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Korruption vor den Toren Lissabons

Für viele Bürgerinnen und Bürger Portugals sind die Kommunen die größten Brutstätten für Korruption und Geldwäsche. Die Kommunalwahlen am 29. September sind daher mehr als ein Stimmungstest für die seit 2011 regierende Mitte-rechts-Regierung und ihren harten Sparkurs.

Von Tilo Wagner | 27.09.2013
    Ein Parteilied plärrt aus den Lautsprechern, an der Straße steht ein alter amerikanischer Schulbus, auf den ein riesiger Wahlspruch gedruckt ist, knapp 50 Helfer in knallgrünen T-Shirts verteilen Flyer an Passanten. Es ist Wahlkampf in einer Sozialbausiedlung rund zehn Kilometer westlich von Lissabon. Zum ersten Mal seit 28 Jahren wird in dem 170.000 Einwohner umfassenden Wahlkreis Oeiras ein neuer Bürgermeister in das Rathaus einziehen. Denn der Amtsinhaber sitzt im Gefängnis: Isaltino Morais hat seit Mitte der 80er-Jahre die Lokalpolitik vor den Toren Lissabons entscheidend mitgeprägt – und stand dabei nicht immer auf der richtigen Seite des Gesetzes.

    Korruption und Geldwäsche konnten ihm vor Gericht zwar nicht nachgewiesen werden. Dafür sitzt der Bürgermeister, der vor zehn Jahren sogar im Kabinett des damaligen Regierungschefs und heutigen EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso war, wegen Steuerhinterziehung im Knast. An seiner Popularität hat sich dennoch nichts geändert.

    Paulo Vistas steht in einer Metzgerei und hört sich die Klagen einer arbeitslosen Frau an. Vistas bewirbt sich als unabhängiger Spitzenkandidat für das Bürgermeisteramt in Oeiras und will seinen zwielichtigen Parteifreund und politischen Ziehvater beerben:

    "Im Jahr 2005 war Isaltino bereits angeklagt – und wir haben trotzdem die Wahl gewonnen. Vier Jahre später wurde er zu sieben Jahren Freiheitsentzug verurteilt – und wir haben die Wahl sogar fast mit absoluter Mehrheit gewonnen. Jetzt sitzt er im Gefängnis, aber die Menschen hier müssen sich darum keine Gedanken machen. Die Justiz wird ihren Weg gehen und alle juristischen Fragen klären. Aber die Bevölkerung beurteilt das politische Handeln von Isaltino, und das Ergebnis seiner Amtszeit ist sehr positiv."

    In den goldenen Jahren des portugiesischen Wirtschaftsaufschwungs in den 80er- und 90er-Jahren haben Lokalpolitiker die steigenden Steuereinnahmen aus dem Immobilienboom und satte Transferzahlungen aus Lissabon und Brüssel genutzt, um in ihren Kommunen den Bau von Sozialwohnungen, Straßen und Sportanlagen zu fördern.

    Für Maria Pires de Almeida sind die Kommunen in Portugal die größte Brutstätte für Korruption und Geldverschwendung. Die Zeithistorikerin hat eine umfangreiche Studie vorgelegt, in der die Entwicklung der portugiesischen Lokalpolitik der vergangenen 50 Jahre untersucht wird.

    "Zu Zeiten der Salazar-Diktatur mussten die Bürgermeister jedes kleinste Bauprojekt von der Zentralverwaltung absegnen lassen. Mit der Nelkenrevolution Mitte der 1970er-Jahre wurden die Machtbefugnisse der Kommunen gestärkt und deren finanzielle Autonomie garantiert. Die Budgets wurde in manchen Städten aber sehr schlecht geführt – und es gab kein Kontrollorgan mehr, das den Missbrauch eindämmte."

    So konnten sich in Oeiras oder auch auf der Atlantikinsel Madeira Lokalpolitiker Jahrzehnte lang an der Macht halten. Damit sollte jetzt eigentlich Schluss sein. Ein neues Gesetz beschränkt die Regierungszeit der Bürgermeister auf maximal drei Amtszeiten. Und trotzdem haben einige der sogenannten "Dinosaurier" der portugiesischen Lokalpolitik einen Weg gefunden, um das Verbot zu umgehen: Sie kandidieren einfach um das Bürgermeisteramt der nächstgrößeren Stadt.

    Doch jetzt spüren die Politiker im krisengeschüttelten Portugal den Gegenwind aus der aufgebrachten Bevölkerung. Eine Bürgerrechtsbewegung zog alle juristischen Register, um den Urnengang der Lokalfürsten aufzuhalten. Bis das Verfassungsgericht drei Wochen vor den Kommunalwahlen den Bürgermeistern recht gab. Paulo Romeiro von der Bürgerrechtsbewegung bedauert die Entscheidung:

    "Das Verfassungsgericht erlaubt also, dass sich diese Lokalpolitiker einfach in den Nachbarstädten zur Wahl stellen können. Das ist für uns überhaupt nicht nachvollziehbar. Damit verliert das neue Gesetz seine Bedeutung. Und die Gesetzgeber haben schlechte Arbeit geleistet."

    Solange das Parlament kein neues Gesetz vorlegt, wird sich eine unabhängige Kommunalpolitik fern der parteipolitischen Machtstrategien nicht durchsetzen. Denn in bedeutenden Wahlbezirken wie in Lissabon, Porto oder Sintra kandidieren vor allem aufstrebende oder ehemalige Spitzenpolitiker, denen ihre eigene politische Karriere zuweilen wichtiger zu sein scheint als das Wohl der Kommunen.