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Konsum en vogue

Jetzt, wo unser geheiligtes Wirtschaftssystem wackelt wie ein unabbezahltes Karten-Haus im Sturm, macht ein Begriff allseits die Runde, der das Zeug zum Wort des Jahres hat: systemisch. Es müssen, deklarieren die Politiker in Chor, jetzt vor allem die Branchen unter den Rettungsschirm genommen werden, die "systemisch" wichtig sind.

Von Gabriele Killert | 26.02.2009
    An denen viel hängt. Die Not leidende Auto-Industrie. Und alles, was an der wiederum hängt. Und die Banken natürlich, die sogenannten "Staatsfinanzierer", die jetzt vom Staat finanziert werden müssen. Wer noch? Was ist mit uns, die wir gerade mal einen PC am Laufen halten? Sind wir systemisch irrelevant?

    Wohl kaum. Wir sind das Volk. Der großzügige Souverän. Der, der die Steuerspendierhosen an hat. Ab und zu erinnern sich unsere Volksvertreter daran wie der König in Leonce und Lena, der sich extra einen Knoten ins Taschentuch gemacht hat. Geradezu flehentlich appellieren sie an unsere Verantwortung als Konsumenten. Eine Siestastimmung lastet auf den Konsumtempeln, als ob der Fluch der bösen dreizehnten Fee nicht nur die Schaufensterpuppen in 100-jährigen Schlaf versetzt hätte. Wir sollen endlich aus unserer Seinsvergessenheit erwachen und das viele Geld, das wir gehortet haben, ausgeben. Ihr braucht kein neues Auto? Ihr findet Geländewagen blöd? Ihr wollt dem Ozonloch eine Verschnaufpause gönnen? Aber doch nicht jetzt, wo eine Verschnaufpause das letzte ist, was die Wirtschaft gebrauchen kann. Schluss mit unlustig! Kauft, kauft, kauft! Betrachtet es zur Not als Spende. Wir sind doch das spendenfreudigste Volk der Welt. So geht das seit Jahren.

    Vielleicht sind wir einfach nur erschöpft. Wir konsumieren ja schon seit langem quasi selbstlos. Wer bezieht denn noch eine Wohnung, nur weil er ein Dach über dem Kopf braucht? Was wir brauchen, haben wir vernünftigerweise längst vergessen. Wer befriedigt denn noch sein eigenes Bedürfnis, wenn er eine Jeans kauft. Ab und an funkt noch der lästige Verstand, laut Kant angeblich unser ureigenstes Bedürfnis, dazwischen: Lass' es sein. Du brauchst diese Jeans nicht. -Papperlapapp. Wir nehmen sie, wie man eine Patenschaft übernimmt. Weil wir systemisch nicht nur denken, sondern fühlen. Wir spendieren der Wirtschaft ja schon seit Jahren Milliarden als Stütze. Wer braucht denn noch den ganzen Kram, Handys, Laptops, Eierkocher. Wir schnüren Konjunkturpaketchen. Kaufrausch, Kaufzwang - wohl dem, der ihn noch hat. Alles systemische Impulse, Freiheit als automatisierte Einsicht in die Notwendigkeit. Nicht gerade nach Kant, aber im Sinne der Hegel'schen List der Vernunft.

    Auch die viel gescholtenen Banker: klar haben sie falsch beraten, betrogen und zu hohe Provisionen kassiert. Aber sie haben das doch nicht nur für sich getan. Wie schrieb schon Robert Musil: "Der Egoismus ist eine Fiktion der Moraltheoretiker; nur sein eigenes Wohl zu wollen, ist... durchaus keine bloß persönliche Angelegenheit. Der Wüstling, der bedeutende Verbrecher, der Eisige sind durchaus auch Spielarten des Altruismus..." Auch die Wüstlinge von Bankern und Brokern waren wohl selbstlos getrieben von dem Ethos des Wachstums - und Bereicherungsgedankens, dem unser Wirtschaftssystem verpflichtet ist. Es ging schwer daneben. Vielleicht sollte es das. Das System nimmt keine Rücksicht auf Verluste. Einem Wirtschaftswunder wie in den 50-er Jahren mussten ein bis zwei Weltkriege voraus gehen. Verglichen damit geht es uns mit dem mittleren Finanzmarktbeben ja bisher noch gold. Aber die Wüstlinge sollen jetzt gezähmt werden. Die EU-Wirtschaftsmächte haben sich am Wochenende bei ihrem Gipfeltreffen in Berlin auf die Notwendigkeit lückenloser Kontrollen inklusive eines "Frühwarnsystems" für Finanzkrisen verständigt und Angela Merkels Vorschlag einer "globalen Charta des nachhaltigen Wirtschaftens" heftig begrüßt.

    Das Ganze mag vielleicht nicht das Wahre sein, aber doch hoffentlich mehr als die Summe unseres geballten Unverstands?