Donnerstag, 18. April 2024

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Krawalle in Bautzen
"Wir haben überall zu wenig Kollegen"

Es sei eine Unterstellung, dass die Polizei auf dem rechten Auge blind sei, betonte der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Sachsen, Hagen Husgen. Er sagte im DLF, man brauche viel mehr Personal. Und er forderte harte Strafen für Angriffe auf Polizisten - und solche Angriffe habe es auch in Bautzen gegeben.

Hagen Husgen im Gespräch mit Dirk Müller | 16.09.2016
    Zu sehen ist der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Sachsen, Hagen Husgen.
    Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Sachsen, Hagen Husgen, weist Kritik an den Beamten zurück. (picture alliance /dpa /Arno Burgi )
    Es gebe immer wieder Versuche, der Polizei die Schuld für Krawalle wie vor zwei Tagen am Bautzener Kornmarkt zuzuschieben, beklagte Husgen. Doch die Polizei könne nicht überall sein. In den vergangenen Jahren seien in Ostsachsen mehr als 2.000 Polizistenstellen abgebaut worden. "Wir haben eine Manpower, die nicht ausreicht."
    Vorwürfe, wonach die Polizei "auf dem rechten Auge blind" sei oder wonach von ihr selbst Gewalt ausgehe, nannte Husgen eine Unterstellung. Vielmehr werde die Polizei schon seit Jahren immer wieder angegriffen. Auch jetzt in Bautzen seien Polizisten mit Flaschen beworfen worden. Hier müsse sich strafrechtlich etwas ändern. "Jeder, der die Polizei angreift, egal aus welcher Klientel, egal welcher Nationalität, muss eine harte Strafe bekommen."

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Die Linkspartei spricht schon von Pogromstimmung. Die sächsischen Politiker mahnen zur Deeskalation. Gewalt in Bautzen, Auseinandersetzungen zwischen Rechtsradikalen und Asylbewerbern, sie ist eskaliert. Etwa 80 gewaltbereite Einheimische, die größtenteils dem rechten Spektrum angehören, standen am Mittwochabend auf dem Marktplatz etwa 20 jungen Flüchtlingen gegenüber. Verbale Angriffe, tätliche Übergriffe mit Flaschen und Holzlatten. Auslöser sollen nach Darstellung der Polizei die Flüchtlinge gewesen sein. Gestern Abend wieder Zusammenstöße.
    Die Situation in Bautzen - darüber reden wollen wir nun mit Hagen Husgen, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei in Sachsen. Guten Morgen!
    Hagen Husgen: Schönen guten Morgen.
    "Ein erneutes Warnzeichen, dass die Flüchtlingsproblematik nicht abgeebbt ist"
    Müller: Herr Husgen, wie konnte das Ganze so eskalieren?
    Husgen: Erst mal muss ich sagen, dass das natürlich erschreckend ist, was da in Bautzen passiert ist, und für uns ist das ein erneutes Warnzeichen, dass die Flüchtlingsproblematik, die Zuwanderproblematik nicht abgeebbt ist im Freistaat Sachsen. Ich ärgere mich aber natürlich darüber, dass man jetzt sagt, immer wieder Sachsen, und Bautzen soll gemieden werden. Ich denke mal, das ist die falsche Message und das sollte auch so nicht ankommen.
    Müller: Ich frage noch mal: Wie konnte das soweit kommen und eskalieren?
    Husgen: Ich meine, es ist ja nicht von Ungefähr gekommen. Wir hatten ja im vergangenen halben Jahr in Bautzen auf dem besagten Kornmarkt schon die eine oder andere Auseinandersetzung gehabt. Wir hatten ungefähr 80 Polizeieinsätze gehabt in dieser Sache. Und die Polizei, ich denke mal, ist auch sehr präsent, was Bautzen betrifft, und hat dies natürlich im Fokus gehabt, und ich bin mir sicher, dass die Polizei in Sachsen, insbesondere auch in der Region Bautzen diese Vorfälle bis jetzt nicht auf die leichte Schulter genommen hat und auch zukünftig nicht nehmen wird.
    Müller: 80 Vorfälle haben Sie schon gehabt, haben Sie gesagt?
    Husgen: Ja, 80 Fälle, denke ich mal, in der Vergangenheit. Man hat aber jetzt nicht damit gerechnet und das muss ich ganz klar sagen, dass es diese Dimensionen jetzt erreicht und in dieser Härte und Brutalität zugeschlagen wird, und da muss ich ganz klar sagen, dass ich nicht so überrascht bin, dass es mich jetzt absolut vom Hocker reißt.
    Großes Potenzial an Rechtsradikalismus in Sachsen
    Müller: Jetzt sagen Sie, 80 Vorfälle. Wir haben Heidenau gehabt, wir haben Meißen gehabt, wir haben immer wieder Dresden gehabt und auch Bautzen. Darüber haben wir auch schon berichtet. Warum wehren Sie sich dann dagegen zu sagen, oh, in Sachsen, das ist was Besonderes? Sie sagen, das ist nichts Besonderes, es ist wie überall.
    Husgen: Nein! Ich habe nicht gesagt, dass es nichts Besonderes ist. Ich bin weit davon entfernt, das zu bagatellisieren. Das muss natürlich angesprochen werden und aufgearbeitet werden, diese Sache. Nur ich bin dagegen, dass man jetzt sagt in Bautzen, man sollte Bautzen meiden. Bautzen ist eine schöne Stadt, auch hier in Ostsachsen, logischerweise, und ich will jetzt auch nicht sagen, dass das nur in Bautzen oder nur in Sachsen passiert.
    Müller: Wir haben ja die jüngere Frau eben gehört.
    Husgen: Ja natürlich!
    Müller: Die hat gesagt, sie geht abends nicht mehr raus.
    Husgen: Das ist eine Meinung einer Bürgerin. Es ist eine Meinung der Bürgerin und ich denke mir, dass es auch in Bautzen und Umgebung sehr, sehr viele Bürgerinnen und Bürger geben wird, die jetzt sagen werden, Bautzen ist und bleibt trotzdem eine sehr, sehr schöne Stadt. Es kann sicherlich überall passieren. Wir haben auch Übergriffe auf Flüchtlingsheime bundesweit gehabt. Und es kommt sicherlich - und das will ich auch nicht abreden - in Bautzen, in Sachsen, vielleicht in der gesamten ostsächsischen Region dazu, dass wir sicher ein großes Potenzial an Rechtsradikalismus haben, an radikalisierenden Einstellungen haben, was ja auch zugegeben worden ist von Sachsen, und ich bin ganz dankbar, dass das der Ministerpräsident auch gesagt hat. Aber wenn man das alles in einen Topf schmeißt und jetzt sagt, Ostsachsen, Bautzen, das ist eine Gegend, die man nicht mehr besuchen sollte, ist das falsch.
    Müller: Haben wir ja auch nicht getan. Ich weiß nicht, wer es getan hat. Es geht ja jetzt nun darum, inwieweit Sie beispielsweise, ich spekuliere jetzt mal, Ihrer Frau, einer anderen Frau oder einem jüngeren Mädchen empfehlen können, abends um 18, 19 Uhr auf den Kornmarkt in Bautzen zu gehen.
    Husgen: Ich wohne nicht weit weg von Bautzen. Ich bin selbst Weißwasseraner und wir besuchen sehr gerne die Stadt in Bautzen. Ich habe selbst gearbeitet in Bautzen und ich würde trotzdem noch auf den Kornmarkt gehen. Ich denke mal, dass die Polizei, wie ich gesagt habe, präsent ist und dass sich dort keiner fürchten muss davor, dass die Polizei das sicherlich im Griff hat. Man wird das jetzt aufarbeiten, man wird die Ermittlungen aufnehmen. Das Operative Abwehrzentrum von Sachsen ist an der Sache dran. Und man wird - und das hoffe ich und das weiß ich auch, dass das passiert - die entsprechenden Konsequenzen ziehen und nach den Ermittlungen die entsprechenden strafrechtlichen Verfolgungen einleiten, sowohl was die links- und rechtsextreme Szene betrifft, was Sie eben angesprochen haben, aber auch natürlich was die Zuwanderer und die Flüchtlinge betrifft, und das geht dann bis hin zur Abschiebung, und da hoffe ich, dass das schnell genug auch vonstattengeht.
    Schuld wird immer wieder der Polizei zugeschoben
    Müller: Das muss ich Sie noch fragen. Wenn wir die Polizeiberichte wie die Korrespondenten auch richtig verstanden haben, haben Sie den Ausgangspunkt der Gewalt, dass es zu Gewalt gekommen ist, mit Flaschen und so weiter fing das ganze ja an am Mittwochabend - wir reden über den Mittwochabend -, ganz eindeutig von Flüchtlingen ausgegangen ist. Ist das so?
    Husgen: Ja. Zeugen haben das so gesagt und das hat auch der Revierleiter von Bautzen gesagt, dass das so gewesen ist. Das nehme ich jetzt erst mal so zur Kenntnis und auch für bare Münze, dass das so gewesen ist. Jetzt muss man sich natürlich die Frage stellen, wie konnte das kommen, dass innerhalb der letzten Wochen das so aufgekocht ist, dass jetzt irgendwann mal der Deckel weggesprungen ist und es zu diesen Gewaltausbrüchen gekommen ist.
    Müller: Ihre Kollegen haben das genau so gesehen, die Flüchtlinge waren schuld?
    Husgen: Ja. Die Aussage des Revierführers war gewesen, dass die Gewalt zuerst von den Flüchtlingen ausgegangen ist. Ich war nicht dabei, ich war kein Augenzeuge gewesen, ich kann mich ebenfalls jetzt nur auf die Medienberichte stützen.
    Müller: Wir haben hier eine Kritik vorliegen von der Linken-Bundestagsabgeordneten Caren Lay. Die kennen Sie ja auch ganz gut, Sie kommen ja auch aus der Region. Caren Lay ist ja politisch verantwortlich auch für diese Region, für Bautzen und Umgebung. Sie schreibt da, sie sagt, das ist mir völlig unverständlich, dass die Polizei nach vier Tagen der Eskalation in Bautzen zu Beginn mit nur acht Mann vor Ort war, wie Augenzeugen berichten. Die Polizei hat nicht etwa die Rechten, sondern die Flüchtlinge zum Gehen aufgefordert. Ist das so gewesen?
    Husgen: Und genau das ist der springende Punkt bei uns, dass man jetzt immer wieder versucht, irgendwo die Schuld der Polizei zuzuschieben. Die Polizei, die macht ihre Aufgabe, und da lege ich meine Hand ins Feuer für jeden Kollegen, der engagiert seine Aufgabe macht. Und ich kann Ihnen versichern, dass die Polizei dort auch ist, wo es wichtig ist, wo es brennt. Sie kann aber auch nicht überall sein. Wenn es auch über Monate schon dort gebrodelt hat in Bautzen und jetzt die Suppe übergekocht ist, muss ich Ihnen einfach sagen, wir haben eine gewisse Manpower, die nicht ausreichend ist im Freistaat Sachsen, und da können wir nicht überall sein. Und dass man jetzt den Polizeibeamten vielleicht auch unterstellt, dass man nur gegen eine Gruppierung jetzt vorgeht und die andere in Ruhe lässt, das ist eine Unterstellung, die ich so nicht mittragen kann.
    "Wir haben überall zu wenig Kollegen vor Ort"
    Müller: Ist klar, ist eine schwierige Situation für Sie. Aber wir beide reden jetzt miteinander. Deswegen möchte ich die Gelegenheit noch mal nutzen. Kann das sein, dass auch die Polizei wie auch immer, ob die Politik genügend Ressourcen zur Verfügung stellt oder nicht, kann es sein, dass die Polizei in Bautzen jetzt in dieser Phase zu wenig Kollegen vor Ort hatte, das ganze unterschätzt hat?
    Husgen: Ich denke mal, wir haben überall zu wenig Kollegen vor Ort. Man hat es nicht unterschätzt. Man ist sicherlich überrascht worden über den Gewaltausbruch, der jetzt stattgefunden hat. Aber wie gesagt: Wir haben in den letzten Jahren über 2000 Polizisten abgebaut und das betrifft Bautzen ganz genauso wie den gesamten ostsächsischen Raum. Ich denke mal, am Mittwoch war die Polizei ziemlich zeitnah, sage ich mal, vor Ort gewesen, dass Schlimmeres verhindert werden konnte, und jetzt werden wir die Ermittlungen abwarten, dass die Kollegen die richtigen Konsequenzen ziehen.
    Müller: Lässt die Politik Sie im Stich?
    Husgen: Die Politik lässt uns schon ab und zu im Stich. Das muss ich ganz klar sagen.
    Müller: Was heißt ab und zu?
    Husgen: Ja, im Allgemeinen ganz klar, dass man uns unterstellt, entweder auf dem rechten Auge blind zu sein, oder dass wir nicht gegen die Ausländer vernünftig vorgehen. Man tut einfach der Polizei manchmal schon Gewalt zusprechen, indem man sagt, die Gewalt geht oftmals von der Polizei aus. Man sollte anders herum denken, dass Polizeibeamte mit Flaschen beworfen werden, mit Steinen beworfen werden, und das kommt zu wenig zum Tragen. Ganz klar muss ich auch sagen: In Sachsen müssen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, so schnell wie möglich mehr Polizei auf die Straße zu bekommen. Da werden wir momentan ziemlich im Stich gelassen. Und dem Bund muss ich ganz klar sagen: Dass die Polizeibeamten angegriffen werden, dass die Uniform ein Tabu ist, das haben wir nicht erst seit gestern, sondern das haben wir schon seit Jahren und seit Jahren rennen wir offene Türen ein, denke ich mal, dort in der Bundespolitik, dass das Strafrecht sich absolut ändern muss. Jeder der die Polizei angreift, egal aus welchem Klientel, egal welche Nationalität, muss eine harte Strafe bekommen, welche sofort ausgesprochen wird.
    Müller: Das ist jetzt auch wieder in Bautzen passiert?
    Husgen: Das ist jetzt auch wieder in Bautzen passiert.
    Müller: Von welcher Seite aus?
    Husgen: Das, was ich jetzt den Medien entnommen habe, dass die Zuwanderer mit Flaschen gegen Polizeibeamte geworfen haben, oder sogar Zaunlatten als Bewaffnung gegen Polizeibeamte genommen haben.
    Müller: Und die Rechtsradikalen haben sich zurückgehalten?
    Husgen: Das kann ich Ihnen nicht so ganz genau sagen. Wie gesagt, ich war kein Augenzeuge gewesen. Aber bisher hat sich aus den mir zugegangenen Erkenntnissen nichts anderes ergeben.
    Müller: Hagen Husgen, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei in Sachsen, bei uns hier im Deutschlandfunk-Interview. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben. Ihnen noch einen guten Tag!
    Husgen: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.