Freitag, 19. April 2024

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Koppstoff

Sie sind zwischen siebzehn und dreiundsechzig Jahre alt. Sie arbeiten als Verkäuferinnen in einem Gemüsegeschäft oder einer Edelboutique, als Versicherungskauffrau, Friseurin oder Schauspielerin, sie studieren, gehen noch zur Schule, sind arbeitslos oder kellnern. Nach "Kanaksprak. 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft" hat Feridun Zaimoglu jetzt 26 Frauen befragt, die türkischer Herkunft sind und lange in Deutschland leben: Deutschländerinnen, Kanakstas, Türkischstämmige - wie immer sie sich selbst bezeichnen. Gül ist 21 Jahre alt und Anarchistin. "Und wenn ich was gegen fremdgefügtes Schicksal habe, dann bin ich gegen Politikmache der Bonzen hier und gegen die Orientalklatsche meines Homelands. Ich kenn meine Henker, weißt, klar ist n bißchen großspurig, was ich da sag, aber es gibt so viele, die meinen, was gut für dich ist und was deine Identität ist, und du hörst dir den Mist an und wunderst dich, daß nix von dieser Meinung zu dir paßt, aber echt. N Kopftuch tu ich mir nicht an, das is meine Sache, und n Yuppiemiezenrock tu ich mir auch nicht an, weil's nicht paßt. Es paßt mir nicht in den Kram, denn ich habe ne eigene Behauptung, und ner anderen Türkin wird's gefallen, Karriere zu machen und nen Typen zu heiraten. Find ich persönlich zwar scheiße, aber das ist deren Leben, und die soll man machen, was sie für richtig hält. Es gibt irgendwie Positionen, wo du selbst damit klarkommen mußt, ich hab mich fürn Kampf entschieden."

Detlef Grumbach | 14.01.1999
    Zu Hause in den Familien und draußen auf den Straßen haben gerade die Frauen es mit machtvollen Zuschreibungen und Erwartungen unterschiedlicher Kulturen zu tun. Dagegen setzen sie ihre eigene Subjektivität, einen harten, unnachgiebigen Blick auf diese Gesellschaft, eine selbstbewußte Liebe zum Leben. Zaimoglu, der 1964 in Bolu in der Türkei geboren wurde, in Deutschland aufgewachsen ist und seit 1985 in Kiel lebt, hat mit ihnen gesprochen, hat Protokolle verfaßt, diese mit ihnen zusammen bearbeitet, aber auch vollständige Texte unverändert übernommen. Denen, die sonst oft nur Objekt sind, gibt er eine eigene Sprache: "Kanaksprak ist eine Kunstsprache", erläutert Zaimoglu. "Es ist eine Form der Sichtbarkeit. Am Ende kommt Sichtbarsein und Kenntlichmachung, kommt Öffentlichkeit heraus. Dazu gehört genauso ein kämpferischer Gestus in der Sprache, ein Stakkato oder harter Beat, dazu gehören Eins-zu-Eins-Übersetzungen aus dem Türkischen ins Deutsche, dazu gehören verbale Posen, aber am Ende steht immer und immer wieder die Präsenz, das Recht des Einzelnen auf seine ganz individuelle Präsenz."

    Sie sind keine Türkinnen und auch keine Deutschen. Und wer da gerne ein "noch" eingefügt sähe, irrt sich, denn Deutsche wollen und können diese Kanakstas gar nicht werden. Dagegen wehren sie sich, pochen auf den Mut zu einer eigenen Wahrheit, kämpfen um die Freiheit, einen eigenen Weg gehen zu können. "Meine Erfahrung und meine Einblicke von der neuen Auffälligkeit von den Frauen aus der zweiten oder dritten Generation ist die, das erstmal ihr Leben großstädtisch geprägt ist", so Feridun Zaimoglu. "Das ist ein ganz besonderer Punkt, weil man es plötzlich nicht mehr nur mit zwei starren normativen Kulturkörpern zu tun hat. Man hat es nicht mehr mit Bekenntnis zu tun. Für wie provinziell halten uns diese ganzen Leute? Wie langweilig wäre es denn, sich für das eine oder andere zu entscheiden. Es sind viel mehr Posten da draußen. Die Räume und die Möglichkeiten, die Lebensentwürfe, auch wenn man ‘Koppstoff’ liest, beziehen sich auf individuelle Strategien. Das ist das sogenannte ‘Postmoderne’, das postmoderne Lebensgefühl. Man pflegt seine eigene Biographie und baut seine eigene - ich nehme das Wort mal in den Mund - Identität selbst zusammen."

    Nicht die Benachteilung im Bildungssystem, die Ausgrenzung und Chancenlosigkeit am Arbeitsmarkt nähren Wut und Aggressivität. Ob sich die zweiundzwanzigjährige Sükran Gedanken über die "Strikttrennung zwischen Puderquaste und Grips" macht, ob immer wieder kritisch mit den Landsleuten ins Gericht gegangen wird, die sich zu sehr anpassen und hier "Assimil-Kümmel" oder "untertänigst Alemanbefolger" genannt werden, ob über die Schweißfüsse deutscher Männer oder die "Ethnomacke" philosophiert wird - die existentielle Frage lautet: Wer bin ich, und wie erobere ich mir den Raum, so sein zu können, wie ich bin. "Diese Leute hatten ihre Chance", so Zaimoglu. "Und was sie sagen, ist: Ich kann noch so in der Mehrheitsgesellschaft aufgehen, ich kann noch so meine Success-Story auf den Tisch hauen, ich kann sogar noch besser sein als die Einheimischen, aber, und das ist der Kernsatz - nicht: Ich spiele in der Liga der Verdammten, wie man das bei "Kanaksprak" hatte -, sondern: Man wird zur Türkin gestempelt. Es ist für die eine das falsche ästhetische Moment in dieser Gesellschaft, bei der anderen ist es die Behauptung, die politische Behauptung, mit der sie nicht durchkommt, eine andere erzählt, daß sie tun und lassen kann, was sie will, sie wird zur Fremdländerin gestempelt. Sie kann das nicht aus der Fresse wischen."

    "Koppstoff" - dieser Lesestoff zwischen Kopftuch und eigener "Behauptung" - hat die sogenannte "Gastarbeiter-Literatur" der siebziger und achtziger Jahre weit hinter sich gelassen. Hier wird nicht aus der Perspektive von Betroffenheit um Verständnis geworben, sondern selbstbewußt und ungeduldig aufgetrumpft. Feridun Zaimoglu vermittelt ein Lebensgefühl, daß die revoltierende Großstadtjugend der neunziger Jahre - jenseits ihrer Nationalität - vielleicht sogar verbindet. Das spontane, wilde Artikulieren des Raps spricht aus seinen Texten. Nichts wird verkleistert: Angst, Liebe und Haß, authentische Gefühle, die unter die Haut gehen, oszillieren in einer kunstvollen Sprache voller Härte, Poesie und Zärtlichkeit. "Ich habe ein erotisches Verhältnis zur Sprache", erklärt Feridun Zaimoglu. "Und das sind Bastarde und Bastardinnen, und es gibt so viele Möglichkeiten zu skaten sozusagen, zwischen den verschiedenen Ebenen, zwischen den verschiedenen Niveaus verschiedener Sprachen, daß meine Leistung darin besteht, durch die Durchdringung der Position oder des Sprachmaterials gewissermaßen meinen Kanak-Anteil beigesteuert zu haben. Am Ende sind da Kanaksprak-Brocken. Das ist der Punkt. Man kann sie nicht mehr auseinandernehmen."