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Konversion in Hanau
E-Bikes statt Panzer

Rund 30.000 US-Soldaten lebten einst mit ihren Familien in Hanau. Teile des Kasernengeländes sind bereits Gewerbeparks und Wohnsiedlungen gewichen. Doch jetzt rollen die Bagger abermals. Die Stadt arbeitet an einem Prestigeprojekt.

Von Ludger Fittkau | 27.03.2018
    Verwaltungsgebäude stehen am 27.10.2017 auf dem Gelände der Pioneer-Kaserne in Hanau (Hessen) neben einer Starße. Die größte einst von der US-Armee genutzte Kaserne ist verlassen und verkommen. Die Stadt Hanau will das große Gebiet zu neuem Leben erwecken. In vier bis fünf Jahren soll hier ein Wohnquartier für 5000 Menschen entstehen. Verwaltungsgebäude stehen am 27.10.2017 auf dem Gelände der Pioneer-Kaserne in Hanau (Hessen) neben einer Starße. Die größte einst von der US-Armee genutzte Kaserne ist verlassen und verkommen. Die Stadt Hanau will das große Gebiet zu neuem Leben erwecken. In vier bis fünf Jahren soll hier ein Wohnquartier für 5000 Menschen entstehen.
    Verwaltungsgebäude auf dem Gelände der Pioneer-Kaserne in Hanau - aus dem alten Areal soll ein attraktives Wohngebiet werden (picture alliance / dpa / Jörn Perske)
    Ein mehrere Meter großes, weiß-grünes Transparent hängt am Zaun direkt neben dem noch mit Stacheldraht gesicherten Einfahrtstor. Der weiße Schriftzug auf grünem Untergrund: "Hier wohnt Pioniergeist". Gleich daneben: Die Einfahrt zur alten Pionier-Kaserne der US-Army in Hanau-Wolfgang. In schwarzer Schrift auf dem oberen weißen Teil des Transparents ist dann auch in englischer Sprache zu lesen: "Pioneer-Park". Hinter dem Zaun: Leere Kasernengebäude, zwei- oder dreistöckig, beige gestrichene Fassaden.
    "Eine der größten Konversionsstädte Deutschlands"
    Auf dem Gebäude direkt am Haupttor noch der Schriftzug "Library". Doch die Bücher sind mit den letzten US-Soldaten 2008 verschwunden. Hausherr des mehr als 50 Fußballfelder großen Kasernenareals ist heute die Stadt Hanau:
    "Man muss aus der Geschichte wissen, dass Hanau eine der größten Konversionsstädte in Deutschland oder Europa gewesen ist. Mit in Spitzenzeiten 30.000 Amerikanern, Soldaten und ihre Familien in unserer Stadt," sagt Claus Kaminsky, der Hanauer SPD-Oberbürgermeister. Sein Dienstwagen parkt auf dem Kasernengelände genau dort, wo früher bewaffnete GIs jedes Fahrzeug streng kontrollierten.
    Doch die Zukunft gehört hier auf dem bisherigen Militärareal im Hanauer Stadtteil Wolfgang den Zivilsten - genauer gesagt rund 4000 Menschen, die hier spätestens in vier oder fünf Jahren wohnen sollen. 11,2 Millionen hat allein das Land Hessen beigesteuert, damit die Konversion gelingt.
    Claus Kaminsky: "Zur Ehrlichkeit gehört dazu, dass wir die vergangenen Jahrzehnte auch an Stadtentwicklung gehindert waren. Gerade auch hier im Stadtteil Wolfgang. Der Stadtteil Wolfgang war sozusagen umgeben von amerikanischen Kasernen und das hat man dem Stadtteil angemerkt. Sozialstrukturelle Probleme haben sich verschärft, der Stadtteil ist überaltert. Die Angebote, Einkaufen und so weiter wurden immer weniger. Das ist alles Vergangenheit. Jetzt ist dieser Stadtteil einer der Prosperierenden in der ganzen Stadt, in Wahrheit weit darüber hinaus."
    Kasernen zu Eigentumswohnungen
    Eine vierspurige Ausfallstraße trennt das bis heute eingezäunte Areal der Pioneer-Kaserne von einer sogenannten "Housing Area". Dort lebten früher die Familien der US-Soldaten. Die Häuser ähneln denen auf dem eigentlichen Kasernengelände, eine Grundschule liegt gleich neben den Wohnblocks. Heute wird diese "Housing Area" als Flüchtlingsunterkunft genutzt, auf dem alten Schulhof spielen die Kinder der Geflüchteten.
    Ein Schild steht am 27.10.2017 am Tor der Pioneer-Kaserne in Hanau (Hessen). Die größte einst von der US-Armee genutzte Kaserne präsentiert sich verlassen und verkommen. Die Stadt Hanau will das große Gebiet zu neuem Leben erwecken. In vier bis fünf Jahren soll hier ein Wohnquartier für 5000 Menschen entstehen.
    Ein Schild am Tor der Pioneer-Kaserne in Hanau: Die Stadt will die größte einst von der US-Armee genutzte Kaserne zu einem Wohngebiet entwickeln. (picture alliance / dpa / Jörn Perske)

    Die Baumaschinen rollen auf der anderen Straßenseite jedoch bereits an, schon 2019 sollen die ersten Wohnungen in den alten Kasernen-Wohnblocks saniert und als Eigentumswohnungen günstig verkauft worden sein. Das erklärt Martin Bieberle, Leiter der Stadtentwicklung in Hanau und kommunaler Konversionsbeauftragter:
    "Also sozial geförderten Wohnungsbau haben wie hier im Augenblick nicht vor. Wir haben aber vor von der Mixtur her am Ende ein Drittel des Wohnraums, also von 1500 über 500 Wohneinheiten im deutlich bezahlbaren Segment zu haben, das heißt über 350 Eigentumswohnungen, die verkauft werden mit einem Finanzierungsmodell der Sparkasse. Wo ich als Eigennutzer ohne Eigenkapital Miete gegen Eigentum tausche und zehn Jahre selbst drin wohnen muss. Und der Trick ist, wenn ich die abbezahlt habe, bei Mietpreisbindung von unter drei Euro ende, wenn ich es als Eigentum dann habe, dass eigentlich ein interessanteres Modell ist: Weil, wenn ich dann Rentner bin oder in den Ruhestand gehe, habe ich dann auch tatsächlich meine Eigentumswohnung.
    Wohnungsnachfrage ist riesig
    Der Pioneer-Park ist eines der größten Konversionsprojekte in Hanau – aber längst nicht das erste. In den vergangenen rund zwei Jahrzehnten wurden bereits einige ehemalige US-Kasernen für zivile Nutzungen erschlossen. Die Nachfrage nach neuen Wohnungen in Hanau ist riesig- wie im gesamten Rhein-Main-Gebiet. Der Pioneer-Park liegt mit dem Fahrrad kaum zehn Minuten vom Hanauer Hauptbahnhof entfernt – von dort aus ist man in gut 20 Minuten in der City von Frankfurt am Main. E-Bike-"Autobahnen" werden in verschiedene Richtungen werden gerade geplant, zudem werden 100 Pkw fürs Car-Sharing zentral angeschafft.
    Andererseits soll das alte Kasernengelände nicht mit Wohnungen vollgestopft werden, betont der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky: "Wir wollen Maß und Ziel halten. Natürlich könnte man hier höher verdichten. Aber die Qualität dieses Areals besteht gerade darin, auch künftig sich in einer aufgelockerten Weise zu präsentieren. Wir bewegen uns an der untersten Grenze dessen, was die regionale politische Seite uns auch abverlangt. Höhere Verdichtung ist hier ausdrücklich nicht unser Ziel. Weil es geht nicht nur um das hier und jetzt sondern es geht insgesamt auch darum, hier dauerhaft und nachhaltig attraktiven und qualitativ hochwertigen Wohnraum zu bieten, damit die Menschen, die hier wohnen, sich wohl fühlen."
    Harte Verhandlungen mit der BIMA
    Wichtig für die umfangreichen Konversionsprojekte in Hanau war eine enge Kooperation der Stadt mit der BIMA - das ist die Bundesbehörde, die die Kasernengrundstücke von den US-Amerikanern nach deren Abzug übernommen hatte. Die BIMA ist dem Bundesfinanzminister unterstellt und soll die alten Kasernen zum Wohle des Bundeshaushaltes verkaufen. Deswegen seien die Verhandlungen auch in Hanau nicht immer einfach gewesen, aber letztlich sehr erfolgreich, betont der Hanauer Konversionsbeauftragte Martin Bieberle:
    "Konversionsentwicklung ist ja nix für Feiglinge, ja. Man muss sich mit verschiedenen Themen professionell beschäftigen, was man auf der grünen Wiese nicht macht. Eines davon sind Altlasten. Selbstverständlich haben wir im Vertrag mit der BIMA eine Regelung, in welcher Höhe die BIMA Verantwortung übernimmt. Wir haben das alles sondiert, soweit man das sondieren kann und haben hier die ganz normalen Themen, die man bei so einer Kaserne hat. Aber keines, was nicht zu bewältigen wäre. Also eigentlich überschaubar."
    Durch Konversion zur neuen Großstadt
    Hanau wird auch durch die Umwidmung der alten US-Kasernen zu Wohnsiedlungen demnächst die Grenze der 100.000 Einwohner überschreiten und damit zur neuen Großstadt in Hessen werden. In vier bis fünf Jahren soll die neue Siedlung "Pioneer Park" fertiggestellt sein. Und sie soll dann Architekturstudenten von nah und fern anlocken, weil sie schön geworden ist, wünscht sich der Hanauer Konversionsbeauftragte Martin Bieberle:
    "Die Pioneer-Kaserne so ganz fertig. Dass man sagt, man steht hier, guckt auf den wunderbaren Park, die Stadtvillen hier, die Gebäude da, dort das Café hinten raus die Eigentumswohnungen, dann die 'Zukunftsbäume', wie man so schön sagt, die Sonne scheint, alles ist gut, himmelblau! Da sage ich mal: 2021 spätestens 2022 sind wir wahrscheinlich durch, weil der Markt, die Nachfrage aus dem Rhein-Main-Gebiet so enorm groß ist, dass ich davon ausgehe, dass das hier wirklich schnell gehen wird.