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Kontrollierte Religiosität

Der Buddhismus in Tibet wird von den chinesischen Behörden streng reglementiert. Aus Protest kommt es immer wieder zur Selbstverbrennungen buddhistischer Mönche. Und trotz aller Repressalien halten die meisten Tibeter an ihrer traditionellen Religiosität fest.

Von Margarete Blümel | 07.03.2013
    "Es ist offensichtlich, dass die Religiosität in Tibet zugenommen hat. In den Regionen Kham und Amdo ist dies besonders auffällig. Allerorten sieht man religiöse Symbole. Gebetsfahnen flattern im Wind, Stupas erheben sich an den Berghängen und Gebetsformeln sind in riesigen Lettern auf Felswände geschrieben. Nirgendwo sonst ist die Landschaft so stark durch Religionssymbole geprägt wie hier."

    Sagt der Tibetologe Prof. John Powers von der Australian National University in Canberra.

    "Ich habe den Eindruck, dass diese vermehrte Religiosität als Widerstand gegen die chinesischen Machthaber zu verstehen ist. Durch die Ausübung ihrer Religion festigen die Tibeter ihre gemeinsame Identität und ihr Nationalbewusstsein. Es ist wirklich beeindruckend, mit welcher Intensität die Religion das tägliche Leben der Tibeter durchdringt."

    Prof. Powers hat bereits mehrere Forschungsreisen nach Tibet unternommen. Kürzlich galt seine Aufmerksamkeit vor allem den Landesteilen Amdo und Kham im Osten Tibets.
    "In Amdo und Kham hatten fast alle Klöster, die ich besucht habe, Bilder des Dalai Lama in der Haupthalle. In einem Kloster hing zusätzlich noch ein Bild des neuen Premierministers der tibetischen Exilregierung. Niemand würde meinen, dass so etwas in Tibet möglich wäre. In Zentral-Tibet dagegen mussten nämlich schon mehrfach Gläubige für lange Zeit ins Gefängnis, nur weil sie Bilder des Dalai Lama bei sich trugen."

    Und doch versucht die chinesische Regierung nach wie vor, mithilfe von Gesetzen und Anordnungen die Religionsausübung der Tibeter zu kontrollieren.

    "Es gibt zum Beispiel ein Dekret, das die Wiedergeburt der spirituellen Lehrer, der Lamas, regelt. Ein solcher Lama muss sich beim örtlichen Sicherheitsbüro melden. Dort hat er Formulare auszufüllen, um dann die Genehmigung zu erhalten, sich als wiedergeborener Lama zu bezeichnen. Das Ganze ist wirklich absurd. Auch hat die Regierung den Ablauf der Wiedergeburtszeremonie festgelegt. Obwohl niemand weiß, wie dieses Ritual auszusehen hat, da es seit mehr als einhundert Jahren keine solche Zeremonie mehr gegeben hat. Die Vorgaben der Regierung sind also frei erfunden. Diese Leitlinien sind so etwas wie das Drehbuch zu einem Film - ohne jeglichen Bezug zu den alten Traditionen."

    Darüber hinaus hat die chinesische Regierung gesetzlich geregelt, wer als Mönch in den Klöstern leben darf.

    "Das Gesetz schreibt vor, dass Mönche mindestens achtzehn Jahre sein müssen. Das Höchstalter wiederum ist auf sechzig Jahre festgelegt. In Ost-Tibet habe ich jedoch in mehr als fünfzehn Klöstern des Gelbmützen-Ordens sowohl etliche jüngere als auch eine Reihe älterer Mönche angetroffen. Hier wird das Gesetz also nicht angewendet. In all diesen Klöstern findet ein reges religiöses Leben statt. Unter den Schülern sind hin und wieder allerdings auch einige einflussreiche Chinesen, so dass die Behörden bei der Religionsausübung Zugeständnisse machen."

    Wegen der magischen und mystischen Anteile, die der tibetische Buddhismus birgt, hoffen viele Chinesen zu Reichtum und Ansehen zu gelangen.

    "Dies ist ein Buddhismus, der nur in der Vorstellung der Chinesen existiert. Für sie besteht der tibetische Buddhismus hauptsächlich aus Magie und Mystik. Die Chinesen glauben, dass die Tibeter übersinnliche Fähigkeiten besitzen. Tantra, Magie und Mystik – das ist es, was die Chinesen am tibetischen Buddhismus interessiert."

    So sind vor allem die Klöster im entlegenen und weniger kontrollierten Ost-Tibet bei manchen Chinesen inzwischen sehr beliebt.

    "Obwohl einige Klöster heute Museen sind, werden andere aufwändig modernisiert und erweitert. Das dazu notwendige Geld kommt von wohlhabenden chinesischen Gönnern. Dies wiederum führt in einigen Fällen dazu, dass sich die Klostervorsteher dazu gezwungen sehen, keine weiteren tibetischen Schüler mehr anzunehmen."

    Desungeachtet, betont Professor John Powers, sei die Religiosität der Tibeter jedoch ungebrochen. So gebe es mittlerweile auch immer mehr Klöster, in den Nonnen ihren Glauben lebten.

    "Das Ansehen der Nonnen ist beträchtlich gestiegen, nicht zuletzt, weil in ihren Klöstern regelmäßig debattiert wird. Diese religiösen Debatten gelten bei den Tibetern als Statussymbol. In den Diskursen geht es darum, sich mit der Lehre Buddhas auseinanderzusetzen. Widersprüchliche Auffassungen sollen aufgedeckt und die richtigen Anschauungen schließlich durch die Aussagen Buddhas untermauert werden. Dass jetzt auch in ihren Klöstern debattiert wird – darauf sind die Nonnen sehr stolz."

    Doch mindestens ebenso sehr hat ein ganz anderer Umstand zum gestiegenen Prestige der Nonnen beigetragen.

    "Die Tatsache, dass Nonnen in vorderster Front gegen die Unterdrückung protestiert haben, dass sie dabei verletzt oder sogar getötet worden sind – dieser Einsatz gilt für viele Tibeter als heldenhaft und hat den Status der Nonnen zusätzlich gesteigert."