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Konverter sind das Kunststück

Neben den offenen politischen Fragen krankt der Offshore-Ausbau auch noch an technischen Problemen – eine davon: die Stromübertragung von der offenen See an Land. Beim schwedisch-schweizerischen Konzern ABB vermuten Branchenbeobachter die umfänglichste Fachexpertise bei der Lösung dieses Problems.

Von Söhnke Gäthke | 17.08.2012
    Weil die Windräder weit draußen auf hoher See stehen, muss der Strom zuerst in Konverterstationen, künstlichen Inseln im Meer, in Gleichstrom umgewandelt und dann zur Küste übertragen werden. Bis jetzt musste dabei für jeden Windpark eine eigene Stromleitung geplant werden – auch, weil es technisch nicht anders ging:

    "Warum bauen sie ein Netz? Ein Netz bauen sie, damit sie Redundanz haben und damit sie im Störfall nur Teile verlieren. Und das heißt, dass sie im Störfall aber auch Teile isolieren können müssen. Und das geht heute nicht, wir haben keine Leistungsschalter für Gleichstrom bisher","

    erklärt Jochen Kreusel, Leiter der Abteilung Smart Grids bei ABB in Zürich.

    Leistungsschalter für Hochspannungsgleichstrom sind im Prinzip Sicherungen. Entsteht ein Kurzschluss auf diesen Leitungen, fließt plötzlich ungeheure Energie durchs Kabel, es muss schnellstens abgeschaltet werden. Bei Gleichstrom ein Problem: Beim Öffnen der Kontakte kann die Luft dazwischen leitfähig werden. Ein Lichtbogen entsteht, der Strom fließt einfach durch die Luft weiter. Die einzige Möglichkeit: Die Stromzufuhr zur Konverterstation müsste abgeschaltet werden:

    ""Das heißt, wenn sie heute ein Netz bauen würden, das im Normalbetrieb schon funktionieren würde, dann würde es ihnen aber im Störfall komplett wegfallen, weil sie die Trennung eben nur außerhalb des Systems machen können, auf der Drehstromseite. Und das ist natürlich nicht das, was sie von einem Netz wollen."

    ABB arbeitet daher seit einigen Jahren an einer Sicherung für Hochspannungsgleichstromnetze:

    "Wir haben hier auch publiziert, dass wir einen Prototypen dafür im Labor haben. Und den auch getestet haben. Und dass wir sicher sind, dass diese Komponente rechtzeitig zur Verfügung stehen wird, wenn es denn gebraucht wird."

    Von der Offshoreindustrie und den Netzplanern wird dieser Leistungsschalter bereits ungeduldig erwartet. Die hätten inzwischen gern ein funktionstüchtiges Netz, erklärt Thorsten Falk von der Deutschen Stiftung Offshore Wind:

    "Absolut. Es wäre günstig, sozusagen, eine Netzstruktur zu entwickeln und aufzubauen und dann die Windparks praktisch entsprechend anzuschließen, da müssen wir hinkommen. Und das verstehen wir unter dem Systemwechsel."

    Dass ABB diesen Systemwechsel von teuren Einzelverbindungen zu einem billigen und ausfallsicheren Netz möglich macht, ist wahrscheinlich: Das Unternehmen verfügt wie kein zweites über Erfahrungen mit Hochspannungsgleichstromtechnik:

    "Wir bauen sie seit über 50 Jahren."

    1954 schloss ASEA – eines der beiden Vorläuferunternehmen von ABB – die schwedische Insel Gotland mit einem Hochspannungsgleichstromkabel an das Festland an. Die Leitung war 98 Kilometer lang und konnte 20 Megawatt Leistung übertragen. Seitdem hat die Allmänna Svenska Elektriska Aktiebolaget die Technik konsequent weiterentwickelt, Gleichrichter auf Halbleiterbasis entwickelt, die Steuerungen vereinfacht, den Stromverbrauch verringert. In Brasilien und China entstanden leistungsfähige Fernübertragungen, in Deutschland in der Nordsee die Stromleitung zum Windpark BARD Offshore 1. Neben ABB hat heute nur Siemens ein ähnliches Know-how ins Sachen Gleichstrom – wobei das Schwedisch-Schweizer Unternehmen mit Standorten in Deutschland in Sachen Offshore-Kabel und Konverter derzeit offenbar die Nase vorn hat.

    Doch das Unternehmen präsentiert auch für das konventionelle Drehstromnetz neue Ideen. Etwa, wenn es darum geht, die Stromverteilungsnetze für den Solarstrom fit zu machen:

    "Wir haben in einem Pilotprojekt mit RWE einen leistungselektronischen Spannungsregler entwickelt, der das kontinuierlicher kann, schneller und der vor allen Dingen. Das ist, glaube ich, sein größter Charme, als Ad-on zu einer bestehenden Ortsnetzstation installiert werden kann und gegebenenfalls, wenn sich die Situation wieder geändert hat, auch wieder weggenommen und woanders hin gestellt werden kann."

    Oder auf der Suche nach Lösungen, mit denen das Stromnetze in Zukunft mit deutlich weniger Kraftwerken stabil gehalten werden kann:

    "Wir haben gerade im letzten Jahr eine Firma übernommen, die das tut, eine australische Firma. Die bauen so kleine, autonome Systeme, wo eben die verschiedenen, dezentralen Erzeuger quasi selbst sich gegeneinander ausregeln, das ist ein dezentrales, verteiltes Automatisierungssystem. Ich will jetzt nicht sagen, dass man das 1:1 übertragen kann auf die großen Systeme, aber hinschauen und gucken, ob da mal ein paar konzeptionelle Ideen drin sind, werden wir sehr wohl, sonst hätten wir sie auch nicht gekauft."

    Und so machte das Unternehmen mit seinen 134.000 Beschäftigten im vergangenen Jahr einen Umsatz von fast 38 Milliarden US-Dollar. Im Jahr zuvor waren es rund 31,5 Milliarden.

    In Europa würden die Geschäfte dabei wohl auch ohne Energiewende ähnlich gut laufen. Denn neben ABB gibt es nur noch Siemens und – mit deutlichem Abstand – Alstom, die Anlagen für Stromnetze liefern können. Und die müssen, nach Schätzung des Europäischen Verbandes der Transportnetzunternehmen ENTSO-E vor allem wegen der Liberalisierung des Strommarkts dringend ausgebaut werden.

    Dabei wird auch die Entwicklung eines Super-Grids, eines europaweiten Hochspannungsgleichstromnetzes, eine wichtige Rolle spielen. Ein Netz für die Windparks in der Nordsee könnte dabei eine erste Stufe dieses Netzes bilden – für den ABB mit der Hochspannungsgleichstromsicherung ab 2020 eine entscheidende Komponente anbieten könnte:

    "Ich meine, wenn wir heute anfangen, über ein Netz nachzudenken, dann haben wir das ja nicht morgen. Wenn wir das bis Ende des Jahrzehnts sehen, dann waren wir schnell. Und bis dahin haben wir auch den Schalter."

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