Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Krawatten
Gerne auch mit Brandloch und Nieten

Langsam wird es eng mit Geschenken für Weihnachten. Der Notnagel sind Socken und Schlafanzüge. Mit Krawatten würden es die meisten wohl gar nicht erst versuchen. Sie sind so unmodern, dass ein Berliner Modemacher sie jetzt als Szenekleidung anbietet, wie es sie bisher noch nicht gegeben hat.

Von Oliver Kranz | 17.12.2014
    Eine Schere setzt zum Schnitt an einer Krawatte an.
    Das Beste, was mancher Krawatte passieren kann. Ein Berliner macht die Krawatte zur Szenekleidung. (Imago)
    Haute-Couture-Getue ist ihm fremd. Chris Zschaber trägt Jeans und ein Hemd von der Stange. Doch seine Krawatte ist ein Unikat.
    "Das ist eine Punkerkrawatte. Die hier rumliegen, das werden alles Punkerkrawatten. Da gehe ich dann mit Sandpapier bei, schubber die ab, dann sind die ein bisschen ausgefranst, dann werden Nieten drauf genäht, vielleicht noch ein Brandloch rein. Also, diese Punkerkrawatten erfreuen sich in meinem Umfeld größter Beliebtheit."
    Chris Zschaber bietet Krawatten an, die man sonst nirgendwo findet: den Saunaschlips aus Frotteestoff, Sicherheitskrawatten aus zerschnittenen Warnwesten mit reflektierenden Leuchtstreifen, Themenkrawatten mit eingearbeiteten Bildern oder Symbolen.
    "Für mich ist das größte Unglück genau der Krawattenzwang, der dann nur zu 'Casual Fridays' führt und zu 'No Tie Tuesdays' und zu Ausnahmen von der Regel, die als Belastung empfunden wird. Unser Ansatz ist eher in Richtung Freizeitkrawatte, wo man aus Spaß an der Freude das trägt und nicht, weil man es muss."
    Dass Krawatten als spießig gelten, hat Chris Zschaber nie so recht verstanden. Schließlich bietet dieses kleine umgebundene Stück Stoff eine unendliche Bandbreite an Gestaltungsmöglichkeiten. Bevor er seine ersten Kreationen entwarf, war Zschaber ein leidenschaftlicher Krawattensammler.
    Ich bin eigentlich auf Flohmärkte gegangen, um nach alten Schallplatten zu gucken und immer, wenn das so schön bunt da herum flatterte - Krawatten werden ja grundsätzlich gehangen, die werden nie auf irgendwelche Tapeziertische gelegt, da habe ich sie einfach mitgenommen, weil ich sie schön fand. Bis es irgendwann immer mehr wurden und ich mich schon gefragt habe: Was willst du eigentlich damit? - Getragen habe ich sie nicht besonders oft. Dann habe ich mir erstmal ein Hemd daraus genäht.
    Lieber das Modell Volkskrawatte
    Das Hemd aus zusammengenähten Krawatten kann man heute noch im Schaufenster seines kleinen Ladens im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg bewundern. Ein Hingucker, und für Chris Zschaber der Einstieg ins Modegeschäft. Er bot aus Krawatten gefertigte Kleidungsstücke und Taschen an, die aufwändig und relativ teuer waren. So kam ihm die Idee, Krawatten auch einzeln zu verkaufen - selbst geschneiderte, aber auch fertige vom Flohmarkt.
    "Die Idee ist schon auch, dass die Krawatte nicht etwas Elitäres ist, sondern das Modell Volkskrawatte. Das soll man sich leisten können."
    Und das Konzept geht auf. Junge Leute kommen in den Laden, die sich mal eben so für eine Party eine Krawatte holen - eine grellbunte aus den 70er-Jahren oder eine moderne mit holographischen Mustern.
    "Das sieht man bei Kunstlicht oder Schwarzlicht viel besser – optische Effekte, die umklappen. Das sind dann auch die Krawatten, mit denen man schnell Leute kennenlernen kann, wenn man möchte", verspricht Chris Zschabers Verkäufer, der wie ein Gentleman der alten Schule gekleidet ist - mit Anzug, gebügeltem Hemd und natürlich mit Krawatte."
    "Das Witzige ist: Die Krawatte hatte den schlechten Ruf, sie diene dem Konformismus. Der Einzelne soll sich sozusagen in der Gesellschaft einordnen. Heute haben wir überall die sogenannte Freizeitbekleidung, aber die Leute laufen trotzdem nicht individueller rum."
    Überall Jeans, überall dieselben Sneakers. Da kann eine Krawatte schon ein Zeichen setzen. Im Laden von Chris Zschaber können sich Individualisten ausstatten. Künstler, Kenner und Partygänger. Und wer weiß: Vielleicht wird die Krawatte ja doch noch ein Comeback erleben.