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Kornblum: "Wir befinden uns jetzt nicht nur in einem Syrien-Krieg"

Die USA hat kurz vor dem G8-Treffen in Nordirland Waffenlieferungen an syrische Rebellen angekündigt. Das sei eine Reaktion auf wachsenden politischen Druck Zuhause, sagt der ehemalige US-Botschafter John Kornblum. Der Westen, Europa und die USA stünden vor einer "ziemlich breiten allgemeinen diplomatischen Krise".

John Kornblum im Gespräch Friedbert Meurer | 17.06.2013
    Friedbert Meurer: Seit Tagen bereiten sich die Gegner einer Globalisierung, die vermeintlich nur den starken Staaten hilft, auf den G8-Gipfel in Nordirland vor. In Belfast wird seit Tagen demonstriert, bislang friedlich, mit vielen Diskussionen und Protest-Happenings. Die Staats- und Regierungschefs der führenden Industrienationen treffen sich regelmäßig im Kreis der G8-Staaten, beargwöhnt, hier sitze eine selbsternannte Elite zusammen. Aber das Forum gibt zumindest Gelegenheit zum Austausch und Verhandeln. Zum Beispiel reden Obama und Putin in Lough Erne auch über den Bürgerkrieg in Syrien. Für den US-Präsidenten ist die rote Linie jetzt endgültig überschritten, die USA wollen jetzt die Rebellen unterstützen: mit leichten Waffen. Anders als Deutschland! Bundesaußenminister Guido Westerwelle gestern hier im Deutschlandfunk:

    O-Ton Guido Westerwelle: "Deutschland selbst wird keine Waffen nach Syrien liefern. Wenn es um Waffenlieferungen geht, dann reden wir ja von modernsten Systemen, zum Beispiel von Flugabwehrsystemen, und da sorgt es mich, was passieren könnte, wenn solche modernsten Flugabwehrsysteme in die Hände von Extremisten oder von Dschihadisten geraten könnten, deren Ziel ja nicht nur Damaskus ist, sondern anschließend auch Jerusalem." (Im Interview der Woche)

    Meurer: Guido Westerwelle, Bundesaußenminister. – John Kornblum war ehedem US-Botschafter in Berlin, guter Kenner der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Guten Morgen, Herr Kornblum.

    John Kornblum: Guten Morgen!

    Meurer: Teilt Obama nicht die Bedenken des Bundesaußenministers Westerwelle?

    Kornblum: Ich glaube, er teilt sie doch. Er hat ziemlich lange auch gewartet, bis er sich entschieden hat, Waffenlieferungen anzufangen. Mir ist auch nicht bekannt, welche Waffen er im Moment liefern will. Aber die Äußerungen von Herrn Westerwelle, aber auch die Entscheidungsprobleme von Herrn Obama zeigen, wie schwierig es für den Westen gewesen ist über die letzten anderthalb bis zwei Jahre, überhaupt mit dem sogenannten arabischen Frühling fertig zu werden, und wir alle bieten kein sehr entschlossenes Bild im Moment.

    Meurer: Wieso glauben Sie hält sich die Bundesregierung, um bei der mal zu bleiben, so zurück, von Libyen angefangen jetzt auch in Syrien?

    Kornblum: Ja, das ist die ganz klare deutsche Linie. Ich verstehe das aus verschiedenen Gründen. Aber ich glaube, man hat allmählich gesehen, dass dies auch in eine Sackgasse führt. Man kann nicht immer nur sagen, es muss eine politische Lösung geben, wenn man sieht, dass es überall brennt. Aber wie gesagt: Das ist nicht nur ein deutsches Problem, das ist ein allgemeines Problem des Westens, ich würde sagen teilweise dadurch bedingt, dass die Vereinigten Staaten gerade aus zwei wirklich sehr mühsamen Kriegen, Irak und Afghanistan, gekommen sind und dass Volk – das zeigen alle Umfragen – nicht intervenieren will, aber anders herum, dass es auf der westlichen Seite keine Einheit gibt. Das einzige Land, das eine konsequente Strategie gehabt hat – und das hat sich ausgezahlt -, ist Russland.

    Meurer: Und Frankreich? Frankreich nicht auch? Das ist ja ein Land, das Waffen liefern will an die syrischen Rebellen.

    Kornblum: Ja, kann sein. Aber sie haben auch nicht die Position so klargestellt wie Russland. Russland hat von Anfang an, wie ich meine, die falsche Seite unterstützt, aber das ist meine Meinung. Aber wir sehen, Herr Meurer, wie Sie das Problem am Anfang dieses Interviews beschrieben haben. Sie haben gesagt, den Bürgerkrieg in Syrien. Vor einem Jahr hätten wir diesen Ausdruck nicht benutzt. Aber die Russen haben tatsächlich – das kritisieren Sie nicht, das ist jetzt, was man in der westlichen Presse liest – diese Definition des Problems mehr oder weniger jetzt etabliert.

    Meurer: Ist der Umstand, dass Obama gesagt hat, wir wollen jetzt Waffen liefern, und das so unmittelbar vor dem G8-Treffen heute und morgen in Nordirland – da wird es ja auch eine Begegnung der beiden Präsidenten Obama und Putin geben -, ist das eine, ich will nicht sagen, Kampfansage, aber doch eine Ansage an Russland?

    Kornblum: Es kann sein, aber im Grunde ist es eigentlich eine Reaktion auf wachsenden politischen Druck zuhause, und ich glaube, der letzte Schritt war Bill Clinton selber, der über das Wochenende Obama ziemlich direkt kritisiert hatte. Er hat auf den Bosnienkrieg hingewiesen, wo er in einer sehr ähnlichen Lage war. Er hat über zwei Jahre gedauert, bis die Vereinigten Staaten sich engagiert haben, und das hat er nachher bereut und er hat das Obama ziemlich klar gesagt. Ich glaube, in diesem Fall ist es eher politischer Druck von innen. Man sagt, es hat auch eine lange Diskussion innerhalb der Administration gegeben, das glaube ich. Aber im Endeffekt glaube ich, es war der politische Druck von innen, der zu dieser Entscheidung geführt hat.

    Meurer: Es wird ja immer darüber diskutiert, die Einstellung der USA hänge von der berühmten Linie ab, dem Einsatz von Chemiewaffen in Syrien. Ist das ein bisschen ein Vorwand mit den C-Waffen? Spielen da andere Motive eine Rolle?

    Kornblum: Ich glaube nicht, dass es ein Vorwand ist. Ich glaube eher, dass es eine etwas überschnelle Reaktion war. Wie wir alle wissen: C-Waffen haben einen besonders schlechten Ruf und wenn man glaubt, dass sie eingesetzt werden, ist das ein Grund zur Aufregung. Ich glaube, Obama hat das benutzt, um irgendwie später vielleicht einen Grund zu haben zu intervenieren. Was er nicht verstanden hat, ist, dass natürlich der Beweis sehr schwierig ist und dass man im Endeffekt nicht klar darüber sagen kann, von wem und unter welchen Umständen sie benutzt worden sind. Jetzt lebt er aber mit dieser Aussage und das war ein Teil der Kritik zuhause, dass man sagte, Herr Präsident, Sie haben schon vor einem Jahr gesagt, wenn man Beweise hat, dann müssen wir einschreiten. Na ja, der Beweis ist da, wo sind Sie denn? Das hat für ihn, finde ich, große Schwierigkeiten bereitet.

    Meurer: Die russische Seite sagt ja, wir wissen nichts von C-Waffen, wir glauben das auch nicht. Ist das wirklich die echte Überzeugung der russischen Seite, oder spielt da auch eine Rolle, dass man seit dem Irakkrieg, dem denkwürdigen Auftritt Colin Powells den US-Geheimdiensten nicht mehr glaubt, wenn die sagen, irgendwo gibt es Massenvernichtungswaffen?

    Kornblum: Na ja, ich glaube, die Russen sind einfach konsequent auf ihrer Strategie. Wenn ich mich entsinne: Vor sechs oder acht Wochen, als die ersten Anzeichen da waren, haben die Russen sogar Assad davor gewarnt. Sie hatten ihm gesagt, dass er sie benutzt hat, aber sie haben ihn davor gewarnt. Wie gesagt, ich glaube, die Russen reiten eine sehr konsequente Strategie. Ich persönlich meine, dass es sich für sie im Endeffekt nicht einstweilen auszahlen wird. Aber wir dürfen nicht vergessen: Wir befinden uns jetzt nicht nur in einem Syrienkrieg, sondern in einer ziemlich allgemeinen diplomatischen und sicherheitspolitischen Krise in der Region. Der Iran hat jetzt einen neuen Präsidenten gewählt, das kann gut, kann nicht gut sein. Die Türkei ist auf einmal nicht mehr der Sockel der Stabilität, sondern ist auch in großen Schwierigkeiten. Das heißt, vor allem der Westen, Europa und die Vereinigten Staaten stehen vor einer wirklich ziemlich breiten allgemeinen diplomatischen Krise, wo wir bis jetzt keine Bereitschaft gezeigt haben, das irgendwie zu meistern.

    Meurer: John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland, zu den geplanten Waffenlieferungen der USA an die syrischen Rebellen. Herr Kornblum, besten Dank und auf Wiederhören.

    Kornblum: Ich bedanke mich.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.