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Wahl des Ersten Bürgermeisters in Hamburg
Führungswechsel an der Elbe

Hamburgs bisheriger Finanzsenator Peter Tschentscher soll die Nachfolge von Olaf Scholz antreten und Erster Bürgermeister Hamburgs werden. Seine Wahl gilt als sicher, doch noch ist er für viele Hamburger der "Mann ohne Eigenschaften" – bald aber kann er Profil zeigen.

Von Axel Schröder | 27.03.2018
    Portrait von Hamburgs neuem Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) vor einem roten Hamburg-Wappen.
    An diesem Mittwoch stellt sich Peter Tschentscher in der Bürgerschaft als neuer Hamburger Regierungschef zur Wahl (dpa/Daniel Bockwoldt)
    Peter Tschentscher nimmt die Stufen mit Leichtigkeit. Oben auf der Bühne winkt er seinem Publikum zu. Breites Lächeln im Gesicht. Am letzten Wochenende haben die Hamburger SPD-Mitglieder den bisherigen Finanzsenator zum Bürgermeisterkandidaten gekürt.
    "Ich freue mich ja ohnehin auf das Amt. Und das ist natürlich umso schöner, wenn das auch mit diesem Rückenwind dann losgehen kann. Und deswegen bin ich sehr zufrieden, um nicht zu sagen - ein bisschen auch glücklich."
    95,2 Prozent votierten für Peter Tschentscher. Einen Gegenkandidaten für die Scholz-Nachfolge als Bürgermeister gab es nicht. Auch für den Landesvorsitz gab es nur eine einzige Kandidatin: Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Leonhard wurde mit 94 Prozent ins Amt gewählt.
    "Ich fühle mich sehr geehrt, so eine tolle Vertrauensbestätigung von den Mitgliedern bekommen zu haben. Ich freue mich auf die neue Aufgabe, denn ich werde mit vielen tollen Leuten sicherlich noch eine ganze Menge auf die Beine stellen."
    Abschied von Olaf Scholz
    Lange hatten die Sozialdemokraten hinter verschlossenen Türen über die Vergabe der beiden einflussreichen Posten gestritten, die Olaf Scholz sieben Jahre lang in Personalunion innehatte. Und bereits am Mittwoch soll Peter Tschentscher zum Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg gewählt werden. Angesichts der rot-grünen Mehrheit in der Hamburgischen Bürgerschaft eine Formsache.
    Olaf Scholz verabschiedeten die Sozialdemokraten mit Standing Ovations. In den Pausen zwischen den Wahlgängen schüttelte der alte Bürgermeister und neue Vizekanzler und Finanzminister politischen Weggefährten die Hand, hielt Smalltalk, lachte, klopfte Schultern, war so gelöst wie selten. Immer im Hintergrund: zwei Personenschützer des Bundeskriminalamts.
    Letzten Samstag, morgens um elf, hatte Olaf Scholz den Landesparteitag der Hamburger SPD als erster Redner eröffnet. Und die Gelegenheit für ein Resümee seiner siebenjährigen Amtszeit an der Elbe genutzt.
    "Das war was! Zum Beispiel, dass wir immer dafür gesorgt haben, dass die Wirtschaft hier gut läuft und dass es viele Arbeitsplätze gibt. Wir haben ein riesiges Wachstum sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze gehabt und es geht auch noch weiter. Das wird eine großartige Entwicklung auch für die nächste Zeit sein."
    Scholz erwähnt den unter seiner Ägide vorangetriebenen Wohnungsbau, gebührenfreie KiTa-Plätze, die Fertigstellung der Elbphilharmonie. Und geht dann auch auf das ein, was ihm als Bürgermeister nicht geglückt ist:
    "Klar, auch das muss gesagt werden: Nicht alle Projekte sind so verlaufen, wie wir uns das vorgestellt haben. Ich nenne mal unsere Bewerbung für Olympia. Der Schmerz ist schon kleiner geworden, aber ab und zu denke ich schon: ‚Ach, ach…‘ Und natürlich hätten wir uns schon vorgestellt, dass das Sicherheitskonzept bei dem G20-Gipfel in Hamburg vermieden hätte, dass die Dinge passiert sind, die wir dann mit den schlimmen Bildern gesehen haben. Und trotzdem, glaube ich, bleibt es eine gute Bilanz."
    Der neue Bundesfinanzminister Olaf Scholz beklatscht Peter Tschentscher, der als Kandidat für das Amt des Ersten Bürgermeisters nominiert wurde. 
    Bundesfinanzminister Olaf Scholz wurde mit Standing Ovations verabschiedet, er beklatschte seinen designierten Nachfolger als Hamburgs Bürgermeister, Peter Tschentscher (dpa-Bildfunk / Daniel Reinhardt)
    Tschentscher will auch für ältere Menschen da sein
    Auf dieser Bilanz will sein Nachfolger aufbauen. In seiner Bewerbungsrede machte Peter Tschentscher klar: Er wird Kurs halten, den Wohnungsbau weiter forcieren, gute Bedingungen für Unternehmen schaffen und endlich, wenn alle Auflagen erfüllt sind, auch die Elbvertiefung in Angriff nehmen. Für ein "gutes, bezahlbares Leben für alle Hamburgerinnen und Hamburger" will er kämpfen. Der einzige neue Akzent, den Peter Tschentscher in seiner Rede setzt: Die Hansestadt solle lebenswerter auch für ältere Menschen werden:
    "Man fragt sich schneller als erwartet: Wie geht das jetzt mit den eigenen Großeltern, mit den Eltern, mit mir? Wie stelle ich mir das vor, wenn ich mal älter werde? Ich halte das Thema des Alters für ein wichtiges, eigenständiges Thema der Politik, in der wir viele Dinge beachten müssen. Es geht um medizinische Versorgung und Pflege. Es geht um gute Senioren- und Pflegeheime, altersgerechte Wohnformen, betreutes Wohnen. Es geht auch um Läden und Arztpraxen in den Quartieren, Grünanlagen mit Bänken."
    Und um barrierefreie U- und S-Bahn-Stationen, damit die Menschen auch im Alter mobil bleiben können, sagt der 51jährige.
    Dass der studierte Mediziner und langjährige Finanzsenator Olaf Scholz als Bürgermeister nachfolgen würde, war noch vor drei Wochen, keineswegs ausgemacht. Seit klar war, dass Olaf Scholz nach Berlin wechseln würden, wurden vor allem zwei Personen als potentielle Nachfolger gehandelt: Sozialsenatorin Melanie Leonhard und der Fraktionschef der SPD in der Bürgerschaft Andreas Dressel.
    Aber schnell war klar: Die Sozialsenatorin und Mutter wollte aus Rücksicht auf ihre Familie nicht als Erste Bürgermeisterin antreten. Auch Andreas Dressel zögerte, aus den gleichen Gründen wie seine Genossin. Scholz fragte Peter Tschentscher. Und der stand bereit.
    "Dass ich dabei das Amt des Ersten Bürgermeisters übernehmen soll, das ist eine große Ehre. Eine wichtige Aufgabe, die ich sehr gerne annehme. Und ich bedanke mich für das Vertrauen."
    "Kennen Sie den Neuen schon?"
    "Nein."
    "Wissen Sie, wie er heißt?"
    "Nein."
    "Peter Tschentscher? Ehemals Finanzsenator."
    "OK."
    Kaum bekannt in Hamburg
    Wer Peter Tschentscher ist, für welche Politik, welchen Politikstil er steht, das wird der zukünftige Bürgermeister den Hamburgerinnen und Hamburgern erst noch erklären müssen. Als Finanzsenator stand er selten im Rampenlicht und ist noch wenig bekannt in der Hansestadt.
    "Peter. Peter heißt er. Peter Tschentscher heißt er. Genau."
    "Ich kenne ihn und ich finde ihn sehr gut. Überzeugend. Sehr klar. Ehrlich. Nicht protzig."
    "Ich weiß nicht viel von ihm. Man muss gucken, wie es wird, wie er sich entwickelt, was er einbringt."
    Überrascht von der Wahl Tschentschers war auch der Hamburger Politik-Professor Kai-Uwe Schnapp. An der fachlichen Qualifikation des Sozialdemokraten, der als Finanzsenator einen Einblick in die Arbeit aller Ressorts und Verwaltungsgliederungen hatte, bestehe aber kein Zweifel:
    "Tschentscher hat selbst als Person viel Erfahrung in Regierungsarbeit. Auch in sehr verantwortungsvoller Regierungsarbeit, wenn man bedenkt, dass er Finanzsenator gewesen ist, oder noch ist. Aber er ist nicht in der Öffentlichkeit aufgetaucht. Tschentscher muss insbesondere auch die Aufgabe annehmen, als Erster Bürgermeister, der er bald sein wird, sich ein öffentliches Profil zu verschaffen, eine Person zu werden, die man in der Stadt kennt, die man mit etwas verbindet. Im Moment ist er ein bisschen der 'Mann ohne Eigenschaften'."
    In seiner leisen und zumindest in der Öffentlichkeit wenig impulsiven Art ist der künftige Bürgermeister seinem Vorgänger sehr ähnlich. Flammende, scharfzüngige Reden von Peter Tschentscher sind eine Seltenheit. Sachlich und nüchtern waren seine Auftritte als Oppositionspolitiker in den Untersuchungsausschüssen zum Kostendebakel der Elbphilharmonie und zu den Finanzgeschäften der HSH Nordbank, deren Verkauf er als Finanzsenator erfolgreich vorbereitet hat.
    Olaf Scholz holte absolute Mehrheit für die SPD
    Ein zweiter Olaf Scholz sei er aber ganz sicher nicht, erklärt Tschentscher am Rande des Landesparteitags. Die Vergleiche mit seinem Vorgänger seien im Übrigen kein Ärgernis, sondern eine Auszeichnung:
    "Zunächst einmal sind die Ähnlichkeiten, die man mir mit Olaf Scholz nachsagt, nicht unangenehm. Ich empfinde das als sehr positiv, denn Olaf Scholz ist einer der besten Politiker Deutschlands. Vieles verbindet uns wirklich. Das genaue Nachdenken, bevor wir Entscheidungen treffen, immer an die nächsten und übernächsten Schritte denken, das ist auch etwas, was ich von Olaf Scholz gelernt habe in den letzten sieben Jahren."
    Sieben Jahre lang hat Olaf Scholz die Freie und Hansestadt Hamburg und die SPD an der Elbe geprägt. Mit dem Versprechen, die Stadt "ordentlich zu regieren", war er angetreten. Und hat es auf vielen Feldern auch eingelöst. Und es gelang ihm, seiner Partei wieder die solide Basis in der Stadt zu verschaffen, die sie jahrzehntelang innehatte und die erst unter dem SPD-Bürgermeister Ortwin Runde immer mehr erodiert war.
    Zerrieben von Flügelkämpfen und persönlichen Attacken untereinander, mussten die Genossen an der Elbe 2001 die Macht an die CDU unter Ole von Beust abgeben.
    Olaf Scholz ist damals Bundesarbeitsminister. Er kennt die Stadt aus seiner Zeit als Bezirkspolitiker und Innensenator, kehrt als Retter in der Not an die Elbe zurück, holt im ersten Anlauf die absolute Mehrheit für die SPD und lässt sich am Wahlabend von seiner Partei feiern.
    "Das ist ein wichtiger Auftrag! Es geht um viele Dinge: um solide Finanzen, um die Wirtschaft, um den Wohnungsbau, um das, was für die KiTas, die Schulen tun können, die Universitäten, die Kunst und die Sicherheit. Ein großes, wichtiges Themenspektrum, das in Hamburg jetzt anzupacken ist! Wir werden uns an die Arbeit machen!"
    Olaf Scholz wird Bürgermeister und gleichzeitig Landeschef. "Wer Führung bestellt, der bekommt sie auch!" lautete das Credo des Machtpolitikers. Und das, erklärt der Politologe und Politikberater Elmar Wiesendahl, hätten die Hamburger Genossen auch akzeptiert.
    "Er ist der Boss. Und er hat Gefolgschaft. Das ist ihm geglückt. Das heißt, diese Partei ist in sich in der Balance, aber lässt das vermissen, was Sozialdemokratie darstellt: Diskurs, Debattenfreude und auch oppositioneller Geist. Das heißt, der Eigensinn dieser Hamburger SPD ist verschwunden."
    Ole von Beust, der ehemalige Erste Bürgermeister von Hamburg
    Die Genossen an der Elbe mussten 2001 die Macht an die CDU unter Ole von Beust abgeben (picture alliance / Daniel Reinhardt / dpa)
    Einsatz für Wohnungsbau und Kindertagesstätten
    Die Beliebtheitswerte des einst als "Scholzomat", als Experte für öde gestanzte Reden verschrienen Politikers, steigen als Hamburger Bürgermeister. Den Malus des drögen Fachmanns wendet er in der Hansestadt in einen Bonus: tritt auf als hanseatisch-zurückhaltender Typ, der nicht viele Worte macht. Vor allem aber hat er ganz originär sozialdemokratische Ideen für Hamburg. Und setzt diese Ideen dann Schritt für Schritt um. Elmar Wiesendahl:
    "Er bestimmt die Richtlinien der Politik nicht nur im Visionären, sondern im Konkreten. Er betreibt das operative Geschäft, was auch ungewöhnlich ist. Er ist Kümmerer, er ist extrem fleißig, er liest Akten, ganz im Gegensatz zu seinem Vorgänger. Das heißt, er ist wirklich derjenige, der auf dem Karren sitzt und ihn aus dem Dreck zieht. Er betreibt Politik im konkreten, alltäglichen Sinne."
    Der Bürgermeister erreicht in Verhandlungen mit der Immobilienwirtschaft, dass jedes Jahr rund 10.000 Wohnungen neu gebaut werden. Ein Drittel davon als Sozialwohnungen. Die Ganztagsbetreuung an den Schulen wird mittlerweile flächendeckend angeboten, die KiTa-Gebühren wurden abgeschafft. Olaf Scholz persönlich handelte mit dem Chef des Baukonzerns Hochtief neue Verträge für den Bau der Elbphilharmonie, die die Kosten und den Eröffnungstermin festschrieben. Als erstes Bundesland richtete Hamburg Jugendberufsagenturen ein, um jungen Menschen den Einstieg ins Erwerbsleben zu ebnen. Und auch die Flüchtlingskrise managten Olaf Scholz und der von ihm berufene Flüchtlingskoordinator fast geräuschlos.
    Erste Risse bekam das Scholz'sche Konzept des "ordentlichen Regierens" durch das Scheitern der Hamburger Olympiabewerbung. In einem Volksentscheid lehnte eine knappe Mehrheit diese Pläne ab. Olaf Scholz war zerknirscht. Und ging zur Tagesordnung über. Nach den Ausschreitungen beim G20-Gipfel im Juli letzten Jahres war das nicht möglich. Im Vorfeld hatte er die Bedenken auch aus Polizeikreisen belächelt und eine Sicherheitsgarantie für die Gipfeltage abgegeben. Nach den Krawallen ließ sich Olaf Scholz fast eine Woche lang Zeit, der verstörten Hamburger Bevölkerung öffentlich zu erklären, wie es zu den Ausschreitungen kommen konnte. Und nur auf Drängen seiner Genossinnen und Genossen rang er sich dazu durch, sich zu entschuldigen.
    G20-Gipfel unterschätzt
    "Es ist aber trotz aller Vorbereitungen nicht durchweg gelungen, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Nicht zu jedem Zeitpunkt und nicht überall. Dafür, dass das geschehen ist, bitte ich die Hamburgerinnen und Hamburger um Entschuldigung."
    Allerdings, schränkte Olaf Scholz gleich ein, seien die Gewalttäter die wahren Schuldigen. Die von vielen Beobachtern kritisierte Polizeigewalt hätte es nicht gegeben. Seine Entscheidung, der Bitte der Bundeskanzlerin nachzukommen und einem Gipfel in der Hansestadt mit ihrer sehr aktiven linksautonomen Szene zuzustimmen, stellte der Bürgermeister nicht in Frage. Viele Hamburger nehmen ihm diese Haltung immer noch übel.
    "Er hat versprochen, dass es unaufwendig und friedlich zugeht und als es dann außer Kontrolle geriet, hat er sich nicht sehen lassen."
    "Ich fand ihn teils sehr gut. Aber in einigen Situationen war ihm das entglitten. Das war dann nicht so gut."
    "Ich denke, er hat in Hamburg gut regiert. Eigentlich. Sein Verhalten nach dem G20-Gipfel, das kann ich eigentlich nicht akzeptieren. Da hat er falsch reagiert und Fehler gemacht. Den hätte er anders einräumen sollen und auch Verantwortung übernehmen müssen."
    Peter Tschentscher möchte abwarten, welche Erkenntnisse der G20-Sonderausschuss zu Tage fördert. Und erklärt am Rande des Landesparteitags, dass schon viel getan werde, um der Verunsicherung nach dem G20-Gipfel zu begegnen.
    "Die Polizei ist sehr erfolgreich, auch die Hintergründe aufzuklären. Wir haben anders ja auch als früher ja auch im Nachgang zu den Ereignissen richtig Straftäter verfolgt und sie auch vor Gericht bekommen. Das, glaube ich, ist eine wichtige Botschaft, dass wir so etwas wie im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel, diese Krawall-Ausschreitungen, dass es die nicht geben darf!"
    Zum Teil vermummte Randalierer bewerfen Polizisten mit Steinen.
    Olaf Scholz hatte die Bedenken aus Polizeikreisen wegen des G20-Gipfels in Hamburg belächelt, sich aber später auf Drängen seiner Parteifreunde entschuldigt (AFP/Odd ANDERSEN)
    Politik der letzten Jahre fortführen
    In jedem Fall will er an der Politik der letzten Jahre festhalten und dafür sorgen, dass das Personal der Polizei aufgestockt wird. Die Wunden, die der Gipfel in der Stadtgesellschaft hinterlassen hat, wird das nicht heilen, so der Politikwissenschaftler Kai-Uwe Schnapp:
    "Ich glaube, 'mehr Polizei' ist nicht unbedingt die Antwort auf das, was da passiert ist. Denn das Hauptproblem ist gewesen, dass Scholz vorher gesagt hat: 'Das wird alles ganz easy!' und dass Leute sich nicht ernst genommen gefühlt haben, die gesagt haben: 'So einfach wird das alles nicht!'".
    Seit drei Jahren regiert die SPD zusammen mit den Grünen die Stadt. Notgedrungen, weil sie die absolute Mehrheit nur knapp verfehlt hatte. Und schon bei der Vorstellungen des gemeinsamen Koalitionsvertrags erklärte Olaf Scholz: Nun gebe es halt einen "grünen Anbau am roten SPD-Senat". Widerspruch vom kleinen, neuen Partner, besonders in der Öffentlichkeit, wurde von ihm nicht geduldet.
    Nun betonen die Grünen, mit Olaf Scholz zwar immer gut zusammen gearbeitet zu haben. Trotzdem hoffen sie, dass das gemeinsame Regieren mit Peter Tschentscher ihnen neue Spielräume eröffnet. Vergangenen Freitag, auf der Mitgliederversammlung der Grünen, saß der designierte Erste Bürgermeister als Gast im Publikum. Vorn am Rednerpult forderte die grüne Wissenschaftssenatorin und Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank mehr Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
    "Man kann sich nur mal die Regierungserklärungen der letzten Jahre angucken: 'Grün' sucht man vergeblich, 'rot-grün' findet man auch nicht. Vieles, was es an Missstimmungen in der Zusammenarbeit, im Zusammenhalt gab, das liegt sicherlich auch hierin begründet. Das sollten wir in Zukunft besser machen. Das ist mein ausdrücklicher Wunsch. Wir Grüne machen das Angebot und strecken hier ganz ausdrücklich unsere Hand aus."
    Peter Tschentscher, der schon auf der Bezirksebene viel Erfahrung mit rot-grünen Koalitionen gemacht hat, antwortete direkt.
    "Wir haben eine rot-grüne Koalition nach der anderen geschmiedet seit ich dabei war. Und zwar auch schon, als das in Hamburg und in der Republik alles andere als willkommen war. Ich fühle mich sehr zuhause in der Diskussion mit grünen Partnerinnen und Partnern über die Frage: wie kriegt man was gemeinsam hin!"
    Neue Diskussionskultur vom Bürgermeister erwünscht
    Ein Feld, auf dem die Grünen nun Fortschritte erwarten, ist die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für die Hamburger Polizei. In acht Bundesländern tragen die Beamten auch bei Großeinsätzen schon eine Ziffernfolge auf ihren Uniformen, die eine Identifizierung möglich macht. Die Landesvorsitzende Anna Gallina:
    "Ich glaube, dass gerade auch die Polizei selber eigentlich ein großes Interesse daran hat, weil es für die Polizei wahnsinnig wichtig ist, dass sie ein gutes Vertrauen in der Bevölkerung genießt. Da baut die Hamburger Polizei ja eigentlich auch auf etwas auf in den letzten Jahren. Und ich glaube, dass die Kennzeichnungspflicht da eher hilfreich ist."
    Bislang wurden allerdings alle Verhandlungen über das Thema von den Sozialdemokraten ausgebremst. Mit Hinweis auf den strikten Widerstand der Polizeigewerkschaften. Deren Argument: Die Kennzeichnungspflicht würde alle Einsatzkräfte unter Generalverdacht stellen.
    Nicht nur der grüne Koalitionspartner, auch André Trepoll, Fraktionschef der CDU, der stärksten Oppositionspartei in der Bürgerschaft, hofft auf eine neue Diskussionskultur unter einem Bürgermeister Peter Tschentscher:
    "Ich würde mir schon wünschen, dass es auch eine verstärkte Kommunikation gibt. Das ist ja sogar ein Wunsch der Grünen im Senat. Deshalb bin ich gespannt. Allerdings, muss ich auch sage, zu der Frage: 'Wofür steht Herr Tschentscher eigentlich?', da ist bisher noch ein leeres Blatt Papier vor uns."
    Ganz so leer ist dieses Blatt Papier seit seiner Rede auf dem Landesparteitag nicht mehr. Peter Tschentscher wird versuchen, das "ordentliche Regieren" des Olaf Scholz weiter zu führen. Dass der grüne Koalitionspartner an Einfluss gewinnen könnte, wird der Stadt, in der die Stickoxid-Grenzwerte tagtäglich an vielen Straßen überschritten werden, gut tun. Und auch die SPD in den Bezirken und der Bürgerschaft könnte vom Weggang des Alphatiers Olaf Scholz profitieren, glaubt Kai-Uwe Schnapp.
    "Ich würde aber gar nicht sagen, dass Tschentscher da unbedingt ein Problem oder einen Mangel hat, sondern dass er eine Person ist, die eventuell sogar, wenn er das gut anpackt, der Stadt und dem politischen Leben in dieser Stadt durch eine größere Offenheit, die möglich wird, sogar gut tut."
    Ab Mittwochnachmittag, nach seiner Wahl, kann Peter Tschentscher, bislang der "Mann ohne Eigenschaften", zeigen, wofür er steht. Wie viele öffentliche Debatten er in der Koalition duldet, wie viel Grün er in Zukunft zulässt.