Donnerstag, 25. April 2024

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Konsequenzen aus dem Nitrofen-Skandal

Durak: Droht uns aus Brüssel diesmal nicht ein blauer Brief, sondern die rote Karte, die rote Karte für unsere Ökoprodukte? Möglicherweise, aber vielleicht auch nicht. Wegen des Nitrofen-Skandals berät heute die EU-Kommission oder jedenfalls Mitarbeiter. Es geht darum, möglicherweise Sanktionen zu erlassen. Belgien verlangt schon ab heute Unbedenklichkeitszertifikate für deutsche Ökoprodukte. Darauf muss also stehen "ohne Nitrofen". Sonst soll es einen Einfuhrstopp geben. Die Bundesregierung hat sich am Wochenende bemüht, dagegen zu halten, hat eine Krisensitzung der zuständigen Staatssekretäre anberaumt und das Ergebnis steht in einem Brief an Brüssel. Entgegen früheren Vermutungen seien Putenwürstchen aus Niedersachsen nicht mit Nitrofen belastet. Damit sei ausgeschlossen, dass es neben der Lagerhalle in Malchin eine zweite Quelle für die Verseuchung geben könnte. Wilhelm Graefe zu Baringdorf ist selbst Landwirt und für die Bündnis-Grünen stellvertretender Vorsitzender des Agrarausschusses im Europaparlament. Ihn begrüße ich nun am Telefon. Schönen guten Morgen!

10.06.2002
    Baringdorf: Guten Morgen Frau Durak.

    Durak: Glauben Sie das, dass jetzt alles klar ist?

    Baringdorf: Alles klar ist nicht, aber es ist unter dem Druck der Kommission mit den Ländern zu einer konzertierten Aktion gekommen, so dass die Eigenwilligkeit einiger Länder, die ja die Kontrolle hoheitlich durchführen, höchstwahrscheinlich jetzt einmündet in eine Gesamtbeurteilung. Und die sagt jetzt, Malchin ist es gewesen, aber wie das nun genau in Malchin vor sich gegangen ist, denke ich ist immer noch nicht geklärt. Außerdem müssen wir sehen, dass seit Jahren nicht mehr auf Nitrofen in der Europäischen Union kontrolliert wird. Das hat jetzt Kommissar Burn gerade wieder angeordnet, dass es nun doch Kontrollen geben soll, so dass wir sehen, wenn diese Kontrollen durchgeführt werden, was daraus wird.

    Durak: Nun haben wir vor einiger Zeit, zu Beginn oder in der Mitte des Nitrofen-Skandals, von der zuständigen Ministerin gehört, es ist alles aufgeklärt, es ist alles aufgeklärt. Danach kamen neue Erkenntnisse. Hat sie sich damit nicht ein kapitales Eigentor geschossen, als sie sich voreilig gezeigt hat, der Skandal sei beendet?

    Baringdorf: Sie hat gesagt es ist aufgeklärt, dass aus Malchin, aus einer ehemaligen Gifthalle Getreide geliefert worden ist und dass es hier zu Kontaminationen gekommen sein kann. Dass es möglicherweise noch andere Hallen ähnlichen Typs gibt, ist ja nicht auszuschließen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass es noch andere Quellen gibt. Zunächst aber konzentriert sich alles auf Malchin und das ist im Moment auch für die Meldung an die Kommission wichtig, damit hier auch von den Ländern nicht in einem Durcheinander geredet wird, sondern dass man sagt, nach den jetzigen Erkenntnissen deutet es eben auf diese Halle hin. Von daher war die Einschätzung von Frau Künast sicherlich nicht zu voreilig.

    Durak: Dennoch bleibt beim Verbraucher Ratlosigkeit zurück und beginnendes Misstrauen. Ist die Ökolandwirtschaft dabei, sich selbst zu entzaubern?

    Baringdorf: Na ja nicht zu entzaubern, sondern die Ökolandwirtschaft hat dazu beigetragen, dass dieser Skandal aufgedeckt wurde. Wäre das im konventionellen Bereich passiert - wie gesagt es gab auf Nitrofen keine Untersuchungen mehr -, dann wäre das auch gegessen worden, nicht von den Ökos, sondern von den anderen Verbraucherinnen und Verbrauchern. Das wäre auch nicht besser gewesen. Also ist dieser Bereich, der stärker kontrolliert wird, der sich stärkeren auch Prozesskontrollen unterwirft, immer noch hervorragend zu beurteilen und die Richtung von Frau Ministerin Künast, dieses nun auch in der Zukunft nach vorne zu bringen, bleibt damit richtig.

    Durak: Wo liegen denn aus Ihrer Sicht die wichtigsten Fehler innerhalb der Kette dieses Nitrofen-Skandals?

    Baringdorf: Die wichtigsten Fehler liegen darin, dass als das erste Mal mit Kontrollen Nitrofen im Biobereich gefunden wurde - das ist ja von einer privaten Firma offensichtlich aufgedeckt worden, die für sich genommen schärfere Kontrollen durchführten, als das sonst der Fall war - diejenigen, die davon Kenntnis genommen haben, das nicht weitergegeben haben an die Bundesbehörde, dass hier sofort reagiert werden konnte und dass man möglicherweise die Warenströme, die damals noch übersehbar waren, nachvollzogen hätte und dann sagen konnte, wir wissen genau, dass es daher kommt. Jetzt haben wir einen langen Zeitraum, in dem weiterhin gehandelt wurde, auch von Firmen, die offensichtlich trotz Kenntnis weiterhin dieses Futter ausgeliefert haben, auch von Firmen, die Fleisch hergestellt haben, die ebenso ausgeliefert haben. Das alles fördert nicht das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher und hätte durch konsequentes Handeln verhindert werden können.

    Durak: Schließen Sie denn aus, dass Erkenntnisse über Ursachen, Verteilungswege und ähnliches zurückgehalten werden von Beteiligten?

    Baringdorf: Wissen Sie ich denke, dass bei solchen Vorfällen, ob das nun Dioxin ist oder ob das BSE war, in diesem Fall jetzt Nitrofen, eines klar ist: das fällt nicht vom Himmel. Da gibt es immer Menschen, die verursachen, die möglicherweise ihren Vorteil gesucht haben und die dann alles tun, nicht zur Aufklärung beizutragen, sondern Nebel zu werfen, die sich zurücklehnen und die anderen strampeln lassen. Das ist einfach ärgerlich, kann zornig machen, aber nun ist es mal so. Ich hoffe, dass die Staatsanwaltschaft hier weiterhin ihre Arbeit tut und dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

    Durak: Wir hören aus Malchin vom Vermieter dieser Gifthalle, wie sie inzwischen schon genannt wird, dass er Dokumente besäße die beweisen, dass jeder Eigentümer und auch jeder Mieter seit 1990 genau wissen müsste, dass zu DDR-Zeiten in der Halle Pflanzengifte gelagert wurden, und das letzte Mal sei 1995 entgiftet worden. Will sagen diejenigen, die dort Getreide für die weitere Ökoverwendung gelagert haben, die hätten dies wissen müssen?

    Baringdorf: Frau Durak, wenn Sie mit Bauern und Bäuerinnen reden, dann ist denen sofort klar gewesen, dass das entweder ganz verrückt sein muss, was da passiert ist, oder dass etwas mehr dahinter steckt als nur Fahrlässigkeit. So dumm kann man eigentlich nicht sein, in solchen Hallen dann zu lagern, wenn nicht sichergestellt ist, dass tatsächlich kein Restgift mehr drin ist. Von daher bin ich auf die Zukunft gespannt, was die Staatsanwaltschaft finden wird. Es muss hier mehr gewesen sein als nur jemand, der nicht genau hingeschaut hat.

    Durak: Was muss mehr gewesen sein?

    Baringdorf: Es muss mehr gewesen sein an tatsächlicher Absicht dahinter, als nur in einer verkehrten Halle gelagert zu haben. Das alles nach Malchin hindeutet, daran gibt es jetzt offensichtlich wohl keine Zweifel mehr, aber was da genau vorgefallen ist denke ich müsste geklärt werden.

    Durak: Sie vermuten also gezielte Anschläge gegen die Ökolandwirtschaft?

    Baringdorf: Nein, keine gezielten Anschläge gegen die Ökolandwirtschaft. Auch das ist nicht auszuschließen, aber das ist nicht meine Richtung, sondern meine Richtung ist, dass hier mit Absicht gepanscht worden ist und dass dabei dann etwas unterlaufen ist, was sie selber nicht gewollt haben. Als sie es dann gemerkt haben, haben sie versucht, das zu vertuschen und zu sagen, na ja, wenn wir es weiterhin ausliefern, dann wird das wohl unter der Decke gehalten werden können.

    Durak: Die Ökoverbände, so war zu lesen, wollen nach Ende Juni einen Bund der ökologischen Lebensmittelwirtschaft gründen. Ist das noch sinnvoll oder gerade jetzt?

    Baringdorf: Das ist sicherlich sinnvoll. Sie sind ja vorher gerade auseinandergegangen. Die Arbeitsgemeinschaft ökologischer Landbau ist auseinandergefallen. Das jetzt zusammenzufassen, ist sicherlich vernünftig. Wir von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft wollen unseren politischen Einfluss geltend machen, damit es hier zu einer stärkeren Konzertierung kommt. Das darf aber nicht nur ein loser Zusammenschluss sein, sondern es muss die Arbeit geleistet werden, wie können wir in einem wachsenden Markt, in einem boomenden Markt wie dem Ökomarkt die Kriterien, die bislang gegolten haben, die Wertvorstellungen bäuerlicher Landwirtschaft in diesen Markt hineinziehen. Das dies geht und dass auch in größeren Strukturen, auch in industrieller Produktion Wertvorstellungen von bäuerlicher Sichtweise gehandhabt werden, das sieht man - das will ich auch gerne nennen - in dem Hipp-Konzern. Hier stehen die mit ihrem Namen dafür. Diese Richtung muss eingeschlagen werden, weil man das natürlich nicht alles über Naturkostläden, über Hofläden, über den Wochenmarkt erreichen kann, wenn wir von 2 auf 20 Prozent steigen.

    Durak: Welche politische Unterstützung ist dazu zwingend notwendig?

    Baringdorf: Es müssen sich in diesem Bereich nicht nur die Strukturen angesehen werden, sondern auch welche Personen handeln dort. Und wenn wir Personen haben, die schon im konventionellen Bereich unangenehm und negativ aufgefallen sind, wenn wir meinen, dass Strukturen wie Vertragslandwirtschaft eins zu eins auf Biolandwirtschaft übertragen werden könnten, dann muss man sich nicht wundern, dass es zu solchen Fehlleistungen, Fehlentgleisungen kommt. Von daher denke ich, auch die Bauern und Bäuerinnen, die erzeugen, die Verbraucher und Verbraucherinnen dürfen ihre Verantwortung nicht abgeben, nicht am Hoftor, nicht an der Ladentheke, sondern sie müssen entscheiden, mit wem arbeiten sie zusammen, von wem kaufen sie. Das geht nicht nur, indem man sich direkt in die Pflicht nimmt, indem man sich kennt, sondern dass auch Firmen mit ihrem Namen für eine bestimmte Wirtschaftsweise und Angebotsweise stehen.

    Durak: Wilhelm Graefe zu Baringdorf, stellvertretender Vorsitzender des Agrarausschusses im Europa-Parlament und selbst engagierter Landwirt. - Herzlichen Dank für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio