Mittwoch, 17. April 2024

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Kontrollen in AKWs
"Wir haben ein richtiges Problem in der Sicherheitskultur"

Wenn Kontrollen in einem Atomkraftwerk nur vorgetäuscht würden, sei der Zustand der gesamten Anlage nicht mehr einzuschätzen, sagte der Greenpeace-Atom-Experte Heinz Smital im DLF. Hier zeige sich ein Problem in der Sicherheitskultur. Helfen könne da etwa, bestimmten AKWs keine Strommengen mehr zu übertragen.

Heinz Smital im Gespräch mit Jule Reimer | 15.04.2016
    Zu sehen sind die Reaktoren und Kühltürme des AKW Biblis.
    Das abgeschaltete Kernkraftwerk Biblis. (picture-alliance / dpa / Christoph Schmidt)
    Jule Reimer: Heinz Smital ist Atomexperte bei Greenpeace. Nach Philippsburg in Baden-Württemberg jetzt auch eine vorgetäuschte Messung im Atomkraftwerk Biblis in Hessen. Wie sicher sind denn die Sicherheitsprüfungen in deutschen Atomkraftwerken?
    Heinz Smital: Ja, offensichtlich sind die nicht gut genug, weil die jetzt bekannt gewordenen Vorfälle sind aus meiner Sicht aus drei Punkten her besonders brisant. Das eine ist: Wenn Überprüfungen nur vorgetäuscht werden, dann kann man nicht die Funktionstüchtigkeit dieser Teile, Messgeräte oder Objekte unterstellen. Damit läuft im Prinzip die Realität der Anlage auseinander zu der erwarteten Anlage. Insofern kann man dann auch den Zustand der Anlage letztlich nicht mehr richtig einschätzen.
    Der zweite Punkt ist: Prinzipiell sollte ja auch so ein Vier-Augen-Prinzip gelten. Das heißt, ein Mitarbeiter sollte nicht auf Eigeninitiative Sachen machen können. Insofern stellt sich die Frage, wenn dieses Vier-Augen-Prinzip nicht eingehalten wird, wie sehr sind auch Sabotage-Aktionen möglich, die stattfinden und unentdeckt bleiben.
    Und der dritte Punkt ist: Es ist sehr bedenklich, dass es nicht einmal vorgekommen ist, sondern dass hier ein Mitarbeiter systematisch das vortäuschen konnte, also nicht nur bei einer Prüfung, sondern mehrere Prüfungen hintereinander und auch bei anderen Anlagen das aufgetreten ist. Wir haben hier ein richtiges Problem in der Sicherheitskultur.
    Reimer: Jetzt wurde auch gesagt, das ist möglicherweise auf Zeitmangel zurückzuführen. Kann es sein - da wurde ja auch mit einer externen Firma gearbeitet -, dass da vielleicht zu viel gespart, outgesourct wurde?
    "Es gibt schon relativ klare Richtlinien"
    Smital: Ich meine, einen Zeitmangel verspüren Mitarbeiter ganz grundsätzlich in allen Sparten. Das ist aber dann eine organisatorische Aufgabe, das so zu gestalten, dass einerseits ein Kontrollsystem da ist, ein Vier-Augen-Prinzip, dass ein Mitarbeiter nicht alleine sagen kann, ich war da jetzt schon drin oder ich habe diese und diese Tätigkeit durchgeführt, also das Vier-Augen-Prinzip, die Kontrolle. Und auch, dass etwas nicht systematisch vorgetäuscht werden kann, das ist ein ähnliches Problem.
    Reimer: Gibt es in Deutschland eigentlich einheitliche Vorgaben in den Bundesländern für alle Bundesländer, wie Atomkraftwerke geprüft werden? Wer hat da das Sagen?
    Smital: Es gibt schon relativ klare Richtlinien. Im Prinzip hat der Bund die Atomaufsicht, hat das aber an die Bundesauftragsverwaltung der Länder abgegeben. Das heißt, die einzelnen Anlagen machen die Länderaufsichten und da gibt es sicherlich auch kleinere Unterschiede, wie die einzelnen Länder hier Probleme beheben und Vorschriften erteilen.
    Reimer: Was heißt das? Atomkraftwerke sind im Süden der Republik sicherer als im Norden oder im Osten oder im Westen? Kann man daraus was schließen?
    "Die Sicherheitskultur muss von jedem Mitarbeiter gelebt werden"
    Smital: Partiell kann man vielleicht solche Sachen sagen, generell wird sich das nicht bestätigen lassen. Man hatte zum Beispiel in Schleswig-Holstein Risse in Leitungen sehr genau untersucht. Es ist die Frage, ob solch parallele Vorkommnisse auch in anderen Kraftwerken entdeckt worden wären, wenn man genau untersucht hätte. Sicherlich unterscheiden sich die einzelnen Länderaufsichten, aber im Großen und Ganzen würde ich hier keine Abstufung machen können.
    Reimer: Was macht eine gute Sicherheitskultur aus? Was fordert Greenpeace?
    Smital: Die Sicherheitskultur muss von jedem einzelnen Mitarbeiter gelebt werden und das muss auch von oben nach unten organisiert werden. Ein Vorschlag wäre zum Beispiel, dass die Atomkraftwerke, die bestimmte Anforderungen in der Sicherheitskultur nicht erfüllen, keine Strommengen mehr übertragen bekommen können. Im Beispiel von Philippsburg II ist die zugewiesene Strommenge etwa Ende 2018, Herbst 2018 erreicht. Dann müsste das Kraftwerk andere Strommengen übertragen. Das ist im Prinzip möglich. Aber man könnte diese Strommengenübertragung an bestimmte Kriterien knüpfen. Das wäre ein Anreiz, hier die Sicherheitskultur tatsächlich hochzuhalten.
    Reimer: Heinz Smital von Greenpeace über die Sicherheitskontrollen in deutschen Atomkraftwerken, die zumindest in Philippsburg und in Biblis nicht so gewesen sind, wie sie hätten sein sollen. Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.