Donnerstag, 25. April 2024

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Antisemitismusbeauftragter Felix Klein
"Lehrer oftmals nicht in der Lage, mit Antisemitismus umzugehen"

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, fordert, die Themen Judenfeindlichkeit und Rassismus verbindlich in die Lehrerausbildung zu integrieren. Vielen Pädagoginnen und Pädagogen fehle es im Umgang mit Antisemitismus an Schulen an Kompetenzen, sagte Klein im Dlf.

Felix Klein im Gespräch mit Kate Maleike | 09.11.2020
Felix Klein gestikuliert in einem Gespräch.
"Antisemitismus betrifft uns alle" - der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein (imago images / Jakob Hoff)
Angesichts des wachsenden Judenhasses sieht der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, auch die Schulen in der Pflicht, jüdisches Leben als Teil der kulturellen Vielfalt in Deutschland stärker sichtbar zu machen. Neben einer bundesweiten Meldepflicht für antisemitische Vorfälle fordert er, in der Lehrerausbildung bessere Kenntnisse zum Thema Israel zu vermitteln und Gedenkstättenbesuche für Lehreinnen und Lehrer verpflichtend zu machen. Auch im Geschichtsuntericht müsse anders über jüdisches Leben in Deutschland und Antisemitismus nach 1945 gesprochen werden.

Das Interview in voller Länge:
Kate Maleike: Der 9. November ist ein für Deutschland geschichtsträchtiger Tag: 1938 gab es brennende Synagogen, die Reichspogromnacht war, wie wir alle wissen, Vorbote des Holocaust. Was denken Sie in Bezug auf Schulen am heutigen Tag?
Felix Klein: Die Schulen sollten den heutigen Tag zum Anlass nehmen und noch einmal das totale Versagen, das 1938 in der deutschen Gesellschaft existierte, sich vor Augen zu führen und sich zu fragen, wie würden wir heute mit Diskriminierung, Ausgrenzung und eben auch Judenhass umgehen, was sind die richtigen Schlüsse, die wir aus den damaligen Ereignissen führen müssen, für unser Handeln heute.
Eine Überlebende der Reichspogromnacht 1938, Eve Kugler, während eines Zoom-Interviews
Reichspogromnacht-  Erinnerungen an das Grauen vom 9. November
Eve Kugler wurde 1938 Augenzeugin der Reichspogromnacht. Als ein Attentäter 2019 in Halle die Synagoge angreift und zwei Menschen tötet, ist das Grauen wieder da.
"Es muss verpflichtend sein, die Entstehung des Staates Israel zu kennen"
Maleike: Denn es besteht Handlungsbedarf, die Judenfeindlichkeit wächst auch an unseren Schulen wieder. Wie zeigt sich das eigentlich, was wissen wir genau darüber?
Klein: Das Wort "du Jude" ist leider verkommen zu einem Schimpfwort auf vielen deutschen Schulhöfen. Wir erleben, dass muslimische Schülerinnen und Schüler nicht zum Unterricht erscheinen wollen, wenn der Holocaust thematisiert werden soll, und es gibt auch absolut nicht hinnehmbare Chats von Schülergruppen, wo zum Beispiel ein Bild von Anne Frank gezeigt wird, mit einer Werbung für Tiefkühlpizza unterlegt, wo dann steht, die Ofenfrische. Lehrerinnen und Lehrer sind oftmals nicht in der Lage, mit diesen antisemitischen Dingen umzugehen.
Schülerinnen und Schüler der Liebfrauenschule schwenken zum Ende eines Erinnerungsgangs zum Gedenken an die Ereignisse der Reichspogromnacht im November 1938 eine israelische Flagge im Innenhof des historischen Gefängnisses im heutigen Gerichtsviertel. Foto: Hauke-Christian Dittrich | 10.11.2018, Niedersachsen, Oldenburg
Antisemitismus an Schulen - "Das Internet ist ein Brandbeschleuniger"
"Der Antisemitismus war nie ganz weg – er wird aber durch die digitalen Medien sichtbarer und teils radikaler", sagte Michael Blume, Antisemitismus-Beauftragter in Baden-Württemberg, im Dlf.
Maleike: Es gibt eine Meldepflicht für antisemitische Vorfälle an Schulen, aber nicht in jedem Bundesland, Sie fordern das seit Längerem. Warum haben wir da keine einheitliche Regelung?
Klein: Das liegt am Föderalismus in Deutschland, Bildung, Schule, das ist Ländersache, damit geht jedes Land eben eigenständig um, aber ich glaube wirklich, dass eine Meldepflicht in allen Bundesländern angezeigt wäre, das zeigt auch die Erfahrung in einigen Bundesländern, wo wir die Meldepflicht schon haben. Die sind sehr gut, denn derartige Vorfälle werden dann zum Anlass genommen, offen über Antisemitismus zu diskutieren, und es gibt gar keine Diskussion darüber, ob so was gemeldet werden muss, und auch keine Diskussion darüber, dass man das reduziert auf einen Vorgang zwischen Täter und Opfer, sondern eben die ganze Schulgemeinde damit zu befassen. Wie gesagt, die Erfahrungen und auch die Schlüsse, die wir daraus ziehen können, sind sehr gut.
Klein: Antisemitismus wird oft gar nicht erkannt
Maleike: Also keine Toleranz für jedweden Hass und Feindlichkeit. Bundesfamilienministerin Giffey hat jetzt auch noch mal angesichts der jüngsten islamistischen Anschläge gefordert, dass die Schulhöfe auch gegen Islamismus vorgehen müssen, das heißt also, an den Schulhöfen muss was passieren. Sie haben gerade eben die Lehrkräfte angesprochen – wie stellen Sie sich vor, dass die Lehrerausbildung sich auf dieses Thema einstellen sollte?
Klein: Zum einen glaube ich, ist es wichtig, dass wir die Lehrer verpflichten, während ihrer Ausbildung einen Gedenkstättenbesuch zu machen, damit sie auch die Geschichte kennen. Es muss verpflichtend sein, die Entstehung des Staates Israel zu kennen, denn der Antisemitismus, der heute in Schulhöfen verbreitet ist, hat oftmals mit der Entstehungsgeschichte von Israel zu tun, oder oftmals werden jüdische Schüler für das verantwortlich gemacht, was in Israel passiert, was nicht hinnehmbar und antisemitisch ist. Dann sollten die Lehrerinnen und Lehrer aber auch die Rechtslage kennen.
Sie sollten Antisemitismus als solchen erkennen – Verfolgung von Antisemitismus scheitert ja oftmals daran, dass er gar nicht erkannt wird, und das muss sich ändern. Und dann sollten auch die Lehrer in der Lage sein, ihre Rechte einzufordern, Rückhalt bei ihren Schulleitungen und auch bei den Schulbehörden ganz genau kennen und einfordern. Hierfür müssen sie natürlich auch die rechtlichen Voraussetzungen kennen, und das sollte Gegenstand der Lehrerausbildung sein.
Eingang zum Anne-Frank-Zentrum in Berlin-Mitte
Wie sich Schüler für Antisemitismus sensibilisieren lassen
Seit 2017 initiiert das Anne-Frank-Zentrum in Berlin den "Aktionstag gegen Antisemitismus und Rassismus an Schulen". Bei Schülern soll die Bereitschaft geweckt werden, in ihrem Alltag gegen Judenhass einzutreten.
Maleike: Als wir gerade über die Meldepflicht gesprochen haben, haben Sie den Föderalismus angesprochen, der eben unterschiedliche Regelungen möglich macht, das gilt ja auch bei der Lehrerausbildung. Wie wollen Sie denn erreichen, dass es eben ein verbindlicher Bestandteil der Lehrerausbildung in ganz Deutschland wird?
Klein: Ich glaube, wir müssen das zur Prüfungsvoraussetzung machen für das zweite Staatsexamen, dass das eben ein prüfungsrelevantes Fach wird, Umgang mit Rassismus und Antisemitismus, und das kann man durch Ausbildungsgegenstände. Ich glaube, es gibt einige Institute in Deutschland, die auch Ausbildungsmodule hierfür bereitstellen könnten. Da könnten dann alle Lehrerausbildungsanstalten das anfordern und eben diese Module anwenden. Und noch einmal: Es ist ganz einfach, dass man das zur Zulassungsvoraussetzung für das zweite Staatsexamen zur Ausübung des Lehramtes macht.
Klein: Antisemitismus nicht nur im Zusammenhang mit dem Holocaust lehren
Maleike: Schulstoff, Lehrbücher, darüber haben wir noch nicht gesprochen. Was müsste da aus Ihrer Sicht verändert werden, denn da ist ja wohl auch noch einiges im Argen.
Klein: Jüdinnen und Juden werden leider oftmals nur als Opfer dargestellt. Die Geschichte des Antisemitismus wird erst vermittelt, wenn der Holocaust im Geschichtsunterricht dran ist – das muss sich ändern. Wir müssen viel stärker als bisher darstellen, dass jüdisches Leben immer schon zu Deutschland gehört hat, dass es ein integraler Bestandteil der deutschen Geschichte ist, dass auch Jüdinnen und Juden zur Stärke unseres Landes beigetragen haben und auch dass jüdisches Leben auch nach 1945 weiterexistierte.
Das ist leider so, dass in Schulbüchern oftmals so getan wird, als sei die Geschichte des Antisemitismus und auch jüdisches Leben zu einem Ende gekommen 1945, aber es ging ja weiter, und diese Realität mit muss weiter vermittelt werden. Hier bietet jetzt das Themenjahr "Jüdisches Leben", was wir im nächsten Jahr ja begehen werden, eine gute Gelegenheit, denn dort wird es eine Vielzahl von Veranstaltungen und Initiativen geben, die jüdisches Leben sichtbar machen werden, und da werden viele Menschen sich auch die Augen reiben, glaube ich, wie stark jüdisches Leben Deutschland auch mitgeprägt hat.
Maleike: Wir haben jetzt viel über Defizite an den Schulen gesprochen, was ist denn positiv zu nennen, was im Hinblick auf Antisemitismus oder Erinnerungskultur an deutschen Schulen läuft, was fällt Ihnen da besonders ein?
Klein: Ich glaube, was gut läuft, ist, dass die Menschen auch an den Schulen erkennen, dass Antisemitismus nicht nur die jüdische Gemeinschaft betrifft, sondern uns alle, dass wir mit den ganzen Projekten und auch Aktivitäten nicht nur natürlich auf die jüdische Gemeinschaft zielen – die sind natürlich die Ersten, die betroffen sind –, aber dass es uns alle angeht, dass antisemitische Vorurteile und Stereotypen vor allem bei der nicht jüdischen Bevölkerung Teil der Arbeit ist, und das ist sehr gut.
Ich freue mich auch wirklich immer wieder über sehr, sehr engagierte Lehrkräfte, die auch neue Wege gehen, die zum Beispiel Austausch mit Israel machen, die über Israel informieren und auch ansonsten interaktiv klarmachen, dass zum Beispiel auch Menschen mit Migrationshintergrund absolut einbezogen werden müssen und auch Brücken gebaut werden müssen, was die Erinnerungskultur der Herkunftsländer angeht. Da gibt es wie gesagt sehr gute Ansätze, und die möchte ich weiter bestärken.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.