Samstag, 20. April 2024

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Kramer: Vertrauen wieder herstellen

Nach der Rehabilitation des britischen Bischofs Williamson hat der Zentralrat der Juden in Deutschland erneut eine Klarstellung des Papstes gefordert. Es wäre sinnvoll, wenn Benedikt der Sechzehnte auf die jüdischen Gemeinden zuginge und ein Gespräch initiiere, sagte der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan J. Kramer. Zur Frage der Teilnahme an der "Woche der Brüderlichkeit", meinte Kramer, dazu werde es am Sonntag eine Entscheidung der Spitzengremien geben. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hatte eine Beteiligung an den Veranstaltungen Anfang März zuvor in Frage gestellt. Die "Woche der Brüderlichkeit" wird seit 1952 von den Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit organisiert.

Stephan J. Kramer im Gespräch mit Christoph Heinemann | 03.02.2009
    Christoph Heinemann: "Mit größerer Majestät hat selten ein Verstand stillgestanden", hat Uwe Tellkamp in seinem großen Roman "Der Turm" geschrieben. Das Zitat und der Titel des Buchs in vollkommen anderem Zusammenhang geschrieben passen gut zur Entscheidung und der Art und Weise, wie diese getroffen wurde, mit der Pius-Bruderschaft auch einem Bischof die Rückkehr in die Katholische Kirche zu ermöglichen, für den die industrielle Ermordung von Millionen Juden während des Dritten Reiches nicht stattgefunden hat. Richard Williamson sei auf der ganzen Welt als Holocaust-Leugner bekannt, schreibt heute die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", und Benedikt XVI. gefährde die Autorität des Konzils. Die Katholische Kirche ist kein Hort der offenen, selbstkritischen Debatte. Nicht nur gemessen daran fliegen dort gegenwärtig die Fetzen. Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe, Priester und Gläubige kritisieren den Vatikan, auch solche, die nah dran sind, etwa Pater Eberhard von Gemmingen, der Leiter des deutschsprachigen Programms von "Radio Vatikan", der sich heute Früh bei uns im Deutschlandfunkim Gespräch mit meiner Kollegin Sandra Schulz äußerte.

    Eberhard von Gemmingen: Papst Benedikt hat sozusagen einseitig die Arme ausgestreckt, damit die Lefebvre-Anhänger zurückkommen können, damit sie sich total zum zweiten Vatikanum bekennen, damit sie den Antisemitismus lassen, damit sie all ihre Eigenbrödeleien lassen etc. Er hat gesagt, an mir soll es nicht liegen, und er hat überhaupt nicht den Holocaust-Leugner rehabilitiert, überhaupt nicht. Das ist wirklich eine leider vom Vatikan blöd vorgelegte Vorlage, dass es so in die Medien kommen konnte, aber mit Holocaust-Akzeptation des Papstes hat das überhaupt nichts zu tun.

    Schulz: Welchen Schaden nimmt die Katholische Kirche?

    von Gemmingen: Großen, zunächst mal wirklich großen. Das ist schon wahr. Natürlich hat die Kirche schon Jahrhunderte überstanden und das wird auch wieder vorbei gehen, aber das wird jetzt leider einen Schatten auf das Pontifikat von Papst Benedikt werfen. Der Schatten wird nicht ganz kurz sein. Ich meine, es ist immer noch so: wenn alle, die die Katholische Kirche ein bisschen gerne haben, dazu beitragen, dass man sieht, der Papst hat nicht die Dummheiten begangen, sondern seine Leute in der Kommunikation und auch in der Abstimmung untereinander.

    Schulz: Sie haben das gerade angedeutet. Papst Benedikt streckt den einen die Hand aus und stößt damit aber andere vor den Kopf und diejenigen, die vor den Kopf gestoßen werden, sind weit in der Mehrzahl. Hat er sich da verrechnet?

    von Gemmingen: Ja, gut, man soll sicher nicht nach der Mehrzahl rechnen, aber man darf auch niemanden beleidigen. Die Juden sind die Mehrzahl und man darf sie wirklich nicht beleidigen. Aber man darf auch nicht fragen, wo habe ich mehr Applaudeure. Das geht auch nicht, weder bei den Katholiken, noch sonst wo.

    Schulz: Wenn wir auf die Entscheidungsfindung blicken, für wie plausibel halten Sie es denn, dass der Vatikan tatsächlich diese Äußerungen Williamsons nicht gekannt haben soll?

    von Gemmingen: Der zuständige Kardinal Hoyos hat gesagt, er habe vom Fall Williamson nichts gewusst. Das ist natürlich eine wahnsinnige Blamage und ich hoffe, dass Papst Benedikt Konsequenzen zieht, erstens mal, dass er vielleicht ein Kabinett einrichtet, was der Professor Maier, ehemaliger Kultusminister, schon lange vorgeschlagen hat. Einmal in der Woche müssten die Spitzen der Kongregationen und Räte zusammensitzen mit dem Papst, damit man sich dann austauscht und eine gemeinsame Linie vertritt. Das gibt es seit Jahrzehnten nicht, eine solche Kabinettssitzung, und das ist dringend notwendig. Also ich hoffe, dass dies Folgen hat, damit die Schäden behoben werden und in Zukunft keine solchen Schäden mehr gemacht werden.

    Heinemann: Pater Eberhard von Gemmingen, der Leiter des deutschsprachigen Programms von "Radio Vatikan", im Gespräch mit meiner Kollegin Sandra Schulz heute Früh im Deutschlandfunk. - Am Telefon ist jetzt Stephan Kramer, der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland. Guten Tag!

    Stephan J. Kramer: Schönen guten Tag!

    Heinemann: Herr Kramer, Pater von Gemmingen hat es gesagt: hier geht es nicht um eine Rehabilitierung eines Holocaust-Leugners. Ist die Botschaft angekommen?

    Kramer: Ich hoffe, dass es so ist. Allerdings hat sich der Papst selber dazu bisher nicht weiter konkretisiert. Er hat ja deutlich seine Solidarität, volle und unbestreitbare, mit den Juden ausgesprochen. Er hat auch davon gesprochen, dass es nicht darum gehen kann, hier Holocaust-Leugner sozusagen reinzuwaschen. Aber das reicht noch nicht, denn seit einigen Tagen herrscht wieder Funkstille und die Spekulationen greifen weiter um sich, was er denn gemeint hat, wie es nun weitergeht. Ich will auch noch mal ganz deutlich sagen: Es bezieht sich ja nicht nur auf den Bischof Williamson, sondern auch um einen weiteren Pius-Bruder, Abramowitsch, und im Übrigen die gesamte Pius-Bruderschaft, was Frankreich angeht - das ist seit vielen, vielen Jahren bekannt -, ist sehr nahe an den Le-Pen-Rechtsextremisten dran. Sie provozieren immer wieder mit antijüdischen und revisionistischen Thesen. Der frühere verstorbene Kardinal Jean-Marie Lustiger und viele französische Katholiken kämpfen seit Jahren gegen diese Bruderschaft. Mir kann also niemand erzählen, dass das in Rom nicht bekannt gewesen ist, und hierzu brauchen wir eine deutliche Klarstellung des Heiligen Vaters selber.

    Heinemann: Er hat sich ja schon geäußert. Was soll er darüber hinaus noch sagen?

    Kramer: Wie die Reise jetzt weitergehen soll. Ich meine, Fehler passieren. Ich will das auch dem Vatikan, den Mitarbeitern zugestehen. Das weiß jeder, der handelt, in Religionsgemeinschaften nicht nur, sondern auch in der Gesellschaft. Fehler können passieren. Nur jetzt geht es darum, Vertrauen wieder herzustellen. Wie Elie Wiesel so schön gesagt hat: "Der Vatikan hat diese Sache heraufbeschworen, jetzt muss er sehen, wie er sie wieder beseitigen kann und Vertrauen wieder schaffen kann". Ich denke, hier wäre es sinnvoll, seitens des Vatikan auf die jüdische Gemeinschaft zuzugehen, ein Gespräch zu initiieren und deutlich zu machen, was denn nun gemeint war, und vor allem, wie die zukünftigen Beziehungen aussehen sollen.

    Heinemann: Stichwort zugehen. Sie haben nicht ausgeschlossen, dass jüdische Gremien auf eine Teilnahme an der "Woche der Brüderlichkeit" in Hamburg verzichten werden. Die beginnt am 1. März. Hat sich der Zentralrat da bereits entschieden?

    Kramer: Wir haben in dieser Woche noch zwei Gremiensitzungen: einmal das Präsidium und dann auch das Direktorium des Zentralrates. Ich will den Diskussionen und Entscheidungen dort nicht vorgreifen. Gleichwohl habe ich deutlich gemacht, dass ich trotz der jetzigen Situation und der Skandalösität dieses ganzen Aktes einen Abbruch der Kontakte mit unseren Freunden vor allem auch in der Katholischen Kirche - und das sind immerhin eine ganze Menge: Bischof Zollitsch, Kardinal Lehmann -, die sich ja nun auch sehr deutlich geäußert haben, stellvertretend für viele andere. Ich bin dafür, dass wir diese Arbeitsbeziehungen keinesfalls einstellen. Wir würden damit die falschen bestrafen. Wir treffen damit nämlich nicht die Feinde, sondern eigentlich die Freunde innerhalb der Katholischen Kirche. Gleichwohl bleibt es den Gremien vorbehalten und ich kann nur sagen, die Wut, die Ohnmacht, die Verletzung ist doch sehr hoch und man weiß nie, was dabei rauskommt. Aber ich sage noch einmal: Das ist den Gremienentscheidungen vorbehalten, wie wir dort fortfahren.

    Heinemann: Wird der Zentralrat für die Teilnahme Bedingungen stellen?

    Kramer: Da möchte ich jetzt nicht präjudizierend vorgreifen. Noch einmal: Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir bedingungslos - es sind ja auch Protestanten dabei, die von diesem Streit sozusagen über die Ökumene eigentlich mit betroffen sind, aber die ja nicht Ziel unserer Äußerungen jetzt auch sind. Insofern darf man das Kind hier nicht mit dem Bade ausschütten. Ich werde mich jedenfalls dafür einsetzen, dass diese Arbeitsbeziehungen nicht nur fortgesetzt werden, sondern dass wir vielleicht sogar die "Woche der Brüderschaft" dazu benutzen, um hier noch mal deutliche Akzente zu setzen, vielleicht sogar dem Vatikan die Möglichkeit zu geben, hier auch noch mal klar Farbe zu bekennen.

    Heinemann: Aus der Erkenntnis heraus: Wann, wenn nicht jetzt, muss man miteinander reden.

    Kramer: So ist es!

    Heinemann: Die Katholische Kirche steht ja keineswegs geschlossen hinter dieser Entscheidung des Vatikans. Das haben wir ja auch jetzt eben im Gespräch gehört. Ist die Empörung innerhalb der Kirche nicht viel wichtiger als eine Entschuldigung einer Behörde in Rom?

    Kramer: Sie haben natürlich Recht, wenn ich mir jetzt die Stimmen anhöre, die sich doch sehr deutlich zu Wort melden. Ich meine, das Phänomen des Antijudaismus in der Katholischen Kirche trotz des Zweiten Vatikanischen Konzils, trotz nostra aetate, ist ja nun kein unbekanntes Phänomen. Insofern tut es sehr gut und wenn man dem ganzen noch was Gutes abgewinnen will, dann ist es in der Tat so, dass jetzt dieser offene Aufschrei der Kirchenmitglieder und auch der Kirchenoberen gegen das, was geschehen ist aus Rom, nicht nur gut tut, sondern vielleicht sogar auch der Katholischen Kirche intern gut tut. Ich will aber mich zurückhalten mit guten Ratschlägen und Forderungen, was die Katholische Kirche selber angeht. Das ist eine Sache, die wirklich die Katholische Kirche intern regeln muss. Insofern begleite ich das ganze auch mit positivem Akzent.

    Heinemann: Herr Kramer, alle rätseln über die Motive des Vatikan. Ein Versuch, ein Erklärungsversuch: Wäre es nicht wünschenswerter, die pauperes spiritu, die Armen im Geiste wie Bischof Williamson innerhalb der Kirche mundtot zu machen, anstatt dass sie außerhalb der Kirche Schaden anrichten?

    Kramer: Ich bin kein Freund von Verboten und von der Theorie, Leute mundtot zu machen, denn in der Regel kann man Gedanken nicht verbieten. Im Gegenteil: Sie finden immer mehr Sympathisanten. Wir erleben das in einer völlig anderen Diskussion in unserer Gesellschaft mit Blick auf die NPD. Verbote helfen hier überhaupt nicht, sondern hier kann nur eine offensive Auseinandersetzung weiterhelfen. Ich denke, wenn wir eines gelernt haben aus dieser Diskussion - und das gilt eben nicht nur für die Katholische Kirche, auch für andere Bereiche -, dann muss man in einer solchen Frage mit gerade der Selbstidentifikation und der Frage, wohin soll die Reise des Selbstverständnis der Katholischen Kirche gehen, den Dialog suchen. Der ist manchmal schmerzhaft, der kann auch daneben gehen, aber die Frage ist eben, wie hier mit diesem Dialog umgegangen wurde. Das ist in der Tat dilettantisch aus meiner Sicht geschehen. Noch einmal: Ich bin eher dafür, hier das offene Wort, die Diskussion und auch den Streit zu suchen, als Dinge zuzudecken, die sich dann im Nachhinein wieder als ein Bumerang entpuppen.

    Heinemann: Also gegen eine Ruhigstellung?

    Kramer: Ich bin gegen eine Ruhigstellung. Ich bin dafür, sich damit offensiv auseinanderzusetzen. Es sind immerhin 600 Priester weltweit, die der Bruderschaft angehören. Es wird gemunkelt bis zu einer Million Gläubiger, die dort sich in der Pius-Bruderschaft wiederfinden. Das sind zum Teil Traditionalisten, gegen die grundsätzlich nichts einzuwenden ist. Man muss sich mit ihnen sicherlich auseinandersetzen. Das ist nicht meine Aufgabe, denn ich gehöre bekanntermaßen einer anderen Glaubensgemeinschaft an. Aber die Frage ist, wie man eben mit diesen Gruppen sich auseinandersetzt. Das kann man sicherlich nicht mit Mundtot machen, und insofern: wenn ich gefragt würde, würde ich der Katholischen Kirche durchaus den Rat geben, sich hiermit offensiv auseinanderzusetzen.

    Heinemann: Welches Entwicklungspotenzial, Herr Kramer, hat das Verhältnis zwischen Juden und der Katholischen Kirche oder Juden und Katholiken unter dem Pontifikat des gegenwärtigen Papstes Benedikt XVI. noch?

    Kramer: Ich will das gar nicht in Abrede stellen, dass wir noch eine ganze Menge Chancen haben. Wissen Sie, die Möglichkeit besteht, wenn wir aus dieser Krise, in der wir uns gegenwärtig befinden, gestärkt herauskommen, auch mit neuem Vertrauen - und ich habe grundsätzlich keinen Grund, an der Ehrlichkeit und an der Zuversicht und an dem Willen des gegenwärtigen Papstes zu zweifeln -, dann haben wir durchaus eine Chance, daraus noch eine ganze Menge zu machen. Im Übrigen findet der Dialog ja seit vielen Jahren auf nicht nur der Arbeitsebene, sondern auf der Kirchenebene hier in Deutschland mit der Bischofskonferenz, mit den Laienbewegungen statt. Dort haben wir sehr viel erreicht und ich würde das auch nicht in Frage gestellt sehen wollen. Insofern: auch hier mahne ich wirklich zur Vorsicht. Man sollte auch hier das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.

    Heinemann: Stephan Kramer, der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.