt - eigentlich mit den "Avantgardequalitäten" der Ritter-Literatur? So viele Experimente, so viele Innovationen wurden bereits gemacht, gibt es überhaupt Entwicklungsräume für ein derartiges Schreiben?

    "Ja, die gibt's ganz klar. Wenn ich mir anschaue, wie Gerhard Rühm arbeitet, dann habe ich den Eindruck, dass er mit jeder neuen Arbeit für sich die Literatur neu zu finden und es gelingt sehr oft auf eine ganz bestürzende Art."

    Ein neues Buch von Gerhard Rühm, den erwähnten Nachlassband von Wolfgang Bauer, nebst neuen Bänden von Franzobel, Gundi Feyrer, Ilse Kilic und D. Holland-Moritz bietet das aktuelle Programm des Ritter Verlags, durchaus sehr vielfältig, durchaus anders als alle anderen.

    Literatur:

    Wolfgang Bauer: "Der Geist von San Francisco". Verstreut publizierte u. nachgelassene Texte, 360 Seiten, 23,90 Euro.

    Gundi Feyrer: "Die Trinkerin oder Mein Leben und ich". 200 Seiten, 18,90 Euro.

    Franzobel: "Die Seemannsbraut oder Undines Rettung". 100 Seiten, 13,90 Euro

    Ilse Kilic: "Buch über viel". 159 Seiten, 13,90 Euro

    Francis Ponge: "Der Tisch". 100 Seiten, 13,90 Euro

    Gerhard Rühm: "lügen über lander und leute". 123 Seiten, 13,90 Euro