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Konstanten in Bewegung

Sie sind die Grundfesten des physikalischen Weltbildes: die fundamentalen Naturkonstanten wie etwa die Lichtgeschwindigkeit. Eigentlich dürften sie sich niemals ändern. Seit einigen Jahren gibt es jedoch Messungen, die nahe legen, dass die Konstanten tatsächlich in Bewegung sind - und es gibt wiederum andere Messungen, die versuchen, genau das zu widerlegen. Längst ist unter Physikern ein Streit über die Konstanz ihrer Konstanten entbrannt.

Von Björn Schwentker | 20.07.2006
    Die Aufregung war groß, als australische Physiker vor fünf Jahren berichteten, die Naturkonstanten würden sich mit der Zeit verändern. Sie hatten gemessen, wie sich das Licht von im Weltall weit entfernten Quasaren verändert, wenn es durch intergalaktische Gaswolken scheint. Das damalige Ergebnis: Die fundamentale Konstante "Alpha" hat sich in den vergangenen zehn Milliarden Jahren um etwa ein Hunderttausendstel erhöht. Die Zahl Alpha beeinflusst, welche Farbe von Licht Atome ausstrahlen und wie stark chemische Bindungen sind. Auch eine winzige Änderung von Alpha bedeute eine kosmologische Revolution, sagt der Physiker Victor Flambaum von der University of New South Wales im australischen Sydney. Er war an der Entdeckung vor fünf Jahren beteiligt.

    " Die Physiker brauchen eine neue Theorie. Denn die Änderung der Konstanten widerspricht allen bestehenden theoretischen Modellen. Auch wenn die Änderung nur sehr klein ist, brauchen wir ganz neue Ideen. Es ist eine komplett andere Welt. "

    Doch im letzten Jahr schien die Welt plötzlich wieder in Ordnung zu sein. US-amerikanische Astronomen präsentierten neue Messergebnisse von Quasaren, und die zeigten keine Veränderung der Naturkonstanten. Für den Australier Victor Flambaum ist das jedoch kein Beweis:

    " Für die widersprüchlichen Ergebnisse wurden zwei verschiedene Teleskope benutzt. Das eine schaut in den Süd- das andere in den Nordhimmel. Aber die Konstanten könnten dort jeweils verschieden sein, sich also auch mit dem Ort verändern, das ist nicht ausgeschlossen. "

    Ändern sich die Naturkonstanten, so würde dies das so genannte "Fine-Tuning"-Problem des Universums lösen: Hätten die fundamentalen Zahlen nicht auf viele Nachkommastellen genau ihre heutigen Werte, gäbe es überhaupt keine Menschen, die sich über die Naturkonstanten den Kopf zerbrechen könnten. Wäre etwa die starke Kernkraft, die die Atomkerne zusammenhält, nur um ein Promill kleiner oder größer, hätte sich kein Kohlenstoff bilden können und damit kein organisches Leben.

    " Wenn die Konstanten sich ändern, dann heißt das, dass der liebe Gott im Prinzip die Möglichkeit hatte, da ein bisschen was abzustimmen, er musste nicht das Universum schaffen mit irgendwie durch mathematische Prinzipien festgelegte Konstanten, und vielleicht erklärt das, warum wir in einem Universum leben, in dem Leben möglich ist. "

    Physik-Nobelpreisträger Theodor Hänsch von der LMU München ist nicht der einzige, der sich vorstellen kann, dass die "Konstanten" nicht wirklich konstant sind. Neue Messergebnisse, die zeigen, dass Alpha sich doch ändert, präsentierte nun der Atomphysiker Wim Ubachs von der Universität Amsterdam. Ubachs maß wie seine Vorgänger das Licht von Quasaren. Diesmal allerdings schien es durch Wolken, die aus reinem Wasserstoffgas bestanden, und nicht aus vielen verschiedenen Elementen, wie bei den älteren Messungen aus Australien oder den USA. Dadurch sind Ubachs Ergebnisse erheblich genauer. Denn die einfachen Gas-Moleküle aus zwei Wasserstoff-Atomen lassen sich optisch so präzise vermessen, wie kein anderer Stoff.

    " Das Problem ist, dass diese kalten Wolken aus Wasserstoffgas in einer Sichtlinie mit Quasaren bisher nur zweimal beobachtet wurden. Aber wir brauchen wirklich mehr Daten. Bisher sagen die Fakten: Hier könnte etwas faul sein, da könnte sich etwas ändern. Aber für eine definitive Aussage haben wir noch nicht genug Information. "

    Die Diskussion um die Konstanz der Konstanten dürfte die Physiker noch eine Weil ein Atem halten. Schon denken sie über eine neue Generation von Experimenten nach: Sie wollen zwei hochgenaue Atomuhren ins All schießen. Ticken sie nach ein paar Jahren verschieden, wäre das ein Hinweis, dass sich die Werte der Naturkonstanten auch heute noch ändern. Wenn, dann zwar nur minimal. Aber vielleicht bewegen sie sich eben doch.