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Korruption
Schlupflöcher ermöglichen Bestechung

2003 unterschrieb Deutschland die UNO-Konvention gegen Korruption, ratifiziert wurde sie bislang nicht. Zwar beschloss der Bundestag nun ein Gesetz gegen Korruption bei Abgeordneten. Doch noch immer gibt es Schlupflöcher, die die Bestechung von Mandatsträgern ermöglichen.

Von Jens Rosbach | 06.03.2014
    Peinlich: 2003 unterschrieb Deutschland die UNO-Konvention gegen Korruption. Ratifiziert wurde sie jedoch nicht: "Seitdem werden wir jährlich gerügt, weil wir es anscheinend nicht schaffen, die Abgeordnetenbestechung unter Strafe zu stellen", schämte sich kürzlich die grüne Oppositionspolitikerin Katja Keul im Bundestag. "Von allen Unterzeichnerstaaten haben allein Saudi-Arabien, Sudan, Syrien, Myanmar und Deutschland die Konvention bis heute nicht ratifiziert – wirklich nette Gesellschaft, in der wir uns da befinden!", so Keul weiter.
    Auffällig: Vor knapp zwei Wochen beschloss das Parlament plötzlich ein Gesetz gegen die Mandatsträger-Bestechung. Allerdings genehmigten sich die Abgeordneten gleichzeitig höhere Bezüge. Hans-Christian Ströbele, ebenfalls bündnisgrün, bezeichnete deshalb das Antikorruptionsgesetz als Alibi für die Diätenerhöhung. Vor allem weil die Regierungskoalition alles im Hauruckverfahren durchsetzte. Ströbele: "Diese Eile zeigt bzw. atmet ihr schlechtes Gewissen, ihre Furcht. Da müssen sie sich nicht wundern, dass sie deshalb "gebissen" werden, von der Öffentlichkeit und von uns!"
    Offensichtlich: Jahrelang hatten Union und FDP ein Anti-Bestechungs-Gesetz blockiert - auch aus Angst vor eifrigen Staatsanwälten. Noch unmittelbar vor der Abstimmung warnte CSU-Politiker Hans-Peter Uhl: "Vorermittlungen von Staatsanwaltschaften sind Gift für unsere Arbeit, wenn sie in der Medienlandschaft breitgetreten werden. Es kommt einer öffentlichen Hinrichtung eines Abgeordneten gleich, wenn solche Schlagzeilen entstehen, dass vorermittelt wird wegen einer politischen Denunziation, die sich später als haltlos erweist."
    Furcht vor Ermittlungen
    Ungute Vorzeichen: Erst die jahrelange Furcht vor Ermittlungen, nicht zuletzt durch den Fall des Alt-Bundespräsidenten Christian Wulff. Dann die Turbo-Abstimmung. Was ist nun beim Gesetz gegen Mandatsträgerbestechung herausgekommen?
    "Ich halte das wirklich für einen ganz wichtigen Fortschritt in der Sache, um die es geht." Professor Wolfgang Jäckle hat mehrfach - auch bei Expertenanhörungen im Bundestag - die Gesetzesinitiative begrüßt, gleichzeitig aber rechtliche Schwächen beanstandet. So kritisiert der Jurist, dass das Parlament eine besondere Hürde eingebaut hat für die Verfolgung korrupter Mandatsträger: Ein Volksvertreter muss nämlich, Zitat, "im Auftrag oder auf Weisung" eines Vorteilsgebers handeln - ansonsten ist die Korruption nicht strafbar. Jäckle sieht nun folgende Gefahr: Wirbt ein Parlamentarier selbst Bestechungsgelder ein, könnte er straffrei bleiben. Jäckle: "Da ist ein Gemeinderatsmitglied, das ist in finanziellen Nöten. Und das Mitglied bietet jetzt einem Unternehmer an, dass die Gewerbesteuer nicht erhöht wird. Dafür gibt der Unternehmer ihm einen Vorteil. Das bedeutet: Die Initiative geht aus vom Gemeinderatsmitglied, nicht vom Unternehmer. Und da vertrete ich eben die Auffassung, dass man nicht sagen kann, da wäre im Auftrag oder auf Weisung des Vorteilsgebers gehandelt worden."
    Weitere Strafbarkeitslücken
    Die Antikorruptions-Organisation Transparency International sieht weitere Strafbarkeitslücken. So ist bislang nicht geregelt, bis zu welcher Summe Abgeordnete Abendessen, Hotelübernachtungen oder ganze Reisen annehmen dürfen. Laut der Gesetzesbegründung sind Zuwendungen gemäß den "parlamentarischen Gepflogenheiten" erlaubt. Transparency-Geschäftsführer Christian Humborg weiß aber, dass in jedem Landes- und Kommunalparlament andere Sitten und Gebräuche herrschen: "Es wäre ja sonst auch vorstellbar, dass sich eine Kommune sehr großzügige Regeln gibt und sagen würde: Naja, alle Vorteile bis 1000 Euro sind vollkommen in Ordnung. Dann würde man sich natürlich schon fragen, ob damit nicht das Gesetz de facto unterlaufen wird."
    Nach Humborgs Einschätzung können nach dem neuen Gesetz auch keine Politiker verurteilt werden, die für ein Mandat kandidieren - aber noch nicht gewählt sind. Lassen sie sich bereits vor ihrer Wahl bestechen, könnten sie eventuell nicht bestraft werden. "Wenn solche Personen dann auch noch ins Parlament gewählt würden und dort säßen, hätte man natürlich das Gefühl, hier versagt dann doch der Paragraph", sagt Humborg. Undefinierte Kandidaten-Korruption, diffuse parlamentarische Gepflogenheiten. Und zudem die Hürde, dass die Bestochenen "im Auftrag" eines Geldgebers handeln müssen. Transparency International hat noch eine Schranke im Antikorruptionsgesetz entdeckt - und die bezieht sich auf die Strafverfahren: Keine Amts- oder Landgerichte, sondern nur Oberlandesgerichte dürfen gegen korrupte Abgeordnete vorgehen. Der Gesetzgeber begründet dies mit der "erforderlichen Erfahrung" und "Sensibilität" der hoch angesiedelten Juristen. Christian Humborg fragt sich allerdings, ob die dortigen Generalstaatsanwälte nicht besonders politiknah sind: "Also das Problem, wie man das jetzt geregelt hat, ist einfach, dass immer der Verdacht bestehen bleiben wird, dass wenn ein Verfahren eingestellt wird, dass es Einflussnahme vom jeweiligen Justizministerium des Bundeslandes gibt. Und da wird man jetzt mal abwarten, was passiert."
    Diskussion um Korruption nicht beendet
    Andere Experten, wie Juraprofessor Wolfgang Jäckle, geben allerdings Entwarnung: "Die Unabhängigkeit der Gerichte wird dadurch in keiner Weise berührt."
    Politisch heikel, juristisch kompliziert: Die mehr als zehn Jahre lange Diskussion über die Verfolgung korrupter Mandatsträger scheint nicht beendet zu sein mit dem neuen Gesetz. Selbst nicht in der Regierungskoalition. So wollte Unionsvertreter Hans-Peter Uhl - noch unmittelbar vor der Bundestags-Abstimmung - Gesetzesschwächen nicht ausschließen: "Und wenn sich herausstellen sollte, dass im praktischen Vollzug es dabei Probleme gibt, sollten wir heute schon sagen, dass wir es auch nachbessern können dieses Gesetz."