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Korruptionsskandal in der Toskana
Jagd auf das Professoren-Kartell

Lehrstühle für Freunde oder Kinder von Freunden, gern gegen Geld oder andere Gefälligkeiten: Die Polizei in Florenz ermittelt gegen knapp 60 Steuerjuristen, die sich gegenseitig Posten zugespielt haben sollen. Der Nationale Studentenverband geht davon aus, dass die aufgedeckten Korruptionsfälle nur die Spitze des Eisbergs sind.

Von Thomas Migge | 27.09.2017
    Italien: Blick vom Piazzale Michelangelo auf die Altstadt von Florenz.
    Nicht nur in Florenz, auch an anderen toskanischen Universitäten sollen Professoren gegen Geld Lehrstühle vergeben haben, fürchten Studentenverbände. Sie fordern mehr Transparenz bei der Stellenvergabe. (Daniel Kalker / dpa)
    "Wir müssen der Staatsanwaltschaft voll vertrauen, dass sie das alles komplett aufklärt. Wer weiß, was uns diese Ermittlungen noch offenbaren werden. Die Ermittler dürfen vor niemandem Halt machen".
    Eugenio Giani ist um das Ansehen seiner Hochschulen besorgt. Der Präsident der Region Toskana befürchtet, dass der Fall mehrerer toskanischer Universitäten keine Ausnahme sein könnte. Im Gegenteil. Carlotta Benedetti vom Nationalen Studentenverband geht sogar davon aus, dass die jetzt aufgedeckten Korruptionsfälle nur die Spitze des Eisbergs sein könnten. Sie spricht von einem Korruptionssystem an den Hochschulen:
    "Bei Korruption denkt man in Italien vor allem die Politik, an die Mafia und die Wirtschaft. Jetzt scheint klar zu sein, dass auch unsere Universitäten vor diesem kriminellen Phänomen nicht gefeit sind. Das beweist, wie heruntergekommen dieses System ist".
    Klage wegen des Verdachts der Korruption
    Heruntergekommen und eben korrupt. Wie die mitgeschnittenen Gespräche verschiedener Hochschulprofessoren einiger Universitäten in der Toskana, wie etwa Florenz und Arezzo, zu beweisen scheinen. Sie sind allesamt Steuerrechtler. Die Gespräche nahm Laroma Jezzi heimlich auf - bei verschiedenen Bewerbungsgesprächen. Er war Kandidat für einen Lehrstuhl in Steuerrecht. Doch Jezzi wurde abgelehnt - und das, obwohl er weitaus mehr Qualifikationen für diesen Hochschulposten vorweisen konnte als die Person, die dann schließlich ausgewählt wurde.
    Jezzi klagte wegen des Verdachts der Korruption. Die Staatsanwaltschaft nahm den Inhalt der mitgeschnittenen Gespräche so ernst, dass sie jetzt gegen 59 Professoren ermittelt. Den Verdächtigen wird die Bildung einer sogenannten "Cupola" vorgeworfen. Das Wort, zu deutsch "Die Kuppel", kommt aus der Mafiasprache. "Cupola" bedeutet die Bildung einer geheimen Gruppe, die bestimmte Entscheidungen trifft, die illegal, kriminell oder korrupt sind. Die "Kuppel" der Steuerrechtsprofessoren, gegen die jetzt ermittelt wird, soll jahrelang mit undurchsichtigen Methoden und den Mitteln der Korruption - wahrscheinlich durch Schmiergeldzahlungen bestimmter Kandidaten - entschieden haben wer, wo und wann einen Lehrstuhl in Steuerrecht erhalten sollte.
    Proteste in Rom und Florenz
    Der Beginn der Ermittlungen hat Proteste provoziert. Wie in Florenz so demonstrierten seit einigen Tagen auch an der römischen Hochschule La Sapienza Studierende gegen den immensen Einfluss von Hochschulprofessoren bei der Besetzung akademischer Positionen. Im Zentrum ihrer Kritik steht die Figur des "barone", des Barons. Gemeint sind jene allmächtigen Hochschulprofessoren, die in ihren Fakultäten wie Alleinherrscher bestimmen und auch bei personellen Entscheidungen das letzte Wort haben, erklärt Antonio Castaldo. Der Journalist ist Autor eines Enthüllungsbuches mit dem Titel "Italien – Ein Land der Barone", in dem er die allmächtige Rolle vieler Uniprofessoren beschreibt:
    "Wie funktioniert das italienische Hochschulwesen? Eine sehr komplexe Realität, die nicht der Kontrolle durch das Bildungsministerium untersteht. Sogar Uni-Rektoren haben nicht immer den Durchblick. Und so wird immer öfter gemauschelt. Da kann jemand noch so qualifiziert sein, ob es um eine Assistentenstelle oder einen Professorenposten geht: Wer entscheidet, sind die Mitglieder der ‚Cupola’. Das sind echt kriminelle Aktivitäten".
    Studentenverbände fordern Kontrollen bei der Stellenvergabe
    Kriminell, da es für Stellenausschreibungen auch in Italien entsprechende Kriterien gibt, die es eigentlich einzuhalten gilt. Was aber anscheinend nicht immer der Fall ist.
    Studentenverbände und zahlreiche Hochschullehrer nehmen die Ermittlungen in der Toskana zum Anlass, deutlich mehr staatliche Kontrollen an ihren Hochschulen zu fordern – auch und vor allem bei der Stellenvergabe im akademischen Bereich.