Dienstag, 19. März 2024

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Konzertsaal in lettischer Hauptstadt
Gegen den Verfall des Wagner-Saals in Riga

Noch bevor Richard Wagner ein bekannter Komponist wurde, war er ab 1837 in Riga am deutschen Theater angestellt. Der Konzertsaal, indem er dirigiert und der ihn beim Bau des Festspielhaus in Bayreuth beeinflusste, droht zu verfallen. Doch einige kämpfen für den Erhalt des Wagner-Saals - auch mit einem Flashmob.

Von Benjamin Weber | 23.10.2017
    Blick auf die Tür des Wagner-Saals in Riga.
    Zwei Jahre verbrachte Richard Wagner in Riga - und in diesem Konzertsaal. (Detuschlandradio/Benjamin Weber )
    Vom Wirken Wagners in Riga ist im Herbst 2017 nicht viel mehr sichtbar als ein Schild an der Hauswand der Richard-Wagner-Straße 4. Hier hat Wagner dirigiert, sagt das Schild auf lettisch, doch heute blättert die Fassade, die schwere, alte Tür ist verschlossen.
    "Sie können nur in Bewunderung erstarren, weil Sie wissen, dass hier der Meister mal war."
    Eva Wagner-Pasquier beschreibt die Situation treffend lakonisch. Hinein in den Wagnersaal kommt man nicht. Die Urenkelin von Richard Wagner unterstützt die Kampagne, die das historische Gebäude restaurieren lassen will. Es soll wieder genutzt werden, als Konzertsaal und Wagner-Museum.
    "Es ist nicht für Riga, sondern es ist überhaupt auch für Wagner eine wichtige Sache, dass dieses Zentrum entstehen kann. Ich habe es auch besichtigt, und es ist fantastisch, diese ganzen Räume, und diese Idee, die da entstehen soll."
    Die Begeisterung von Eva Wagner-Pasquier teilt der Eigentümer, der lettische Staat nur bedingt. Die lettische Regierung sieht auf der staatlichen Prioritätenliste in Sachen Kultur ein anderes Projekt weit oben: Riga braucht dringend einen modernen akustischen Konzertsaal für große Symphonische Musik. Seit fast 20 Jahren schon wird darüber diskutiert. Klar: Die historische Figur Wagner könnte durch Saal mehr Touristen nach Riga locken. Aber für beide Projekte reicht das Kulturbudget nicht aus. Doch es gibt eine Bewegung, die sich mit diesem Zustand nicht abfinden möchte.
    Mit Flashmob für mehr Aufmerksamkeit
    Ein Dienstagabend im Oktober, es regnet. Auf dem Domplatz ist eine merkwürdige Menschenansammlung zu beobachten. Plötzlich: Musik, gespielt von einem Blechblasorchester in einem großen Zelt; die Menschen fangen an zu singen, den Pilgerchor aus Wagners Tannhäuser. Auch Eva Wagner-Pasquier ist dabei. Die etwa 400 Menschen ziehen singend los, bis vor die Richard-Wagner-Straße, Hausnummer 4. Ein gut inszenierter Flashmob, der Aufmerksamkeit erzeugen soll für den Wagnersaal.
    "My name is Maris Gailis. I am a chairman of the Riga Richard Wagner Society."
    Er steckt hinter der Kampagne. Und er ist gut vernetzt. Denn Maris Gailis, ein freundlicher 68-Jähriger mit kleinem goldenem Ohrstecker, ist nicht nur Vorsitzender der hiesigen Wagner-Gesellschaft, er war von 1994 und 1995 Ministerpräsident in Lettland. Später ging er in die Wirtschaft, jetzt ist er Pensionär. Seit drei Jahren engagiert er sich für den Wagnersaal.
    "Im Wagner-Museum in Bayreuth wurde Riga nicht erwähnt. Dort stand nur: In seinen jungen Jahren arbeitete Wagner in kleinen deutschen Städten. Also müssen wir von hier aus davon berichten."
    1837. Richard Wagner kommt als 24-Jähriger nach Riga. Er erhält eine Anstellung am deutschen Theater. Zwei Jahre lang wird er hier dirigieren, künstlerisch eher ein Unbekannter bleiben, und am Ende verlässt er die Stadt Hals über Kopf, auch weil er sich – mal wieder – hoch verschuldet hat.
    Riga und Richard Wagner
    Und doch: Riga hat Einfluss auf sein Werk. Hier schrieb er Teile des "Rienzi" und auch die Architektur des Theatersaals hinterließ bleibenden Eindruck, namentlich der Orchestergraben, der teilweise unter der Bühne lag, und der wie ein Amphitheater ansteigende Zuschauerraum, in dem noch dazu während der Vorstellungen das Licht gedimmt wurde. Diese damals doch ungewöhnlichen Bedingungen seines Saals in Riga dienten Wagner später, das gilt als belegt, als Vorlage für das Festspielhaus in Bayreuth.
    Bald nachdem Wagner Riga verließ, zog auch das deutsche Theater um. Das Haus in der Richard-Wagner-Straße erlebte unterschiedliche Nutzungen, zuletzt wurde hier als "Wagnersaal" ein Konzertsaal für Kammermusik betrieben, der noch zu Sowjet-Zeiten entstanden war – genau genommen lag der aber ein Stockwerk über dem echten Wagnersaal, und seit 2007 steht das Haus leer.
    Das Haus soll zu einem Wagner-Zentrum werden
    Mithilfe einer öffentlich-privaten Partnerschaft will Maris Gailis das Haus in ein Wagner-Zentrum mit Konzertsaal und Museum verwandeln. Das hat es in Lettland auf staatlicher Ebene noch nie gegeben.
    "Die Regierung gibt das Gebäude für 30 Jahre oder länger an einen privaten Investor ab, der in einer Ausschreibung gefunden werden muss. Mit Eigenkapital und durch Kredite finanziert wird dieser Investor das Haus renovieren, eröffnen und als kulturelle Institution betreiben. Nach Eröffnung zahlt der Staat jährlich einen geringen Betrag zur Tilgung der Kredite zurück."
    Wenn alles nach seinem Plan läuft, kann in vier Jahren eröffnet werden. Gailis sagt: Die Reaktionen seien positiv, Investoren stünden bereit, und auch die Politik sei grundsätzlich dafür. Die einzige Bedingung: Die Pläne für die große Konzerthalle dürfen nicht vom Wagnersaal durchkreuzt werden. Noch in diesem Jahr soll eine Entscheidung fallen. Eine öffentliche Reaktion der Regierung auf den Flashmob hat es noch nicht gegeben.
    Maris Gailis: "No, but everybody knows, everybody knows. We are not Italians, we mostly keep silence, you know."
    Autor: "But they cannot say no?"
    Maris Gailis: "I think its difficult for them - but again as I said all are pro. Prime minister very positive. The public ask it. It’s a very powerful thing."
    Zeit nagt an dem Haus
    Zurück in der Richard-Wagner-Straße 4. Der ehemalige Ministerpräsident Gailis kennt den Code für die Schlüsselanlage und nimmt mich mit hinein. Die alten Räume sind beeindruckend – und vom Verfall gezeichnet. Wenn man die alten klassizistischen Gemäuer sieht, die dicken, meterlangen Risse, den Schimmel, die abblätternde Farbe, die massiven Wasserschäden, dann ist klar, warum die Befürworter des Wiederaufbaus gerade jetzt so viel Aufmerksamkeit erzeugen wollen. In wenigen Jahren schon könnten die Schäden im Haus zu groß sein.
    Dieser Beitrag ist im Rahmen des Journalistenaustauschs "Nahaufnahme" des Goethe-Instituts entstanden.