Freitag, 19. April 2024

Archiv


Korrution ist Klüngel ohne Charakter

Im kölschen Dialekt wird selbst Abschreckendes verniedlicht. "Le cachot", das finstere Gefängnis, wird kurzerhand zum "Kaschöttchen", und der "Klüngel" steht eher für Folklore und Geselligkeit als für korrupte Strukturen. Frank Überall hat sich wissenschaftlich mit dem Klüngel auseinandergesetzt, Volker Wagener hat sein Buch gelesen.

18.02.2008
    Man hüte sich davor, den Klüngel als Banalität aus dem Dunstkreis zwischen kölnischer Vetternwirtschaft und schlichter Korruption abzutun oder gar als etwas Unappetitliches anzusehen. Beides wäre unangebracht, denn der kölsche Klüngel hat es zum wissenschaftlichen Forschungsgegenstand gebracht. Erstmals wurde das rheinische Phänomen der interessen-gelenkten Umarmung systematisch untersucht. Frank Überall, Jahrgang 1971, hat über das Klüngeln gerade frisch promoviert und parallel dazu ein Taschenbuch vorgelegt. Eine Fundgrube für politisch Interessierte, die schon immer einmal einen Blick hinter die Kulissen der geheimen Machenschaften werfen wollten. Der Autor kommt nach jahrelanger Detailforschung zu einem - zumindest für Nicht-Kölner - überraschenden Fazit.

    "Klüngel, althochdeutsch, heißt Knäuel. Das heißt, die Verwobenheit von Fäden in einem Knäuel. Manchmal sehr unübersichtlich, aber doch irgendwo strukturiert. Das ist Neudeutsch ‚Netzwerk’, also man kann Klüngel in seiner positiven Form auch neudeutsch als Netzwerk bezeichnen, und das ist absolut demokratieförderlich. Die Gefahr ist freilich die des Abgleitens in die Korruption, aber das ist eben nicht Klüngel allein."

    Klüngeln ist eine Geisteshaltung, lernen wir bei Überall, der als Kölner Lokaljournalist aus jahrelanger Erfahrung rund um das politische Rathaus-Geschäft schöpfen kann. Es setzt prinzipielle Bereitschaft zum unkomplizierten Umgang mit Kommunikation, Verhandlung und Tausch voraus. Man könnte das Klüngeln auch als ein System unbürokratischer Nachbarschaftshilfe bezeichnen. Überall meint damit die unterste Stufe der Kungelei, die, die auf der Ebene eines niederschwelligen Angebots verläuft. Doch mit dem Begriff Nachbarschaftshilfe konnte er im Zuge seiner jahrelangen Arbeit nur vorübergehend operieren.

    "Das ist die situative Kooperation, damit habe ich versucht, das zu greifen, was so unterschwellig im Rheinland da ist. Ich hatte erst operiert mit dem Begriff Nachbarschaftshilfe. Nur das greift zu kurz. Das Netz setzt ja die Nachbarschaft voraus. Das ist natürlich im Veedel (Viertel), vor Ort, ein Stück weit Nachbarschaft, aber es sind eben auch Menschen, die sich überhaupt nicht kennen. Es ist diese Weltoffenheit der Kölner, auch Fremden gegenüber, diese "Drink-doch-eene-mit-Mentalität". Man kann wirklich in Köln in eine Kneipe gehen und es kann sein, dass einer einem ein Kölsch ausgibt ohne das man weiß, wie man zu dieser Ehre kommt und ohne dass auch irgendwelche Dankesschulden angehäuft werden."

    "Potlatsch" nennt Politologe Claus Leggewie das Klüngelmuster im Rheinland. Völkerkundler bezeichnen damit den Ringtausch von Waren auf Gegenseitigkeit. Die Stabilität des Netzwerkes ist dabei wichtiger als der materielle Vorteil. Gemäß dieser Deutung sind in der Kölner Lokalpolitik folgende zwei Verhaltensmuster immer wieder zu beobachten. Erstens: Nimm den politischen Gegner stets mit ins Boot. Zweitens: Verlange den Ausgleich nicht sofort, belohnt wird zeitversetzt. Die leicht dominante Positivdarstellung des Klüngelgeschäfts bei Überall in seiner dreistufigen Unterscheidung zwischen situativer Kooperation, Netzwerk und Korruption hat offensichtlich auch den Doktorvater überzeugt. Professor Hans-Georg Wehling von der Universität Tübingen, der als "Kommunalpapst" unter den Politikwissenschaftlern gilt, gewinnt dem "Unter-der-Hand-Geschäft" durchaus Begrüßenswertes ab.

    "Ein großer Vorzug ist auch beim Klüngeln, dass man eben auf diese Weise lange Amtswege verkürzt. Dass man auch Türen öffnet, die dem kleinen Mann verschlossen bleiben. Die kriegt man auf mit Hilfe des Klüngels. Dieser Klüngel bedeutet nicht, dass man da Geld hinschiebt, sondern dass man in anderen Situationen auch einem Mächtigen, der einem die Tür geöffnet hat, auch einen Gefallen tut. Das ist eine Form von ‚sich arrangieren’, von Lebenstüchtigkeit."

    Wie sehr der Begriff Klüngel in Köln positiv besetzt wird, belegt ein Zitat über die Korruption. "Korruption", so heißt es in einem Buch über den kölschen Humor als Philosophie, "ist Klüngel ohne Charakter". Hans Georg Wehling.

    "Es ist beides. Es kann zu organisierter Kriminalität mit politischem Anstrich werden. Da muss man also höllisch aufpassen. Es ist eine Gratwanderung. Man kann da immer runterkippen. Aber: Auf der anderen Seite werden da positive Ziele mit verbunden. Man zeigt Solidarität miteinander, man hilft dem anderen. In der Erwartung, dass er einem, wenn man selber Hilfe benötigt, ihm auch hilft. Das gehört dazu. Da gibt es ja das berühmte Adenauer-Wort vom Klüngel: Man kennt sich, man hilft sich."

    Die jüngsten Kölner Klüngel- und Korruptionsskandale nehmen in Frank Überalls Buch breiten Raum ein. Viel interessanter sind hingegen die Erkenntnisse des Autors zur Rolle und Bedeutung des Klüngels in der Mentalitätsgeschichte der Kölner. Der rheinische Katholizismus soll nicht unmaßgeblich Einflüsse liefern, findet Überall. Getreu dem überlieferten Bonmot: "Der Kölner glaubt nicht, dass der Klüngel ausstirbt, eher glaubt er an einen Klüngel nach dem Tode."


    Frank Überall: Der Klüngel in der politischen Kultur Kölns
    Bouvier Verlag, Bonn 2008
    272 Seiten, 19,90 Euro