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Krause, krude, sperrige Wörter

"Ugbo-ani", "Fiegeliensch" oder "mangmang" sind nur drei der 193 Begriffe im "Lexikon der sperrigen Wörter". Die Autoren sind ehemalige Stipendiaten der Akademie Schloß Solitude aus den Bereichen Literatur, Theater, Theorie und Philosophie, sowie Gäste oder Juroren.

Von Lerke von Saalfeld | 28.01.2011
    Lexikalische Werke haben ihren besonderen Reiz. Zum Ritual der Herausgeber gehört es, irgendwo in ihrer Enzyklopädie ein Nonsense-Wort zu verstecken und dies tief ernst als Lemma zu besprechen, getragen von der diebischen Freude, keiner möge den kleinen Scherz aufdecken. Nimmt man das neu herausgegebene 'Lexikon der sperrigen Wörter' zur Hand, so stößt der neugierige Leser auf eine Fülle krauser, kruder, eben sperriger Wörter, die hier auf über 300 Seiten von 140 Autoren abgehandelt werden in 13 Sprachen. Die 53 fremdsprachigen Texte stehen zunächst im Original und sind dann ins Deutsche übersetzt.

    Wer also auf das geheimnisvolle Wort 'ugbo-ani' des Nigerianers Maik Nwosu stößt, erfährt durch die Übersetzung, dass dies Wort aus zwei Substantiven zusammengesetzt ist: Land und Boot und schlicht Automobil bedeutet, also ein Boot, das sich auf dem Lande fortbewegen kann, ist doch einleuchtend.

    Der Journalist Jürg Altweg präsentiert das längste französische Wortungeheuer: anticonstitutionellement - 25 Buchstaben. Aber auch im Deutschen lassen sich bizarre Worte finden. Zum Beispiel 'Dirndlblütenwanderung' oder das Adjektiv 'schattensüchtig', das der Verleger Michael Klett für ein aufregend schönes Wort hält. Bei Max Ernst findet sich in seiner Collage "La femme cent têtes" das provokative Wort 'schnurstreichs' - man stutzt einen Moment und dann wird klar, das Wort setzt sich zusammen aus spornstreichs und schnurstracks, nur etwas vertrackter. Die Autorinnen und Autoren hatten alle Freiheit, sich im Labyrinth der Wörter zu tummeln. Der Herausgeber Jean-Baptiste Joly betont:

    "Dieses Lexikon verstehe ich als eine Art Metapher der Arbeit der Akademie. Wir haben von sperrigen Wörtern gesprochen und als wir dieses mitgeteilt haben, haben wir die Definition so offen wie möglich gelassen, sodass jeder / jede das Wort selbst interpretieren konnte. Das heißt, die Vielfalt der verschiedenen Aspekte dieses Begriffs sind im Lexikon auf jeden Fall präsent."

    Die in Hamburg lebende Sabine Peters hat sich für ein Dialektwort entschieden:

    "Das Wort kitzelt die Zunge. "Fiegeliensch". Vielleicht schreibt man das Wort auch mit Vogel-Vau? Vigeliensch. Im plattdeutschen Wörterbuch ist "Vigelien" die Geige. Wer die Violine ohne Kratzen und Quietschen spielt, beherrscht eine feine schwierige Kunst. Vielleicht also: raffiniert, vertrackt, störrisch, kompliziert, hinterhältig, widersprüchlich, hintersinnig. pfiffig.
    "Fiegeliensch" ist fast zu fiegeliensch, um es zu übersetzen. Da muss einer schon selber vigeliensch sein."

    Die Schriftstellerin Ulrike Draesner hat sich unter dem Stichwort "sperrig" eingetragen mit einer Abhandlung über die "Oberförsterin". Warum?

    "Ich komme aus Bayern und ich merkte erst, dass ich auf bayerische Weise das R rolle als ich 21 oder 22 Jahre alt war. Ich wollte das loswerden und begann ein R-Training. Im Englischen habe ich gar keine Schwierigkeiten mit ungerolltem R, im Französischen auch nicht, aber im Deutschen geht das nicht. Es gibt bestimmte Worte, die ein R enthalten, die ich nicht ordentlich hochdeutsch sprechen kann, besonders die Kombination ur in durch ist fast unaussprechbar für mich.

    Und auch alle Kombinationen mit rst sind sehr schwierig. Ich bekomme hin ein Zungen-R, ein Gaumen-R, aber dieses klassische R, das der Hochdeutsche sprechen soll, hier oben am Gaumen, da gibt's ein Zäpfchen, das da vibrieren soll. Das war mein Ausgangspunkt, das ist für mich sperrig. Ich hab das miteinander kombinieren wollen und kam auf örst, das ist unaussprechbar für nichtdeutsche Menschen und für mich. Urst wie in Wurst ist nahe dran. Und das Wichtigste Wort im Deutschen mit örst ist Förster oder Försterin und deswegen musste ich zu diesem Wort-Ungetüm etwas schreiben.

    "Oberförsterin! Harmlos auf den ersten Blick. Auf den eineinhalbsten Blick: vertrackt. Lächelnd, gemein. In Uniform, mit deutschem "Ober-". Da fängt es schon an: Ich meine, das Wort fängt an und die Unübersetzbarkeit: upper forest something? Higher? Damit kommt man dem deutschen "Ober-" nun wahrlich nicht bei. Das ist nicht high eher down, aber als Ober-Oberes. Klar?"

    Den einen sitzt der Schalk im Nacken, wenn sie über etwas Sperriges nachdenken und schreiben, andere bewegen philosophische Gedanken wie den chinesischen Lyriker Yang Lian, der das Wort mangmang sich vorgenommen hat, das sich mit 'unendlich' übersetzen läßt. Das Aparte dieses Lexikons ist seine überwältigende Vielfalt; es finden sich darin Essays, Kurzgeschichten, biografische Skizzen, Aphorismen, Gedichte, Prosatexte und wissenschaftliche Saltos. So, wenn die Kulturwissenschaftlerin Anke te Heesen sich das Grimmsche Wörterbuch als Vorlage wählt und in den Grimmschen Artikel über 'sperrig' etwas hineinmogelt:

    "Da ich keine Schriftstellerin bin und ich gerne eine Umschreibung selbst gefunden hätte, habe ich angefangen mich dem Problem lexikalisch zu nähern. Und so habe ich mir den Grimm vorgenommen und hab in diesen Grimm ein wenig etwas hineingeschmuggelt - eine kleine Erzählung, die natürlich bei Grimm nicht auftauchen kann, von Arno Schmidt. Und diese kleine Erzählung selbst wiederum handelt von einer Nacht, in der ein Heiligen-Lexikon fertiggestellt wird, es aber bei dieser Fertigstellung des Heiligen-Lexikons ein unendlich sperriges Ding gibt, nämlich eine Büroklammer."

    Und so findet sich die Arno-Schmidtsche Büroklammer unversehens in einem Lexikon-Artikel der Brüder Grimm wieder. Übermütig, geistreich, wie Kobolde, aber auch ernsthaft grübelnd sind die Autorinnen und Autoren zu Werk gegangen, um sich der Aufgabe zu stellen, etwas Sperriges in Worte zu hüllen. Auch dem Leser wird es nicht leicht gemacht: Es gibt kein Verzeichnis der ausgewählten sperrigen Wörter, die in diesem Lexikon versammelt sind. Es gibt zwar ein Verzeichnis der Autoren und Autorinnen, dieses gibt aber nicht an, welches Schlagwort sie bearbeitet haben - das Prinzip lautet: wer suchet, der findet. Der Leser muss also selbst blättern und sich überraschen lassen.

    Die 53 fremdsprachigen Artikel sind natürlich auch alphabetisch eingeordnet, sodass es für den deutschen Leser vollkommen willkürlich ist, welchen Artikel er an welcher Stelle findet. Zwischen dem Schlagwort Putschstift und Rädelsführer befindet sich ein Text in persischer Handschrift, wie eine hingehauchte Kalligrafie. Der Iraner Hamed Taheri schreibt zum Schlagwort Qalam - ordentlich unter Q eingeordnet, obwohl der deutsche Leser die Überschrift nicht entziffern kann. Erst die Übersetzung gibt preis, es handelt sich um das Wort 'Feder'. Ein weiteres Rätsel ist, die iranische Handschrift umfasst eine Dreiviertel-Seite, die deutsche Übersetzung benötigt vier Druckseiten, was verbirgt sich dahinter? Das heißt, die Herausgeber Jean-Baptiste Joly und Florian Höllerer spielen mit dem Leser, lassen ihn mit Vergnügen in die Irre laufen und sich auf Entdeckungsreisen begeben, in Labyrinthe eintauchen und verweigern jede Ordnung.

    Nur das Wort steht für das Wort, und diese Worte sind widerborstig und provokant zugleich. Das Format hingegen ist handlich, gar nicht sperrig, es passt elegant in jede Jackentasche, lässt sich gut aufschlagen und durchblättern. Und beim aufmerksamen Lesen ist es ein wahres Vergnügen, einzutauchen in einen Kosmos von Skurrilitäten. Zu den Mitarbeiterinnen am Lexikon gehört auch die rumänische Lyrikerin Nora Juga, 1931 in Bukarest geboren. Ihr Schlagwort auf rumänisch heißt vãzduh - zu deutsch Luft. Sie ist wie elektrisiert von den sperrigen Wörtern und möchte alle anderen anstecken:

    "Ich sage es Ihnen wirklich aufrichtig, seitdem ich das Buch bekommen habe, jeden Abend, bevor ich schlafen gehe, schlage ich das Buch auf und lese ein paar Artikel aus dem Buch. Ich sage Ihnen, es ist so fesselnd, also viel fesselnder als ein Roman, mein Ehrenwort."




    Florian Höllerer und Jean-Baptiste Joly (Hg.): "Lexikon der sperrigen Wörter"
    Verlag merz & solitude, 320 S., 24 Euro