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Koschmieder: Koalition mit CDU ist schwierig für die Glaubwürdigkeit

Carsten Koschmieder glaubt nicht, dass die Sozialdemokraten das Scheitern der Koalitionsverhandlungen mit den Grünen kalkuliert hätten. Die inhaltlichen Übereinstimmungen von Rot-Grün seien wesentlich größer als die von Rot-Schwarz. Die anstehenden Gespräche mit der CDU würden nicht einfacher werden, so der Politologe, weil Claus Wowereit nun inhaltlich doch in eine andere Richtung gehen müsse.

Carsten Koschmieder im Gespräch mit Jasper Barenberg | 06.10.2011
    Dirk Müller: Bleiben wir in Berlin, wir bleiben bei der Koalition oder bei der vermeintlichen Koalition Rot-Grün, also gescheitert. Mit welchen Folgen? Mein Kollege Jasper Barenberg hat sich darüber mit dem Berliner Politikwissenschaftler Carsten Koschmieder unterhalten. Die erste Frage: Kam das schnelle Ende der Verhandlungen überraschend?

    Carsten Koschmieder: Ich war sehr überrascht, ja. Aus verschiedensten Gründen war Rot-Grün die offensichtliche Variante. Die Parteibasis beider Parteien, die Führungsspitzen beider Parteien und auch die Wähler beider Parteien - das sehen wir an Nachwahlbefragungen – waren sehr deutlich für Rot-Grün. Die inhaltlichen Übereinstimmungen von Rot-Grün waren wesentlich größer als die von Rot-Schwarz, und es gab bis auf die Autobahn und noch zwei, drei kleine Sachen, vor allen Dingen bei Infrastruktur, gab es eigentlich wenig große Streitpunkte, sodass ich bis zuletzt eigentlich gedacht hätte, dass die dieses für Berlin völlig unwichtige Problem der Autobahn sozusagen irgendwie gelöst kriegen mit irgendeinem Kompromiss oder einer gibt nach, um sozusagen die vielen Gemeinsamkeiten auszukosten.

    Jasper Barenberg: Umso lauter schreien jetzt die Landesvorsitzenden der Grünen, Wowereit habe persönlich diese Koalition gar nicht gewollt, und auch aus der Bundesspitze der Grünen ist zu hören, nie gewollt habe Wowereit die Konstellation. Hat Wowereit persönlich – oder allgemeiner formuliert – haben die Sozialdemokraten diesen Crash kalkuliert oder gar provoziert?

    Koschmieder: Das glaube ich nicht. Dass die Grünen es jetzt sagen, ist klar, und die SPD schiebt ja auch den Grünen die Schuld zu, weil es natürlich in der öffentlichen Darstellung wichtig ist, also wer twittert als Erstes, dass die jeweils anderen Schuld haben, damit es dann in der ersten Vorabmeldung im Internet steht. Die Frage, wer Schuld hat, ist einfach wichtig für die Parteien, also dass es der jeweils andere ist, damit beispielsweise, falls es Neuwahlen gibt, damit man eben sagen kann, wir haben alles versucht und die anderen wollten nicht. Und auch weil eben, wie ich schon gesagt habe, die Mehrzahl der Wähler Rot-Grün wollte, finden es die Wähler jetzt natürlich blöd, dass es Rot-Grün nicht gibt, und wenn dann es so aussieht, als wäre die eigene Partei schuld, dann ist es schlecht fürs Ansehen der Partei. Aber ich glaube aus den schon genannten Gründen, dass Wowereit wesentlich lieber mit den Grünen koaliert hätte, es wäre auch einfacher gewesen wegen der größeren Schnittmengen und weil in der Partei das alle wollen. Natürlich wäre es mit einer knappen Mehrheit auch vielleicht manchmal anstrengend gewesen, aber inhaltlich wäre es einfacher gewesen, zumal erstens Wowereit ja ein SPD-Linker ist, darf man nicht vergessen, und auch, er hat vorher mit der Linkspartei koaliert, das heißt, mit den Grünen wäre vielleicht der Schwenk nicht ganz so groß wie der, den er jetzt machen muss, um mit der CDU zu koalieren, was auch wieder schwierig ist für Glaubwürdigkeit und auch für seine eigenen Überzeugungen. Deswegen bin ich mir eigentlich relativ sicher, dass Wowereit sehr gerne mit den Grünen koaliert hätte, aber natürlich wissen wir es nicht, weil wir nicht in seinen Kopf reingucken können.

    Barenberg: Wird die CDU ein angenehmerer, weil eben zahmerer Gesprächspartner und dann Koalitionspartner möglicherweise sein?

    Koschmieder: Ich denke, dass die CDU jetzt weiß, die SPD hat keine anderen Optionen mehr, und den angenehmen Teil ... sie werden jetzt weniger angenehm, als sie vielleicht letzte Woche waren, weil sie eben wissen, dass sie sich mehr herausnehmen können und dass sie mehr durchsetzen können. Die inhaltlichen Übereinstimmungen sind auch geringer, da gibt es mehr Probleme bei innerer Sicherheit, bei Migration, Integration zum Beispiel. Also ich denke, es wird inhaltlich zäher, es wird auch lange dauern, weil man bei vielen Themen einen Kompromiss finden muss und so, aber die CDU ist auch, in Berlin gerade, ist weniger dogmatisch. Es gibt kein Thema, bei dem sich die CDU so festgelegt hat, dass irgendwie dann einer von beiden umfallen müsste, sondern in allen Punkten, also in den vielen Punkten, wo sie nicht übereinstimmen, werden sie jeweils Kompromisse finden. Das wird eine Weile dauern, wie gesagt, weil es eben viele Themen sind und alles nicht so einfach, aber ich denke, dass am Ende ein für beide tragfähiger Kompromiss, also Koalitionsvertrag, was ja immer ein Kompromiss ist, herauskommt. Die Gespräche werden sicherlich nicht einfach, weil Wowereit eben inhaltlich doch in eine andere Richtung gehen muss, als er das vielleicht mit Linkspartei und den Grünen geplant hatte. Also angenehm wird es nicht für ihn, aber ich denke, dass die Gespräche professionell und sagen wir mal sehr pragmatisch verlaufen werden und dann auch ein sinnvolles Ergebnis herauskommen kann.

    Müller: Mein Kollege Jasper Barenberg im Gespräch mit dem Berliner Politikwissenschaftler Carsten Koschmieder!

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