Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Kontinuität der Moderne

"Die Nachwelt wird uns danach beurteilen, ob wir sauber und klar gedacht haben", so lässt sich der Architekt und Designer Egon Eiermann in einer historischen Aufnahme aus den frühen sechziger Jahren vernehmen, - ein leidenschaftlich intoniertes Credo, mit dem der Professor für Baugestaltung und Entwerfen an der Technischen Hochschule Karlsruhe nicht nur sein Auditorium zu begeistern verstand sondern das eigene Schaffen treffend charakterisierte. Es war ausgerichtet auf die Forderung nach unbedingter Funktionalität des Entwurfs und auf den Anspruch, das gesamte Leben zu reformieren und zu gestalten.

Von Martina Wehlte-Höschele | 23.09.2004
    Am 29. September wäre Egon Eiermann einhundert Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass wird die erste große Retrospektive seines Werks derzeit in der Städtischen Galerie Karlsruhe und vom 29 Januar 2005 an im Bauhaus-Archiv Berlin gezeigt. Ein Großteil der über vierhundert Ausstellungsstücke stammt aus dem Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau an der Universität Karlsruhe, wo Eiermanns Nachlass aufbewahrt wird. Die Präsentation ist ausgesprochen gelungen, ja originell. Einen biografischen Überblick erhält der Besucher im oktogonalen Entrée, - eine Referenz an Eiermanns wohl berühmtestes Werk, den Neubau der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin mit ihrem gleichfalls oktogonalen Grundriss. Von hier aus werden wie auf einem überlangen trapezförmigen Tablett zum großen Ausstellungsraum hin Modelle von Eiermanns Bauten gezeigt. Beginnend mit dem kleinen Haus Mathis in Babelsberg, das kaum 80 qm Wohnfläche bot, bis zu dem ausladenden Neckermann-Versandhaus in Frankfurt am Main von 1958-61, einem Prestigeobjekt des deutschen Wirtschaftswunders. Die Anordnung der Modelle erfolgte nicht wie zu erwarten chronologisch sondern der Größe nach, um die gestalterische Bandbreite von Eiermanns Architektur zu visualisieren, aus der für die Ausstellung 23 Bauten beispielhaft ausgewählt wurden. Egon Eiermann konnte nach seinem Studium an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg und seiner Zeit als Meisterschüler bei Hans Poelzig in den dreißiger und vierziger Jahren im Einfamilienhausbau und im Industriebau Fuß fassen. In der Nachkriegszeit kamen Kirchen- und Bundesbauten hinzu, beispielsweise der vielbeachtete Deutsche Pavillon auf der Weltausstellung in Brüssel, 1958, die Deutsche Botschaft in Washington oder – selbstverständlich – der "Lange Eugen", das Abgeordnetenhaus des Deutschen Bundestages in Bonn aus den späten sechziger Jahren. In acht typologisch geordneten Abteilungen werden die Tätigkeitsfelder, die planungstechnischen und ästhetischen Prinzipien und die schöpferische Energie dieses vielseitigen Mannes nachvollziehbar / anschaulich. Großformatige indirekt beleuchtete Schwarz-Weiß-Fotos auf gebogenen Plexiglasplatten zeigen die frühen Fabrikgebäude der Totalwerke mit ihrer Rasterkonstruktion und dem aufgesetzten Flugdach, an denen schon die für Eiermann charakteristische Einfachheit, Klarheit und die lichtdurchlässige Raumkonstruktion ersichtlich sind; oder die Kaufhäuser "Merkur" in Reutlingen und Stuttgart mit ihrer für die "Horten"-Kette typischen zweiten Außenfassade aus Keramikkassetten, einer Weiterentwicklung des Systems freier Umgänge, die von Beginn an der Wartung und Lichtregulierung der Gebäude sowie als Fluchtwege dienten. Schließlich die Taschentuchweberei Lauffenmühle in Blumberg, deren weiße Wellasbestzementplatten sich wie eine Haut an die Außenwand schmiegten: während der fünfziger Jahre ein Pilger-Ort moderner Architektur in Deutschland, heute ein denkmalpflegerischer Problemfall, ein architektonisches memento mori. Eiermann arbeitete stark experimentell, mit langfristig noch unerprobten Materialien, und es wäre aufschlussreich gewesen, wenn man den jetzigen Erhaltungszustand der Gebäude in einem kleinen Foto dokumentiert hätte, ihr Nachleben gewissermaßen, wie ja auch die Entstehungsgeschichte an Originalzeichnungen, Plänen und Heften aus dem Nachlass ablesbar ist.

    Entsprechend dem Slogan des 1907 gegründeten Werkbundes "Vom Sofakissen zum Städtebau" ging es Egon Eiermann um eine ganzheitliche Gestaltung des Lebensraumes, und er entwarf nicht nur die Innenarchitektur seiner strengen, farblich reduzierten Bauten sondern auch Möbel, Textilien, Bühnenbilder, staffierte einen Film aus und widmete sich der Bestattungskultur. Während seine Architektur das Arbeiten mit industriell vorgefertigten Elementen, mit Stahl und Glas thematisierte, bildete das Innere eine ganz farbige organische Welt des eher Handwerklichen. Wie auf einem Laufsteg werden in Karlsruhe quer durch die Ausstellungshalle sein Stahlrohrstuhl, sein Klappstuhl SE 18, seine Korbsessel, Tische und anderes vorgeführt. Und wie in einem kleinen abgetrennten Sakralraum werden abschließend die blau strahlenden Mustergläser für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zusammen mit einer meditativen Klanginstallation präsentiert. So kann auch eine Architekturausstellung zu einem nicht nur intellektuellen sondern auch sinnlichen Erlebnis werden.