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Flüchtlinge in Serbien
Konkurrenz der Notleidenden

In Serbien ist Schluss. Die Balkanroute Richtung Norden ist dicht und die Menschen aus Afghanistan, Pakistan oder Syrien brauchen eine Bleibe. In vielen Flüchtlingsheimen wohnen aber noch Opfer der Jugoslawienkriege. Die sollen jetzt weichen, auch, weil die Behörden ein gutes Geschäft wittern.

Von Sabine Adler | 16.08.2018
    Flüchtlinge stehen in der Schlange und warten auf Essen vom "Centre for Humanitarian Aid" in Belgrad, Serbien.
    Neue und ehemalige Flüchtlinge werden gegeneinander ausgespielt. (EPA / Koca Sulejmanovic)
    Ein ganzer Aufgang eines Wohnblocks nahe am Belgrader Stadtzentrum wird von Flüchtlingen bevölkert. Sie stammen nicht aus Afghanistan, Pakistan, dem Irak oder Iran, wie derzeit das Gros der Migranten in Serbien, die auf der Balkanroute nicht mehr vorwärtskommen Richtung Norden, sondern festsitzen.
    Opfer der Jugoslawienkriege
    Nein, diese Bewohner hier werden längst nicht mehr als Flüchtlinge wahrgenommen. Es sind Serben, Anfang der 1990er Jahre aus Bosnien und Kroatien geflohen bzw. 1999 aus dem Kosovo. Gordana Radovic, blondiertes Haar, 64 Jahre alt, zeigt auf die Matratze auf dem Fußboden. Dieses Schlaflager und ein mit Paketklebeband geflickter Stuhl sind die einzigen Möbel in dem kleinen Raum. Ihr Zuhause, das sie wie 20 andere Familien jetzt räumen muss.
    "Ich habe im Dezember 1992 Sarajewo mit meinem Sohn verlassen, er war damals 13 Jahre alt. Wir flohen nicht wegen der ethnischen Spannungen, sondern wegen der Bomben und Scharfschützen die jahrelang die Einwohner terrorisierten."
    Gordana Radovic ist arbeitslos, aber noch nicht im Rentenalter, schlägt sich mit Babysitten und Putzen durch und kann nur überleben, weil sie mietfrei wohnt. In einem der Ein-Zimmer-Apartments, die seit vielen Jahren einzig den serbischen Flüchtlingen vorbehalten waren. Nun sollen sie raus, aber keiner sagt ihnen wohin. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, landet sie auf der Straße, fürchtet Gordana Radovic.
    "Ich habe große, sehr große Angst vor Obdachlosigkeit, denn ich als alleinstehende Frau falle durch alle Raster, erfülle angeblich nicht die Kriterien, um eine andere Wohnung zu bekommen."
    Vom Exil ins Exil
    Die serbische Flüchtlingsfrau aus dem bosnischen Sarajewo hat sich denen angeschlossen, die sich wehren. Neben dem Fenster lehnen zwei große Transparente an der Wand, auf einem steht "Verhindert das Exil vom Exil". Wladimir Logos, ein Aktivist einer Menschenrechtsorganisation, sorgt dafür, dass das serbische Flüchtlingskommissariat den von Obdachlosigkeit bedrohten Menschen endlich Gehör schenkt.
    "Wir sind erstaunt, dass die Behörde, die eigentlich den Flüchtlingen helfen sollte, sie derart rüde behandelt. Sie müsste ihnen eine Alternative anbieten, wo sie hinziehen können, aber das geschieht nicht."
    Stattdessen erlebte Gordana Radovic, wie Beamte vom Flüchtlingskommissariat vor wenigen Tagen mit jungen Männern aus Syrien vor ihrem Haus erschienen. Den Bürgerkriegsflüchtlingen wurde gezeigt, wer die ihnen zugedachten Unterunterkünfte noch immer blockiere, nämlich sie, die langjährigen Jugoslawienkriegsflüchtlinge. Dass die Behörde die Migranten gegeneinander ausspielt, liegt einzig am Geld, ist sich der Aktivist Wladimir Logos sicher. Denn die Beamten hätten die Apartments der Flüchtlinge als Einnahmequelle entdeckt. Was die Spender vor Jahren ausdrücklich untersagt hatten. Flüchtlinge sollten keine Miete zahlen müssen.
    Einnahmequelle Flüchtlinge
    "Die korrupte Regierung hat 2006 zugelassen, dass sich das Flüchtlingskommissariat diese Wohnungen unter den Nagel riss und sie jetzt nur noch gegen eine Miete an Flüchtlinge vergibt. Das Kommissariat tritt also als Vermieter auf."
    Neben Gordana Radovic sitzt Dean Lasovic, 48 Jahre alt, ein schmaler, ergrauter Mann, dem an der rechten Hand der Zeigefinger fehlt.
    Als der Krieg im Kosovo begann, kämpfte er als Söldner, wurde verletzt und ist seitdem Invalide.
    Wie Gordana, seine Nachbarin, fürchtet auch er, dass er jetzt in ein Flüchtlingslager eingewiesen wird, in dem bereits Migranten aus vielen Ländern auf ihre Weiterreise Richtung EU warten. Seitdem die Balkanroute vor fast zwei Jahren geschlossen wurde, sitzen immer mehr Flüchtlinge in Serbien fest. Rund 7000 inzwischen. Dem Serben Dean Lasovic aus dem Kosovo fehlt die Kraft, sich zu wehren.
    "Nein, ich verbarrikadiere mich nicht in meiner Wohnung vor den Behörden. Ich habe nichts zu verbergen und habe nichts getan. Wenn der Staat mich aus dieser Wohnung rauswirft und ich auf der Straße lande, dann soll es so sein."