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Krebsentstehung
Wohl doch weniger Zufall

Vor etwa einem Monat wurde in der Wissenschaftszeitschrift "Science" eine Forschungsarbeit veröffentlicht, die die Bedeutung des Zufalls bei der Entstehung von Krebs hervorhob. Inzwischen sorgte die Interpretation der damals vorgestellten Ergebnisse für reichlich Widerspruch. Auch "Forschung aktuell" berichtete am 2. Januar über die besagte Studie.

Von Michael Lange | 09.02.2015
    Diagnose Lungenkrebs: Ein Arzt zeigt auf einem Röntgenbild auf einen Tumor.
    Festzuhalten bleibt: Niemals ist allein der Zufall verantwortlich für Krebs. Aber auch die Gene, die Umwelt oder der Lebensstil sind nie alleinige Ursache. (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    Der renommierte Krebsforscher Bert Vogelstein und der Statistiker Cristian Tomasetti veröffentlichten am 2. Januar 2015 eine Forschungsarbeit, die für reichlich Aufsehen sorgte. Sie hatten die Teilungsraten von Körperzellen und die Entstehung von Krebszellen in verschiedenen Körpergeweben verglichen. Dabei kamen sie zu dem einfachen Ergebnis: Je häufiger sich die Zellen in einem Körpergewebe teilen, umso größer das Krebsrisiko. Denn jedes Mal wenn Zellen sich teilen, kann zufällig ein Fehler passieren – eine Mutation, die zu Krebs führen kann. Die Johns Hopkins-Universität fasste die Studie in einer Mitteilung so zusammen:
    "Das Pech zufälliger Mutation spielt die herausragende Rolle bei Krebs."
    Auch die Wissenschaftszeitschrift "Science" sprach von Pech als Hauptursache von Krebs – und viele Journalisten übernahmen diese einfache Formel.
    Vereinfachte Darstellung, heftiger Widerspruch
    "Krebs entsteht meist zufällig", schrieb der "Tagesspiegel". Und die "Welt" titelte: "Warum manche Krebsarten einfach Pech sind"
    Die Diskussion im Internet war eröffnet, und auch die Forscher aus Baltimore meldeten sich erneut zu Wort.
    "Wir sind uns bewusst, wie verstörend das klingt, dass der wichtigste Faktor bei der Krebsentstehung außerhalb unserer Kontrolle liegt."
    Diese vereinfachte Darstellung stieß auf heftigen Widerspruch – in Kommentarforen, in Zeitungen und auch durch die internationale Agentur für Krebsforschung, die zur Weltgesundheitsorganisation WHO gehört.
    "Wenn das bedeutet, dass Pech die Hauptursache von Krebs ist, könnte das alle Anstrengungen beeinträchtigen, die Ursachen von Krebs aufzuspüren und Krebs zu verhindern."
    Tatsächlich befassen sich die Daten der Forscher aus Baltimore nicht mit Epidemiologie. Die Wissenschaftler haben lediglich die Teilungsrate von Zellen in verschiedenen Geweben verglichen und in Beziehung gesetzt zur Krebsrate. Dabei untersuchten sie nur einige ausgewählte Formen von Krebs. Es fehlten wichtige Krebsformen wie Brustkrebs oder Prostatakrebs. Auch stammten die untersuchten Beispiele ausnahmslos aus den USA.
    Faktoren Umwelt und Lebensführung sehr wohl wichtig bei Krebsentstehung
    Das Ergebnis der Studie lautete: Die Unterschiede der Krebsraten verschiedener Gewebe hängen zu zwei Dritteln vom Zufall ab. Das heißt aber nicht, dass zwei Drittel aller Krebsfälle allein dem Zufall geschuldet sind, wie es viele Medien formulierten – unter anderem das Nachrichtenmagazin "Focus".
    "Zwei Drittel aller Krebsfälle sind einfach Pech."
    Diese und ähnliche Aussagen brachten viele Mediziner und Wissenschaftler auf die Palme - auch die internationale Agentur für Krebsforschung in ihrer Stellungnahme:
    "Es ist seit Langem bekannt, dass die Zahl der Zellteilungen die Häufigkeit von Mutationen erhöht – und damit das Krebsrisiko. Es steht aber auch fest: Die Mehrzahl der verbreiteten Krebsformen weltweit hängen zusammen mit den Faktoren Umwelt und Lebensführung. Das bedeutet: Im Prinzip lässt sich die Hälfte aller Krebsfälle weltweit verhindern."
    Nach vier Wochen aufgeregter Diskussion bleibt festzuhalten: Niemals ist allein der Zufall verantwortlich für Krebs. Auch die Gene, die Umwelt oder der Lebensstil sind nie alleinige Ursache. Jedes Mal, wenn Krebs entsteht, sind Zufall, Gene, Umwelt und Lebensstil beteiligt. Den Anteil der einzelnen Faktoren zu beziffern bleibt schwierig – und ist im Einzelfall unmöglich. Ob der Zufall wirklich die Hauptrolle spielt, dazu gibt es vorerst – auch unter Fachleuten - unterschiedliche Positionen.