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Konversion zum Judentum in den USA
Segen und Fluch der Diversität

So vielfältig wie die religiöse Landschaft in den USA insgesamt, so vielfältig ist auch das dortige Judentum. Asiatisch-stämmige Rabbinerinnen, afro-amerikanische schwule Konvertiten zum Judentum - alles ist möglich. Die jüdischen Gemeinden legen die Regeln für den Übertritt selbst fest.

Von Katja Ridderbusch | 23.02.2018
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    In den USA gibt es viele Wege jüdisch zu werden - aber keine einheitlichen Standards (imago stock&people / Beata Zawrzel)
    Ein Vorbereitungskurs für Bar- und Bat-Mizwa-Feier im Temple, der ältesten Synagoge in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia: Hier lernen Jugendliche, Verse aus der Thora zu singen. Susanna Capelouto hilft ihnen dabei. Die geborene Deutsche ist vor 30 Jahren in die USA ausgewandert - und vor 19 Jahren zum Judentum konvertiert.
    "Das bereichert mich sehr, jedes Mal, wenn ich sehe, dass ein Kind die Thora lernt, dass man einen kleinen Beitrag geleistet hat zum Leben."
    Besonders zum jüdischen Leben in Amerika, als dessen Teil sie sich längst fühlt. Dieses Leben ist so vielgestaltig und spannungsreich wie die religiöse Landschaft in den USA überhaupt. Und vor allem: Jüdisches Leben ist hier selbstverständlich. Von den geschätzten 14 bis 15 Millionen Juden weltweit lebt knapp die Hälfte in den USA. Und eine Studie des Pew-Instituts schätzt, dass etwa 17 Prozent aller amerikanischen Juden Konvertiten sind.
    Das sei eine ziemlich große Zahl, meint Ellie Schainker, Professorin für jüdische Geschichte an der Emory Universität in Atlanta - vor allem in einer Zeit, in der die amerikanische Gesellschaft immer säkularer wird.
    Keine allgemeinen Standards für das Konvertieren
    Anders als in Deutschland gibt es in den USA keine einheitlichen Standards und kein zentrales Regelwerk für den Prozess der Konversion. Hier führen viele Wege zum Übertritt, verlaufen entlang der verschiedenen Strömungen innerhalb des amerikanischen Judentums - orthodox, konservativ und reformiert.
    "Orthodoxe Konversionen gelten gemeinhin als die striktesten. Übertrittskandidaten müssen sich in einem langen und gründlichen Studium auf ihr Leben als Juden vorbereiten. Das kann ein Jahr dauern, manchmal auch länger", sagt Schainker.
    Sie müssen in dieser Zeit Hebräisch lernen, den Schabbat und alle jüdischen Feiertage einhalten und die Kaschrut, die jüdischen Speisegesetze beachten. Sie müssen sich verpflichten, streng nach den Geboten der Thora zu leben. Am Ende steht eine Prüfung vor dem Beit Din, einem dreiköpfigen Rabbinatsgericht, ferner für die Männer Beschneidung und rituelles Tauchbad, für Frauen der Gang in die Mikwe.
    Übertritte in konservativen Gemeinden laufen ähnlich ab wie orthodoxe Konversionen, allerdings sind die Regeln etwas milder.
    "Im Reformjudentum sind die Rituale für Übertritte noch weiter ausgelegt", sagt Schainker. "Die Konversion kann mit einer Beschneidung und einem Bad in der Mikwe einhergehen, aber beides ist nicht vorgeschrieben."
    Probleme bei der Anerkennung
    Hayyim Kassorla ist Rabbiner der Gemeinde Or Ve Shalom in Atlanta. Seine Synagoge wird vor allem von Sephardim besucht, Juden, deren Wurzeln auf der Iberischen Halbinsel liegen. Obwohl er selbst dem orthodoxen Judentum nahesteht, hält er nichts von einem allzu strikten Regelkorsett.
    "Es ist interessant, dass der Talmud eigentlich wenig Konkretes über die einzelnen Gebote sagt, die der künftige Konvertit zu befolgen hat. Die verschiedenen Gemeinden haben ihre eigenen Regeln aufgestellt. Und wir sollten all diese Regeln sehr kritisch betrachten."
    Schließlich sei es Tradition im Judentum, zu diskutieren und etablierte Positionen zu hinterfragen, meint Kassorla.
    "Wir suchen ständig nach verschiedenen Meinungen, um am Ende die Wahrheit zu finden. Wir streiten, und manchmal einigen wir uns freundlich darauf, dass wir uns eben nicht einigen können."
    Die Vielfalt der Konversionen in den USA sei Segen und Fluch zugleich, sagt Historikerin Schainker.
    "Ein Segen, weil sich der Übertrittswillige einen Rabbiner und eine Gemeinde aussuchen kann, die ihm zusagen. Und ein Fluch, weil Konversionen so dezentralisiert und die Standards von Gemeinde zu Gemeinde so unterschiedlich sind, dass es häufig Probleme mit der Anerkennung gibt."
    So werden Übertritte zum konservativen und reformierten Judentum in vielen orthodoxen Gemeinden nicht akzeptiert. Konvertiten, die in eine andere Gemeinde wechseln oder gar nach Israel auswandern wollen, müssen dann eine zweite Studien- und Prüfungsschleife durchlaufen, eine Art "Upgrade".
    Hauptmotiv: Heirat
    Ebenso vielfältig wie die Regeln und Rituale der Konversion sind die Motive der Konvertiten. An erster Stelle steht die Heirat. Die Zahl der Ehen zwischen Juden und Nicht-Juden in den USA ist seit den 1970er-Jahren um mehr als Dreifache gestiegen. Einige Konvertiten sind über Freunde mit dem Judentum in Berührung bekommen. Schließlich gibt es die spirituellen Sinnsucher, die im Judentum eine religiöse Heimat finden.
    Bei Susanna Capelouto, der Thora-Tutorin und Reformjüdin, war es wohl eine Mischung. Ihre Mutter war Religionslehrerin, gab das Interesse am Judentum früh an ihre Tochter weiter.
    "Aber dadurch, dass ich auf dem sehr katholischen westfälischen Land aufgewachsen bin, gab es wenig Möglichkeit, Kontakt mit einer jüdischen Gemeinde aufzunehmen", sagt Capelouto.
    Nach dem Abitur reiste sie nach Israel, traf dort ihren späteren Mann, einen säkularen amerikanischen Juden. Sie wanderte in die USA aus, lebt heute mit ihrer Familie in Atlanta und arbeitet bei "National Public Radio", dem Rundfunksender NPR.
    "Ich habe dadurch, dass ich geheiratet habe, fast schon in einem jüdischen Haushalt gelebt. Wir hatten keinen Weihnachtsbaum; es gab eigentlich nichts, was christlich war in unserem Leben."
    Erst als ihr Sohn auf die Welt kam, entschloss sie sich zu konvertieren.
    "Es war ein langsames Reinwachsen in das Judentum, und es gab überhaupt keinen Druck von der Familie. Einer der Cousins hat mir mal gesagt: Wenn du es machst, mach es für dich, nicht für die Familie."
    Zwar hat sie nie als Jüdin in Deutschland gelebt. Aber sie ist überzeugt: In den USA leben Juden freier, integrierter, selbstverständlicher als in Europa.
    "Wenn ich Leuten sage, ich bin Jüdin, dann sagen die ok, ich bin Methodist, und ich bin das und das. Das ist jetzt deine Religion, das wird schneller akzeptiert hier."
    "Ich hatte keine Ahnung, dass es so viele farbige Juden gibt"
    Eine weitere Besonderheit des religiösen Lebens in den USA ist die ethnische Vielfalt. Einer Pew-Studie zufolge stammt der Großteil der amerikanischen Juden von weißen Europäern ab. Drei Prozent sind Latinos, zwei Prozent Afroamerikaner. Der wohl bekannteste Schwarze, der zum Judentum konvertierte, war Entertainer Sammy Davis Jr.
    Tiferet Berenbaum ist Rabbinerin in der Gemeinde Har Zion in New Jersey. Auch sie ist schwarz und konvertiert.
    "Hier ist es normal, dass sich die jüdische Gemeinde aus vielen Ethnien zusammensetzt. Die Türen sind für alle offen", sagt Berenbaum via Skype.
    Berenbaums Eltern waren Baptisten. Sie ging als Kind auf eine katholische Schule, hatte keinen Kontakt mit dem Judentum. Es war der jüdische Lebensrhythmus, der sie schon früh faszinierte.
    Rabbi Tiferet Berenbaum
    Rabbi Tiferet Berenbaum (Congregation Har Zion)
    "Als ich elf war, habe ich angefangen, den Samstag zu meinem Ruhetag zu machen. Ich fand es einfach sinnvoller, nach der Woche einen Tag Pause zu haben und dann am Sonntag meine Hausaufgaben zu machen. Auch das neue Jahr fing für mich persönlich im September an, nach den Schulferien, und nicht am 1. Januar."
    Sie studierte Psychologie und Judaistik und konvertierte in einer konservativen Gemeinde in Massachusetts. Die größte Hürde bei ihrem Übertritt sei nicht etwa das Studium der hebräischen Sprache und der religiösen Bräuche gewesen, sagt sie.
    "Ich war vor allem wegen meiner afro-amerikanischen Herkunft unsicher. Ich hatte keine Ahnung, dass es so viele farbige Juden gibt. Aber dann habe ich ein großes multi-ethnisches jüdisches Netzwerk entdeckt. Ich habe das erlebt wie einen wunderbaren jüdischen Regenbogen."
    Als afroamerikanische Rabbinerin und konvertierte Jüdin engagiert sie sich heute besonders für den Dialog zwischen Religionen und Kulturen.
    Positive Resonanz der Gemeinden
    Keine Frage, Konvertiten wie Tiferet Berenbaum und Susanna Capelouto haben das Bild der jüdischen Gemeinden in den USA verändert, sagt Historikerin Ellie Schainker.
    "Vor allem liberale jüdische Gemeinden in den USA sehen die steigenden Assimilierungsraten, den Zustrom von außen durch Heirat und Konversion immer mehr als Chance, als Anregung, als neue Ausdrucksform des jüdischen Lebens."
    Das will die konvertierte Jüdin Susanna Capelouto weitergeben. Etwa, indem sie ihren Bar- und Bat-Mizwa-Schülern den Zauber der alten Thora-Gesänge nahebringt.
    "Ich sage denen manchmal: Jetzt kennst du die geheime Sprache, wie du mit Gott sprechen kannst. Man muss nur einen Schlüssel dafür haben. Das kannst du jetzt ein Leben lang, du kannst jetzt die Thora auf der ganzen Welt singen."