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Krebsforschung
Hinweise auf Erreger in Milch und Rindfleisch

Erreger aus Kuhmilch und aus Rindfleisch könnten das Risiko für Darm- und Brustkrebs erhöhen. Wissenschaftler um den Virologen Harald zur Hausen haben zu dieser Theorie eine neue Daten vorgestellt. Belegt sei die Theorie damit jedoch noch nicht, sagte Wissenschaftsjournalist Volkart Wildermuth im Dlf.

Von Volkart Wildermuth | 26.02.2019
Grasende Kühe stehen in Brandenburg auf einer Weide.
DNA-Moleküle - sogenannte BMMFs - in Milch und Rindfleisch stehen in Verdacht, Darm- und Brustkrebs zu verusachen (imago/Lars Reimann)
Lennart Pyritz: Mein Kollege Volkart Wildermuth beschäftigt sich schon lange mit dem Thema und hat sich die Studie angeschaut. Erst einmal: um welche Krebsformen geht es?
Volkart Wildermuth: Harald zur Hausen hat sich einen lange bekannten Zusammenhang neu angesehen: Dickdarmkrebs ist da besonders häufig, wo viel Rindfleisch gegessen wird. Meist heißt es: Das liegt am Braten, dabei entstehen ja krebserregende Stoffe. Aber Harald zur Hausen meint, das passt nicht, denn Fisch oder Geflügel wird ja genauso gegrillt, ohne klaren Zusammenhang mit dem Dickdarmkrebs. Wenn man sich dessen Verteilung weltweit anguckt, dann fällt zum Beispiel die Mongolei auf. Da gibt es kaum Dickdarmkrebs, obwohl viel rotes Fleisch verzehrt wird. Nur eben nicht von europäischen Rindern, sondern von Yaks und Nachkommen afrikanischer Zebus.
Es geht also nicht um rotes Fleisch generell, sondern ganz spezifisch um das Fleisch europäischer Rinder und wohl auch um deren Milch, die das Brustkrebsrisiko zu beeinflussen scheint. Und diese Spezifität spricht eher für einen spezifischen Erreger, als für so eine allgemeine Zubereitungsform wie das Grillen.
BMMFs - Vermehrung in menschlichen Zellen
Pyritz: Das ist ein statistischer Zusammenhang, gibt es denn konkrete Hinweise auf tatsächliche Erreger?
Wildermuth: Da waren sie wirklich fleißig am Deutschen Krebsforschungszentrum und haben viele Proben untersucht: Blut von Rindern, Milch aus dem Supermarkt, Blutproben von Menschen. Echte Viren haben sie nicht gefunden, aber ringförmige DNA-Moleküle. BMMF hat Harald zur Hausen sie getauft, englisch für "Rinder-Fleisch und –Milch-Faktor". Da sind inzwischen mehr als 100 bekannt.
Interessant ist, dass diese DNA-Ringe ein Gen tragen, das für ihre Vermehrung in menschlichen Zellen sorgt. Die BMMFs fanden sich in menschlichen Darmproben und im Gehirn eines Multiple Sklerose-Patienten. Und recht verbreitet scheinen Antikörper gegen ein Genprodukt der BMMFs zu sein. Zusammengenommen spricht das dafür, dass die BMMFs auf den Menschen übergehen können, ohne allerdings eine Infektionskrankheit auszulösen.
Pyritz: Eine neue Klasse bisher übersehener Erreger, aber wie sollen sie Krebs auslösen?
Wildermuth: Eine sehr gute Frage und eine, die Harald zur Hausen und seinem Team viele Probleme bereitet hat, denn die BMMFs lassen sich gerade nicht in Krebsgewebe nachweisen. Stattdessen finden sie sich im Darm vor allem in der Nähe von Einsackungen der Darmschleimhaut. Harald zur Hausen fügt die Daten jetzt in der neuen Studie zusammen und schlägt einen indirekten Mechanismus der Krebsauslösung vor. Schritt eins: Babys bekommen irgendwann Kuhmilch oder Rindfleisch und infizieren sich mit den BMMFs, ohne dass es jemand mitbekommt. Schritt zwei: Die BMMFs vermehren sich langsam im Darm und lösen dabei eine Immunreaktion aus. Dabei entstehen aggressiven Sauerstoffverbindungen. Schritt drei: Im Lauf von Jahrzehnten führt das zu Mutationen in den Darmstammzellen, und am Ende entwickelt sich ein Tumor. Auch beim Brustkrebs, vielleicht sogar beim Lungenkrebs sieht Harald zur Hausen so eine indirekte Rolle der BMMFs.
"Keine unabhängige Bestätigung"
Pyritz: Das ist ja erst einmal eine Theorie, wie wird sie bei Wissenschaftlern und Medizinern aufgenommen?
Wildermuth: Mit einer gewissen Zurückhaltung. Bislang werden die BMMFs eigentlich nur von der Arbeitsgruppe um Harald zur Hausen untersucht, es gibt keine unabhängige Bestätigung. Die Theorie ist spannend, sie kann viele Einzelbefunde erklären. Aber ob sie stimmt, ist noch unklar, vor allem auch, weil es bislang kein Tiermodell gibt, in dem sich diese ganze Indizienkette nachverfolgen lässt. Es stellt sich auch die Frage nach den Konsequenzen. Klar, langes Stillen, um die Infektion überhaupt zu vermeiden, das wird aber sowieso empfohlen. Harald zur Hausen kann sich auch eine Impfung für die Rinderbestände vorstellen, aber für eine solche Investition braucht es eindeutige Belege.
Ich persönlich werde wegen der BMMFs keine schlaflosen Nächte haben. Aber man darf auch nicht vergessen: Den Zusammenhang Papillomaviren und Gebärmutterhalskrebs wollte Harald zur Hausen auch lange niemand glauben – aber da hat er recht gehabt, und heute senkt die Impfung das Krebsrisiko von Millionen von Frauen.