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Korruption in Afghanistan
Hauptursache der schlechten Sicherheitslage

Hochrangige Posten in Polizei und Armee werden meistbietend versteigert, die tatsächliche Truppenstärke ist weitaus geringer als abgerechnet: Korruption und Seilschaften prägen Afghanistan noch immer. Ein Bericht der Recherchegruppe von Afghanistan Analysts Network zeigt jetzt, in wie vielen Bereichen und Facetten das Problem sich manifestiert.

Von Bernd Musch-Borowska | 13.06.2017
    Präsident Ashraf Ghani gerät wegen der extrem schlechten Sicherheitslage in Afghanistan immer stärker unter Druck. Nicht nur von Seiten der internationalen Streitkräfte der NATO-Mission Resolute Support wurde am Wochenende die Forderung nach Reformen bei den Sicherheitsbehörden erneuert.
    Der Generalstaatsanwalt hatte den Polizeichef von Kabul und den Garnisons-Kommandeur infolge des Anschlags vor der deutschen Botschaft am 31. Mai entlassen. Notwendig sei vielmehr eine grundlegende Änderung der Strukturen in den Sicherheitsbehörden, sagte Sibghatulla Mujadidi, vom Rat für Sicherheit und Stabilität dem afghanischen Fernsehsender TOLO News:
    "Unter Berücksichtigung der Ereignisse in Kabul und der allgemeinen Situation in Afghanistan reicht es nicht aus, ein paar führende Regierungsvertreter zu entlassen. Wir rufen die Regierung auf, über grundlegende Reformen nachzudenken. In der gegenwärtigen Politik werden große Fehler gemacht und wenn das nicht geändert wird, könnte das zu einem Zusammenbruch der Regierung führen."
    Auch das Afghanistan Analysts Network, eine unabhängige internationale Recherchegruppe, sieht in der herrschenden Korruption eine der Hauptursachen für die extrem labile Sicherheitslage. So sei die Personalstärke bei der Polizei in Wahrheit deutlich geringer als auf dem Papier, sagte Thomas Ruttig, einer der Mitbegründer des Recherche-Netzwerkes. Gehälter für gar nicht existierende Polizisten landeten in vielen Fällen in den Taschen korrupter Vorgesetzter. Dies wirke sich auf die Moral und die Einsatzfähigkeit der Sicherheitskräfte aus.
    "Wenn die Soldaten und Polizisten sehen, dass ihre Vorgesetzten sich bereichern, dann unterminiert das die Kampfbereitschaft und die Moral der Truppe. Wenn wegen der Geisterpolizisten und Geistersoldaten weniger Leute an der Front sind, dann können sie sich weniger zur Wehr setzen und die Vorgesetzten können nicht nach Verstärkung rufen, weil es dann heißt, aber Du hast doch beispielsweise 200 Leute, obwohl in Wirklichkeit nur 100 da sind."
    Versorgungslage der Soldaten oft weniger als in den Bedarfsplänen
    Nach einem Bericht des afghanischen Fernsehens wird offenbar auch die Versorgung der afghanischen Sicherheitskräfte durch Korruption untergraben. So gebe das Innenministerium beispielsweise deutlich weniger Geld für Fleisch für die Polizeikräfte aus, als in den Bedarfsplänen angegeben. Vor allem in den entlegenen Regionen, also an den Frontlinien beim Kampf gegen die Taliban, erhielten die Sicherheitskräfte möglicherweise weniger Fleisch, als ihnen zustehe, heißt es in dem Bericht. Nasir Temori, von der Nichtregierungsorganisation Integrity Watch Afghanistan sagte dem Fernsehsender TOLO News, die Lage habe sich auch unter der Einheitsregierung von Präsident Ghani nicht wesentlich verbessert:
    "Unsere Recherchen haben ergeben, dass es bei den Verträgen des Innenministeriums in den vergangenen Jahren Korruption und viele Fehler gab. Und unter der Regierung der Nationalen Einheit haben diese Verträge noch längst nicht ein Niveau erreicht, dass man unter dem Gesichtspunkt der Transparenz zufrieden sein könnte."
    Aber nicht nur die Versorgung der Soldaten und Polizisten an der Front mit Lebensmitteln sei ein Problem, meint Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network.
    "Wir hören immer wieder, dass Treibstoff, zum Teil auch Waffen und Munition verkauft werden. Dass zu viel abgerechnet wird aus Gefechten oder dass manchmal Gefechte zum Schein organisiert werden, um dann neue Munition zu beantragen. Aber das Wichtigste ist, dass die hochrangigen Posten in Polizei und Armee meistbietend versteigert werden. Und dann wollen diese Leute, die den Job bekommen haben, ihre Investition zurückbekommen. Aber meist haben sie von Anfang an vorgehabt, ihren Job zur persönlichen Bereicherung zu benutzen."
    Neue Leute, neue Strukturen seinen notwendig, meint Ruttig. Gerade das Innenministerium müsse grundlegend reformiert werden, denn die bestehenden Seilschaften seien bereits in den 80er und 90er-Jahren aufgebaut worden. Die internationalen Geldgeber hätten sich lange nicht mit diesem Problem befasst:
    "Wichtig ist zu sehen, dass auch die neue afghanische Regierung dieses Problem erkannt hat, obwohl sie selbst Teil des Problems ist. Aber auch die USA, als Hauptgeldgeber der afghanischen Streitkräfte, das erkannt haben, sodass jetzt vielleicht ein Silberstreif am Horizont auftaucht, dass sich endlich etwas ändert."
    Seit Anfang des Jahres seien im afghanischen Innenministerium ganze Bereiche, wie zum Beispiel das Beschaffungswesen, umorganisiert worden, schreibt das Afghanistan Analysts Network in seinem jüngsten Bericht. Im afghanischen Fernsehen hieß es, bislang seien mindestens 700 Polizeibeamte, darunter 12 Generäle wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht gestellt worden.