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Konsequenzen aus der Katastrophe von Winnenden

Die Autorin Ines Geipel hat eine Verschärfung der Waffengesetze als Konsequenz aus dem Amoklauf von Winnenden gefordert. Private Schusswaffen müssten aus den Haushalten raus, mahnte Geipel, die ein Sachbuch über den Amoklauf in Erfurt geschrieben hat. Nach Erfurt sei in dieser Frage nur "ein bisschen Klein-Klein" passiert. Man müsse aber die Frage stellen, warum in privaten Haushalten derart Munition und Waffen gehortet werden.

Ines Geipel im Gespräch mit Jochen Spengler | 12.03.2009
    Jochen Spengler: Das eigentlich nicht zu begreifende begreifen zu wollen, das hat Ines Geipel versucht. Sie war in der DDR Leistungssportlerin, wurde dort ohne ihr Wissen gedopt, engagiert sich heute gegen Doping im Sport, ist Professorin an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin und Schriftstellerin. Deswegen sprechen wir heute mit ihr, weil sie das Schulmassaker am Erfurter Gutenberg-Gymnasium vor fast genau sieben Jahren in einer literarischen Dokumentation aufgearbeitet hat. Ihr Buch heißt "Für heute reicht's. Amok in Erfurt". - Guten Morgen, Frau Geipel.

    Ines Geipel: Guten Morgen!

    Spengler: Als Sie gestern die Nachrichten vom Amoklauf in Winnenden gehört haben, war das für Sie ein Deja-vu-Erlebnis?

    Geipel: Na gut, es ist klar: Die Analogien liegen auf der Hand. In dem Sinne gibt es natürlich - wir wissen genug im Grunde über das Täterprofil, über diese Jungs, die mit Allmachtsphantasien losgehen und an Schulen schießen -, insofern gibt es da natürlich Parallelen. Aber wenn ich mich sozusagen auf das Deja-vu einlasse, dann lasse ich mich auf die Wiederholung ein, und das möchte ich eigentlich an der Stelle nicht, weil es muss jetzt hier an der Stelle auch wirklich eine Konsequenz geben.

    Spengler: Die bislang nicht gezogen wurde?

    Geipel: Nein, absolut nicht. Es gab ein paar Veränderungen bei der Polizei nach Erfurt. Die haben sich, glaube ich, viel Mühe gegeben. Aber ansonsten ist da herzlich wenig passiert. Zum Beispiel würde ich jetzt sehr vorschlagen und die Frage stellen, warum muss in privaten Haushalten derart Munition und Waffen gehortet werden. Da müssen wir jetzt, glaube ich, wirklich darüber sprechen.

    Spengler: Nun sind, Frau Geipel, die Waffengesetze verschärft worden. Es wurden Krisenteams an Schulen gebildet. Alle Stellen sagen uns, es ist viel passiert seit Erfurt.

    Geipel: Ja. Das wird natürlich gesagt, aber was ist dieses Waffengesetz? Da geht es um drei Jahre und ein bisschen Klein-Klein. Möglich ist, dass ein Junge am Morgen aufsteht, in den Nebenraum geht und sich eine Waffe holt und dann schießt, und das, glaube ich, hier müssen wir wirklich ein Break machen und nicht alles wegmoderieren und die Katastrophe wegsprechen, sondern sagen, an der Stelle können wir etwas tun, also müssen wir es auch tun.

    Spengler: Was haben wir aus Erfurt noch nicht gelernt?

    Geipel: Ja, dass so eine Katastrophe wirklich Konsequenzen fordert, dass wir uns nicht einrichten in dieser Art Krieg, Alltagskrieg.

    Spengler: Das heißt, Sie würden was vorschlagen, dass private Schusswaffen zu Hause verboten werden, oder wie verstehe ich das?

    Geipel: Ja. Man muss sich natürlich mit den Schützenvereinen auseinandersetzen. Es kann ja geschossen werden, aber in Räumen, wo dann diese Personen diese Waffen wieder abgeben. Wir sagen: Okay, für uns ist das nicht Normalität, dass ein Schüler in die Schule geht und die Eltern sozusagen annehmen müssen, dass er nicht lebend zurückkommt. Wo leben wir denn?

    Spengler: Haben Sie Angst um Kinder?

    Geipel: Ja, natürlich! Ich kann mich an diese Debatte - die ging ja sehr, sehr weit und war sehr intensiv -, Erfurt ist sozusagen das Exorbitäre, das ist die Katastrophe, die vom Himmel fällt ... Jetzt ist die Katastrophe wieder da. Ich bin damals sehr ruhiggestellt worden in dem Sinne: Ich bin Alarmistin. Und jetzt sage ich: Nein, nicht mehr wegsprechen, sondern handeln.

    Spengler: Glauben Sie wirklich, dass man mit Maßnahmen welcher Art auch immer absolute Sicherheit erreichen kann? Müssen wir nicht akzeptieren, dass wir eigentlich ziemlich hilflos sind, wenn es darum geht, so etwas zu verhindern?

    Geipel: Ja, das ist klar. Es gibt sozusagen diese speziellen Geschichten von Jugendlichen, jungen Männern. Das liegt auf der Hand. Aber an den Stellen, wo wir wirklich etwas tun können, müssen wir es tun. Wir sind verantwortlich dafür.

    Spengler: Dann sagen Sie uns, wo wir noch etwas tun können?

    Geipel: Es gibt ja verschiedene Vorschläge - also sozusagen die Software, die ich auch wichtig finde, mit in Beziehung gehen. Frau von der Leyen hat gestern einen Vorschlag gemacht. Das ist alles richtig und möglich. Aber zu allererst müssen die Waffen aus den Haushalten raus. Und ich weiß, da legt man sich an mit der Waffenlobby, mit dem konservativen Milieu, aber ich glaube, wenn wir das deutlich machen und als Problem auch wirklich setzen, haben wir jetzt in diesem Moment des Erschreckens eine Chance, an den Bundestag heranzugehen. Es gibt einen Aufruf. Wir haben gestern Abend noch gesessen, Kollegen, Schriftsteller, die sagen, das ist ein Irrsinn, den wollen wir nicht hinnehmen, und insofern wollen wir auch heute damit an die Öffentlichkeit gehen.

    Spengler: Ich habe die Krisenteams in den Schulen angesprochen. Reicht das?

    Geipel: Wir wissen, dass Schule ein Resonanzboden für vieles ist. Deswegen gehen die Täter ja auch genau dahin. Ich glaube, alle diese Geschichten sind gut, sind wichtig, und trotzdem: Ich bleibe hier jetzt mal ganz energisch an diesem einen Strang und sage: Raus mit den Waffen. Es gibt jährlich eine Million Waffen mehr in privaten Haushalten. Warum? An irgendeiner Stelle müssen wir wirklich mal eine Konsequenz zeigen.

    Spengler: Danke für das Gespräch. - Ines Geipel, ehemals DDR-Leistungssportlerin, dann Professorin an der Hochschule für Schauspielkunst und Schriftstellerin.