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Konzil gescheitert?
"Ein panorthodoxer Schock"

Nach den Absagen mehrerer orthodoxer Kirchen ist aus dem panorthodoxen Konzil ein "verstümmeltes Konzil" geworden, sagte der orthodoxe Theologe Assaad Elias Kattan im Deutschlandfunk. Ein "panorthodoxer Schock" erschüttere die orthodoxen Christen, so der Professor für christlich-orthodoxe Theologie an der Universität Münster.

Assaad Elias Kattan im Gespräch mit Benedikt Schulz | 17.06.2016
    Assaad Elias Kattan, Professor für christlich-orthodoxe Theologie an der Universität Münster.
    Assaad Elias Kattan, Professor für christlich-orthodoxe Theologie an der Universität Münster. (Assaad Elias Kattan )
    Im Interview mit dem Deutschlandfunk sprach Kattan von einer "Kluft zwischen Kirchenleitung und kritischer Theologie". Die Kirchenoberhäupter hätten "ein ungeklärtes Verhältnis zur Moderne". Die Krise könne nur überwunden werden, wenn mehr Selbstkritik und eine moderne Debattenkultur entstehe.
    Assaad Elias Kattan ist Professor für christlich-orthodoxe Theologie am Centrum für Religiöse Studien der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Kattan ist 1967 in Beirut, der Hauptstadt des Libanon, geboren.
    Das Interview in voller Länge
    Benedikt Schulz: Die orthodoxe Kirche ist für Außenstehende nicht ganz leicht zu durchblicken. Denn die Kirche, das ist eigentlich ein ziemlich kompliziertes, vor allem entlang nationaler Grenzen aufgeteiltes Kirchengeflecht. Eine Vielzahl an Kirchen, teilweise autokephal, also unabhängig, teilweise von anderen abhängig. Theoretisch begreift sich die orthodoxe Welt als eine Kirche, als eine Einheit. Dass das in der Praxis nicht annähernd der Fall ist, war schon länger klar. Aber selten wurden die Konflikte so offen ausgetragen wie in dieser Woche. Vor dem so genannten großen all-orthodoxen, heiligen und großen Konzil, die Zusammenkunft aller eigenständigen orthodoxen Kirchen der Welt, das eigentlich diese Einheit wieder herstellen wollte oder sich ihr doch mindestens wieder annähern wollte und das bereits seit Jahrzehnten vorbereitet wurde. Fünf Kirchen haben ihre Teilnahme abgesagt, davon lassen sich vier dem slawischen Raum zuordnen, und mit der russisch-orthodoxen Kirche ist auch die größte orthodoxe Einzelkirche abgesprungen. Was ist da los in der Orthodoxie? Darüber will ich sprechen mit Assaad Elias Kattan, orthodoxer Theologe am Centrum für religionsbezogene Studien an der Uni Münster. Hallo Herr Kattan!
    Assaad Elias Kattan: Hallo!
    Schulz: Herr Kattan, wir haben vor einem halben Jahr schon einmal über dieses Thema gesprochen. Da war die jetzige Sitution so noch nicht abzusehen. Sie haben damals gesagt, wenn das Konzil stattfindet, dann wäre das ein Ausdruck der sichtbaren Einheit der Weltorthodoxie. Davon kann ja jetzt eigentlich keine Rede mehr sein – sind Sie enttäuscht?
    Kattan: Ein bisschen enttäuscht bin ich auf alle Fälle. Also wenn das Konzil jetzt stattfindet – das soll ja auch am 19. Juni anfangen, dann wird es ja auch kein panorthodoxes Konzil, ganz im Gegenteil. Das, was wir in den letzten zwei Wochen und in den letzten zwei Tagen erlebt haben, ist eher mit einem panorthodoxen Schock, beziehungsweise mit einem panorthodoxen Problem zu bezeichnen.
    Schulz: Dann lassen Sie uns dieses Problem mal in Augenschein nehmen. Was ist da schief gelaufen?
    Kattan: Ich denke, die Ereignisse der letzten Tage haben gezeigt, dass die orthodoxen Kirchen nicht in der Lage sind, beziehungsweise noch nicht in der Lage sind, über die eigenen Probleme zu sprechen. Das war ganz einfach symptomatisch. Das heißt, einige Kirchen hatten schon Bedenken im letzten Januar angemeldet, die nicht berücksichtigt worden sind. Hinzu kommt natürlich unterschwellig nach wie vor dieses latente Konkurrenzverhältnis zwischen Moskau und Konstantinopel.
    "Kluft zwischen Kirchenleitung und kritischer Theologie"
    Schulz: Wir haben in dieser Woche die Streitigkeiten um das Konzil begleitet in dieser Sendung und Hörer haben das teilweise damit kommentiert, was denn das für ein Kindergarten sei. Ist die orthodoxe Welt derzeit ein Kindergarten?
    Kattan: Das, was in den letzten Tagen passiert ist, ist für meine Begriffe symptomatisch für zwei Erscheinungen. Man muss sich ja auch ernsthaft mit diesen Erscheinungen auseinandersetzen, wenn die Orthodoxen vorankommen wollen. Zunächst einmal – das ist symptomatisch, dass unser synodales System, das wir ja auch in den letzten Jahrzehnten immer wieder gelobt haben als orthodoxe Christen, dass dieses synodale System, wie man so schön auf Englisch sagt, dysfunctional ist, das funktioniert nicht mehr. Das heißt, was wir brauchen, ist, dass dieses synodale System in Quarantäne gebracht wird. Wir müssen also eine neue Synodalitäts-Idee entwickeln. Das andere ist, also die Entwicklungen der letzten Tage haben die Unfähigkeit der Orthodoxen gezeigt, über die eigentlichen Probleme zu sprechen. Das ist im Grunde genommen etwas, was wir Theologen schon wahrgenommen haben in den letzten Jahrzehnten und immer wieder haben Theologen darauf hingewiesen, diese Unfähigkeit der Orthodoxen, einfach sich ehrlich und authentisch mit den eigenen Problemen auseinanderzusetzen. Leider, was wir heutzutage erleben in der orthodoxen Kirche, ist auch so eine Art Kluft zwischen Kirchenleitung und kritischer Theologie.
    "Kirchenoberhäupter haben ungeklärtes Verhältnis hat zur Moderne"
    Schulz: Ich möchte diese Stichwort "Neue Synodalität" noch einmal aufgreifen. Warum hat man denn nicht eigentlich ähnlich wie beim Zweiten Vatikanischen Konzil bei einem solchen panorthodoxen Konzil die offene Diskussion zugelassen? Warum haben die alten Patriarchen eine solche Angst vor einer offenen Debatte bei einem solchen Treffen?
    Kattan: Ich denke, weil es eine latente Krise gibt zwischen den orthodoxen Kirchen und der Moderne. Wenn Sie auch eine offene Diskussion sagen, dann impliziert eine offene Diskussion Kritik, also kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition, mit den eigenen Verhaltensweisen. Und davor haben die Kirchenoberhäupter massive Angst, weil die orthodoxe Kirche seit mehr als hundert Jahren im Grunde genommen so ein ungeklärtes Verhältnis hat zur Moderne. Und das kommt jetzt durch diese Krise zum Ausdruck. Für meine Begriffe eine Überwindung dieser Krise kann uns nur dann gelingen, wenn das Verhältnis zwischen orthodoxer Kirche und Moderne geklärt wird, weil Moderne an erster Stelle Selbstkritik bedeutet und Infragestellung der eigenen Position. Und das bedeutet – also im Klartext – wir müssen uns von unserem starren Traditionsbegriff verabschieden und nach einem flexibleren Traditionsbegriff suchen und nach einer neuen Idee der Synodalität.
    Schulz: Ist denn die Autorität des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios nach dieser Woche beschädigt?
    Kattan: Es ist ja auch unter den Orthodoxen strittig, wie diese Autorität des byzantinischen Patriarchen zu definieren ist. Und das ist ja auch ein Teil des Problems. Laut unserer Tradition hat der Patriarch von Konstantinopel einen Ehrenprimat in der orthodoxen Kirche. Die Frage ist natürlich, wie dieser Ehrenprimat zu definieren ist und was sind die konkreten Privilegien des byzantinischen Patriarchen. Konstantinopel hat immer den Anspruch erhoben, für sich nicht nur so etwas wie einen Ehrenprimat zu haben, sondern auch eine Koordinationsrolle unter den Orthodoxen zu spielen. Und Konstantinopel hat ihre Rolle immer so verstanden, dass sie sich einschalten muss, wenn Probleme auftauchen zwischen den Orthodoxen. Also es geht nicht nur um Koordination, sondern auch um den Versuch, bestimmte Probleme zu tilgen. Ich bin davon überzeugt, dass in der orthodoxen Welt, dass wir einen Patriarchen bräuchten, der eine solche Rolle spielt, die ja auch ursprünglich – also dem Papst von Rom zukam, bevor die große Kirchentrennung im 11. Jahrhundert stattgefunden hat zwischen orthodoxer Kirche, also Kirche des Ostens und Kirche des Westens.
    Problematische Fragen ausgeklammert
    Schulz: Stichwort "Führungsrolle" innerhalb Orthodoxie – wer würde denn eine solche Führungsrolle einnehmen können, der Patriarch von Moskau oder der von Konstantinopel? Oder ein ganz anderer?
    Kattan: Ja, das ist ja das Problem. Wir haben ja auch altkirchliche Kanones, auf die der Patriarch von Konstantinopel sich bezieht, um seine besondere Rolle zu untermauern. Andererseits man muss ja auch sagen, dass diese Kanones vor vielen, vielen Jahrhunderten verabschiedet wurden und seitdem hat sich die Situation verschoben innerhalb der Orthodoxie. Das heißt also, das Patriarchat von Konstantinopel hat ganz wenig Kirchenvolk auf seinem ursprünglichen Boden, sprich in der heutigen Türkei - natürlich mehr in den Diaspora-Ländern, in den Vereinigten Staaten, in Europa. Aber das lässt sich ja auch kaum vergleichen mit der russisch-orthodoxen Kirche. Also die russisch-orthodoxe Kirche geht von mindestens 100 Millionen Gläubigen aus. Das heißt, im Grunde geht es auch darum, wie diese alt-kirchlichen Kanones heute zu interpretieren sind und ob sie immer noch gültig sind oder nicht gültig sind. Zu erwarten war, dass dieses panorthodoxe Konzil auch sich mit dieser Frage beschäftigt. Das war ja auch die Erwartung von vielen, vielen Kollegen und Kolleginnen, Theologen. Diese Frage wurde ausgeklammert von der Tagesordnung. Und das ist ja auch ein Teil des Problems.
    "Verstümmeltes Konzil"
    Schulz: Lassen Sie uns über das Thema Diaspora sprechen. Sie haben es auch gerade angesprochen. Das Problem der Diaspora ist ja, was macht man mit orthodoxen Gläubigen, die in einem Land zusammen leben, aber zum Beispiel der serbischen, der russischen, der rumänischen oder so weiter Kirche angehören. Das ist ja nach den alt-orthodoxen Vorstellungen eigentlich nicht vorgesehen. Wie geht man jetzt mit dieser Situation um, wenn das Konzil ja offensichtlich keine anerkannte Entscheidung mehr treffen kann zu dieser Frage?
    Kattan: Ja, das ist auch ein weiteres Problem, ursprünglich war die Idee, dass in den sogenannten Diaspora-Ländern Bischofskonferenzen entstehen bis zum panorthodoxen Konzil, also als Provisorium bis zum panorthodoxen Konzil und dass das panorthodoxe Konzil sich mit dieser Frage auseinandersetzt und eine endgültige Lösung findet. Und die endgültige Lösung kann ja auch nur sein – laut den alten ekklesiologischen Prinzipien der orthodoxen Kirche ist, dass an einen bestimmten Ort, sprich eine Stadt wie Berlin oder so, dass es nur einen orthodoxen Bischof geben kann. Für problematisch halte ich es nach wie vor, dass man auch diese strittige Frage schon in der Vorbereitungsphase des Konzils versucht hat, irgendwie auszuklammern, in dem – natürlich, es gibt einen Text über diese Frage, aber offensichtlich gab es seitens der orthodoxen Oberhäupter und seitens der orthodoxen Kirchenleitung sowohl auf der Seite von Moskau als auch auf der Seite von Konstantinopel, aber auch bei anderen orthodoxen Kirchen, alle haben ja auch Kirchenvolk in der Diaspora, ich habe nicht den authentischen Willen gespürt, dass sie sich mit dieser Frage auseinandersetzen, um eine Lösung zu finden. Und das halte ich für äußerst problematisch. Denn im Grunde genommen bedeutet das eine massive Kluft zwischen unserer Theologie und unserer Praxis.
    "Das schadet der Ökumene mit Katholiken und Protestanten"
    Schulz: Lassen Sie uns zum Schluss noch über das Thema, die Frage der Ökumene sprechen. Das Thema ist in der Orthodoxie ziemlich umstritten. Bartholomaios gilt ja als dem Dialog mit anderen Kirchen doch zumindest sehr offen. Was bedeutet jetzt das Scheitern des Konzils für die Beziehungen der Orthodoxie zu anderen Kirchen, etwa zur katholischen Kirche?
    Kattan:. Die Tatsache, dass das Konzil jetzt auf diese Art und Weise stattfindet, also nicht als panorthodoxes Konzil, sondern als verstümmeltes Konzil, würde ich sagen, wird mit Sicherheit der Ökumene sowohl mit der römisch-katholischen Kirche als auch mit den protestantischen Kirchen schaden. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass dieses Konzil jetzt also in der Art und Weise stattfindet, das bedeutet natürlich nicht, dass dieses Konzil nicht positiv rezipiert werden kann in der Zukunft sowohl von den Kirchen, die dieses Konzil jetzt boykottieren, als auch von den anderen Kirchen, die daran teilnehmen. Ich bin gespannt, wie die Dokumente, wenn überhaupt Dokumente verabschiedet werden, wie diese Dokumente dann von den orthodoxen Christen rezipiert werden. Ich denke, das ist das Entscheidende für die Zukunft der orthodoxen Kirche, wie dieses Konzil rezipiert wird.
    Schulz: Kurze Nachfrage noch zur katholischen Kirche. Würden Sie denn sagen – mancher Kritiker hat das ja angemerkt, dass Papst Franziskus den Konflikt zwischen Konstantinopel und Moskau mitunter vielleicht noch verschärft haben kann eben durch ein sehr öffentlichkeitswirksames Treffen zwischen ihn und dem russischen Patriarchen Kyrill, weil er diesen ja dadurch regelrecht aufgewertet hat innerhalb der Orthodoxie?
    Kattan: Das war mit Sicherheit nicht so intendiert seitens des katholischen Papstes. Ob es sich jetzt so in der Wirklichkeit ausgewirkt hat auf die Kirche von Konstantinopel, das könnte sein. Ich bin ja auch darüber nicht informiert. Aber ich fand dieses Treffen zwischen dem Papst und Patriarch Kyrill – ich empfand das als etwas Positives, weil gerade in den letzten Jahren es Spannungsverhältnisse gegeben hat zwischen der katholischen Kirche und der russisch-orthodoxen Kirche. Und dieses Treffen hat ja auch beigetragen, diese Situation zu entschärfen.