Freitag, 29. März 2024

Archiv


Konsequenzen aus Doping-Studie?

In den 70er und 80er Jahren soll im westdeutschen Sport mit System gedopt worden sein, Steuergeld für Dopingforschung soll geflossen sein - so steht es in der viel diskutierten Doping-Studie der Berliner Humboldt-Universität. Heikel genug, um eine Sondersitzung des Bundestags-Sportausschusses einzuberufen. Doch dabei kam erwartungsgemäß wenig Konkretes heraus.

Von Bastian Rudde | 07.09.2013
    Der, auf den alle gewartet hatten, kam als letzter - aber er kam voller Elan: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. Auf in die Sondersitzung des Sportausschusses mit bayerischer Jovialität.
    "Frau Vorsitzende! Servus! Geht’s gut?"

    "Herr Minister, es geht bestens! Vielen Dank!"

    Was Herr Minister im Sportausschuss zu sagen hatte, war dann allerdings weniger schwungvoll. Ja, für das Thema Doping sei man früher nicht so sensibilisiert gewesen, von Staatsseite habe man weniger durchgegriffen als heute. Aber:

    "Es war eben eine andere Zeit mit anderen Maßstäben. Das werden wir also in der weiteren Auswertung der Studie sowohl beim DOSB als auch im Innenministerium entsprechend bewerten."

    Das Ministerium und der Deutsche Olympische Sportbund DOSB sind die entscheidenden Stellen, wenn es um die Aufarbeitung des westdeutschen Dopings geht. Das für den Sport zuständige Ministerium hatte die Studie mit etwas mehr als einer halben Million Euro finanziert, der DOSB und sein Generaldirektor Michael Vesper positionieren sich gerne als ihr Initiator.

    "Wir wollten diese Studie, wir wollen sie. Und wir werden uns jetzt mit ihren Ergebnissen sehr ernsthaft auseinandersetzen."

    Allerdings erst mal eher zurückhaltend. Der DOSB hat eine Kommission eingerichtet. Sie soll empfehlen, welche Konsequenzen man aus der Studie ziehen könnte. Ein Zwischenbericht soll bis Ende des Jahres vorliegen. Leere Worthülsen statt dringend notwendiger Taten, findet die sportpolitische Sprecherin der Grünen, Viola von Cramon. Sie fordert:

    "Keine weitere Kommission des DOSB, sondern jetzt zu handeln! Es steht doch alles in den Studien drin, was zu machen ist! Mit welchen Experten sollen sie denn noch reden?"

    Zum Beispiel mit Udo Steiner. Der ehemalige Bundes-Verfassungsrichter leitet die Kommission. Beim DOSB ist Steiner eine Art Allzweckwaffe für´s Krisenmanagement. 2009 gab der DOSB die deutschen Springreiter und deren laxen Umgang mit verbotener Medikation in Steiners Hände. Im gleichen Jahr kümmerte er sich auch darum, wie mit Leichtathletik-Trainern umzugehen sei, die in der DDR ihre Athleten gedopt hatten und nach der Wiedervereinigung immer noch für deutsche Medaillen sorgten. Nachdem sie versichert hatten, seit der Wende sauber zu arbeiten, empfahl Steiner größtenteils deren Weiterbeschäftigung. Für Doping-Opfer wie Ines Geipel damals ein unhaltbarer Kompromiss. Im Sportausschuss saß Geipel unter den Zuhörern - und zog ein enttäuschtes Fazit.

    "Diese dreieinhalb Stunden waren sehr bizarre Stunden. Ich sehe keine Korrektive aus dem Sportausschuss heraus, diese wirklich massive Problematik, die wir im Sport haben, in irgendeiner Weise zu handeln."

    Während der dreieinhalb Stunden hatte sich abgezeichnet, welche Konsequenzen Innenministerium und DOSB zukünftig aus der Studie ziehen könnten. Wahrscheinlich wenige. Denn vor dem Ausschuss ging es vor allem um die vermeintlichen Schwächen der Studie. Bemerkenswert waren hier vor allem die Äußerungen von Andrea Gotzmann. Sie ist Chefin der Nationalen Anti Doping Agentur NADA, saß im wissenschaftlichen Beirat der Studie und wird beim DOSB nun zur Kommission gehören, die Konsequenzen vorschlagen soll. Gotzmanns Kritik an den Forschern der Humboldt-Universität Berlin, die für den brisanteren Teil der Studie gesorgt hatten, war eindeutig.

    "Konstruktive, fachliche Verbesserungsvorschläge wurden schlichtweg ignoriert. Zum Beispiel Interpretation und Herleitung zu Ephedrin bei Fußballern 1966 sind pharmakologisch gesehen - Entschuldigung, das ist höflich! - abenteuerlich. Ein geschlossener Rücktritt des wissenschaftlichen Beirats stand im April 2012 kurz bevor."

    Die Berliner Forscher wähnten sich vor dem Ausschuss einer vorher wohl koordinierten Breitseite ausgesetzt und widersprachen den Vorwürfen. Inhaltlich und organisatorisch. Auf jede Anregung des Beirats hätten sie geantwortet und vergeblich auf die Veröffentlichung dieser Schriftwechsel gedrängt. Für Gerhard Treutlein - als unabhängiger Gutachter einbestellt - alles Punkte, die viel zu sehr ins Detail gingen.

    "Wir sollten vielmehr etwas die große Linie auch beachten. Nämlich Kontinuitäten, die es seit Jahrzehnten gegeben hat und auch bis heute: Über Jahrzehnte hinweg haben die Selbstreinigungskräfte haben die Selbstreinigungskräfte des Sports nicht gegriffen. Sie haben versagt!"

    Das dürfte - unabhängig davon, wie es nun weitergeht - wohl das wichtigste Signal sein, dass die Berliner Wissenschaftler in die Welt gesendet haben. Eigentlich hätten sie Doping in Westdeutschland von 1950 bis heute untersuchen sollen. Sie kamen aber nur bis 1990. Dann fehlte aus bisher nicht nachvollziehbaren Gründen das Geld. Dass es bald frisches für neue Forschungen gibt, wollte Innenminister Friedrich noch nicht zusagen. In einem anderen Punkt wurde er konkreter. Für Ende September kündigte Friedrich eine Expertenrunde zu einem Anti-Doping-Gesetz an.

    "Die Staatsanwälte, insbesondere in den Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften sagen, wir brauchen neue Instrumente, neue Möglichkeiten, um vor allem an die Hintermänner ranzukommen. Das sind gute Argumente, die sich hören lassen!"

    Und die jetzt auch bei Friedrich ankommen. Bis vor einigen Monaten war er noch gegen ein eigenes Anti-Doping-Gesetz. Das gibt es bisher nicht. Ein Passus im Arzneimittelgesetz ist neben den Sanktionsmöglichkeiten, die der Sport selber hat, die einzige juristische Handhabe. Zu dünn, um nicht nur an dopende Sportler selbst, sondern auch an die Strippenzieher im Hintergrund zu kommen, sagen Kritiker wie die Sportausschuss-Vorsitzende Dagmar Freitag von der SPD schon lange.

    "Allerdings: Es kommt nicht nur auf den Titel an. Ich warne davor, zu früh zu euphorisch zu sein. Entscheidend wird sein, was im Gesetz hinterher dann auch drinsteht."

    18 bis 20 Experten sollen ab dem 26. September über mögliche Inhalte verhandeln, kündigte Innenminister Friedrich an. Auch der DOSB soll dann mit am Tisch sitzen. Der Sportbund und sein Präsident Thomas Bach sind entschiedene Gegner einer Gesetzesverschärfung. Sie halten die aktuellen Möglichkeiten für ausreichend. Vor dem kommenden Dienstag wird sich an dieser Position wahrscheinlich auch nichts mehr ändern. Dann will sich Thomas Bach in Buenos Aires zum Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees wählen lassen. Bis dahin gibt es Wichtigeres. Ob der DOSB seine Position auch nach der Wahl noch hält, ist eine spannende Frage.