Samstag, 20. April 2024

Archiv

Korrespondentengespräch
"Es ist wichtig, in Deutschland über Russland aufzuklären"

Gesine Dornblüth ist DLF-Korrespondentin in Moskau. Im Gespräch erzählt sie von Minustemperaturen und anderen Tücken ihrer Arbeit, welche Bedeutung die Fernsehberichterstattung für russische Zuschauer hat und wie es um die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung in Moskau bestellt ist.

Gesine Dornblüth im Gespräch mit Christel Boßbach | 24.10.2014
    Porträtfoto von Gesine Dornblüth, Deutschlandradio-Korrespondentin in Moskau.
    Gesine Dornblüth berichtet für den Deutschlandfunk aus Osteuropa. (Deutschlandradio / Marco Bertolaso)
    Christel Boßbach: Als Korrespondentin des Deutschlandradio in Moskau ist Gesine Dornblüth oft in unseren Programmen zu hören, eingebunden ins Tagesgeschäft, und ist nur selten im Kölner Funkhaus zu Besuch, so wie heute. Wie lässt sich denn die Zusammenarbeit zwischen Moskau und Köln den Kollegen hier charakterisieren?
    Gesine Dornblüth: Ich würde mal sagen, mit einem Wort: intensiv. Sie haben es ja erwähnt, ich bin ziemlich oft im Programm, ich werde oft gefragt, wie das läuft, wo die Themen herkommen. Es ist so, dass ich oft Themen, meistens Themen selbst vorschlage. Manchmal kommen auch Anregungen aus den Funkhäusern, aus Köln oder auch aus Berlin. Oft ist es durch die Agenda vorgegeben. Im letzten Jahr war das klar, Krim und Ukraine rauf und runter, Sanktionen, die politische Weltlage. Ich versuche aber auch immer, so viel es geht, Alltagsgeschichten und Hintergrundgeschichten noch nebenher zu recherchieren, weil ich es wichtig finde und weil es mir auch großen Spaß macht.
    Boßbach: Wir haben heute in der Konferenz gehört, dass es schon richtig schneekalt ist in Moskau. Wie motiviert man sich dann, auf die Straße zu gehen und Termine wahrzunehmen?
    Dornblüth: Ja, ich will nicht verschweigen, dass das manchmal schwer fällt, insbesondere im Winter. Also Gott sei Dank wird jetzt an diesem Wochenende auch in Moskau zurückgestellt, erstmals wieder seit drei Jahren. Dadurch haben wir weiterhin zwei Stunden Zeitunterschied. Letztes Jahr waren es drei Stunden, und da wurde es dann teilweise erst gegen elf hell. Das ist also dieses Jahr eine Stunde eher. Trotzdem, wenn es so richtig dunkel ist, dann möchte man noch ein bisschen länger im Bett bleiben. Was mich motiviert, trotzdem, das ist – die Geschichten sind spannend, es macht mir Spaß. Es macht mir Spaß, mit Leuten zu reden, und ich finde es auch nach wie vor wichtig, in Deutschland über Russland aufzuklären und eben nicht nur die Nachrichtenschlagzeilen zu vermelden, sondern wirklich mehr über Land und Leute zu erzählen.
    "Es gibt kein Vertrauen in die Medien"
    Boßbach: Gibt es denn Unterschiede zwischen der russischen Gesellschaft und der deutschen Gesellschaft, was so die Glaubwürdigkeit der Medien, das Vertrauen in die Medien angeht?
    Dornblüth: Ja, die gibt es. Es wird ja hier geredet von einer Vertrauenskrise in die Medien. Diese Krise ist sicher da. In Russland, würde ich sagen, ist es nicht nur eine Krise, sondern es gibt kein Vertrauen in die Medien. Es gibt dazu viele Umfragen, und es ist so, dass 90 Prozent der Russen angeben, ihre Hauptinformationsquelle sei das Fernsehen, das heißt, das Staatsfernsehen oder das vom Kreml gelenkte Fernsehen. Denn es gibt keine unabhängige oder fast keine unabhängigen Fernsehsender mehr in Russland, die über lokale Reichweiten hinaus ausstrahlen.
    Und was mich besonders schockiert hat, war eine Umfrage, da haben rund 60 Prozent der Befragten angegeben, dass sie es okay finden, wenn im Fernsehen gelogen wird. Wenn die Unwahrheit berichtet wird zugunsten einer höheren Wahrheit, irgendeines wichtigen Zieles. Und das ist natürlich verheerend. Und wenn die Leute schon so eine Grundeinstellung haben zu Medien überhaupt, dann fällt es natürlich unheimlich schwer, ihnen zu vermitteln, dass wir anders arbeiten und dass wir uns journalistischen Idealen verpflichtet fühlen.
    Christel Boßbach (li.) und Deutschlandfunk-Korrrespondentin Gesine Dornblüth im Gespräch.
    Christel Boßbach (li.) und Deutschlandfunk-Korrrespondentin Gesine Dornblüth im Gespräch. (Deutschlandradio / Marco Bertolaso)
    Unabhängige Journalisten werden ins Internet verdrängt
    Boßbach: Gibt es da einen Unterschied zu Online und Social Media, dass die noch mal eine andere Bedeutung haben als die traditionellen Medien inzwischen?
    Dornblüth: Absolut. Das ist auch was, was ich jetzt, seit ich da bin, in den letzten drei Jahren immer mehr gelernt habe. Da hat sich auch noch mal was getan in den letzten drei Jahren, ist mein Eindruck. Die unabhängigen Denker, unabhängigen Journalisten werden immer mehr verdrängt ins Internet. Das Internet galt in Russland lange Zeit als ziemlich frei. Auch da sind jetzt leider Einschränkungen zu sehen.
    Es gab ein sehr gutes Nachrichtenportal, lenta.ru, da ist die Mannschaft jetzt komplett nach Riga ausgewichen, und die sind jetzt seit ein paar Tagen online, machen eine gute Seite, mit dem Ergebnis, dass sie in Kasachstan schon am zweiten Tag abgeschaltet wurden – Kasachstan ist ja auch mein Berichterstattungsgebiet. Ich bin gespannt, wie das in Russland weitergeht damit. Was ich gelernt habe, ist, dass es unheimlich wichtig ist, sich in sozialen Medien zu informieren. Es ist natürlich so, dass das auch dann nur ein Ausschnitt der Gesellschaft und der Wirklichkeit ist. Aber für mich ist es wirklich Routine geworden, morgens beruflich neben den Internetzeitungen tatsächlich auch Facebook anzugucken und da mich zu informieren, was die Leute so posten.
    Boßbach: Und dann rauszugehen in die Kälte. Danke!
    Die aktuelle Berichterstattung von Gesine Dornblüth
    Ukraine-Wahl - Russen hoffen auf Poroschenko
    (Deutschlandfunk, Europa heute, 23.10.2014)
    Aserbaidschan - Druck auf Regierungskritiker wächst
    (Deutschlandfunk, Europa heute, 22.10.2014)
    Moskaus Imagearbeit - Professor Haag lobt Russland
    (Deutschlandfunk, Informationen am Morgen, 21.10.2014)
    Machtpolitik - Russland und die "eingefrorenen Konflikte"
    (Deutschlandfunk, Hintergrund, 15.10.2014)Ukraine-Krise - Truppenabzug als Friedensgeste
    (Deutschlandfunk, Informationen am Mittag, 13.10.2014)