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Krebsmedikament bei Kinderwunsch

Tritt nach einem Jahr des Versuchens keine Schwangerschaft ein, spricht die Medizin von unerfülltem Kinderwunsch. Unfruchtbarkeit gilt heute als behandelbare Krankheit. Vielversprechend ist dabei ein Krebsmedikament.

Von Veronika Bräse | 05.01.2010
    Im Labor des Kinderwunschzentrums München. Hier werden Sperma- und Eizellen in einer Petrischale zusammengebracht. "Künstliche Befruchtung" nennt sich das. Nicht immer führt sie zum Erfolg. Deshalb suchen Mediziner nach neuen Ansätzen. So verordnen sie ein Krebsmedikament bei Kinderwunsch. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Einer der führenden Fortpflanzungsmediziner in Deutschland, Prof. Wolfgang Würfel, beschäftigt sich seit Jahren mit dieser Frage:

    "Das eine ist ein schwer krebskranker Patient, meist älter, hier kommt eine junge Frau, die ja bloß, in Anführungszeichen, Kinder will und das scheint so weit voneinander weg zu sein und es ist für meine Begriffe doch so ganz nah zusammen."

    Und zwar deshalb, weil Tumor und Embryo ähnliche Eigenschaften haben. Eigentlich würde man erwarten, dass das Immunsystem beide attackiert: den Tumor, weil er bösartige Zellen anhäuft. Den Embryo, weil er zur Hälfte aus Erbinformationen des Vaters besteht, also körperfremd ist. Alles Fremde wird normalerweise bekämpft. Aber: Tumor und Embryo tricksen das Immunsystem oft aus und wachsen ungestört weiter:

    "Es ist eine uralte Geschichte, dass das Invasionsverhalten eines Embryos in der Gebärmutter eine unglaublich hohe Ähnlichkeit mit dem Invasionsverhalten einer bösartigen Geschwulst zeigt. Man kann es im Einzelfall fast nicht unterscheiden."

    Deshalb kam Würfel auf die Idee, Erkenntnisse aus der Krebsforschung auf Kinderwunschpatientinnen zu übertragen. Er fand heraus, dass manche Frauen, die nicht schwanger werden oder bleiben, zu wenig weiße Blutkörperchen haben. Diese braucht der Embryo quasi als Futter, um zu wachsen. Bei Krebspatienten ist es so, dass sie nach einer Chemotherapie ebenfalls zu wenig weiße Blutkörperchen haben. Krebspatienten bekommen dann ein bestimmtes Hormon, um das Wachstum der Blutkörperchen anzuregen. Das Hormon ist ein sogenannter "Granulozyten-Kolonie stimulierender Faktor", kurz G-CSF. Nun belegt eine Studie an der Universität Florenz: Auch Frauen, die schon mehrere Abgänge hinter sich haben, profitieren von diesem Wachstumshormon. 80 Prozent dieser Frauen wurden und blieben mit G-CSF schwanger, gegenüber 20 Prozent in der Kontrollgruppe, die ein Placebo bekamen:

    "Eine sehr sauber gemachte Studie, die mit einem sehr hohen Evidenzlevel, wie man heute in der Medizin sagt, die man also sehr ernst nehmen muss."

    Problematisch ist allerdings, dass nur 68 Frauen an der Studie beteiligt waren. Weitere Nachweise fehlen bisher. Trotz der dünnen Beweislage glaubt Würfel - im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen - schon lange an das Wachstumshormon G-CSF. Seit vier Jahren verordnet er es im Münchner Kinderwunschzentrum und macht gute Erfahrungen damit. Vor allem seit er es ganz gezielt bei den Frauen einsetzt, die im Falle einer Schwangerschaft zu wenig weiße Blutkörperchen produzieren. Und das sind in der Regel solche Frauen, denen sogenannte "Kir-Gene" fehlen. Denn die sind dafür da, das Wachstum mütterlicher Blutkörperchen anzuregen und dem Embryo zu sagen: "Teile dich und wachse". Mit einem neuen Bluttest lässt sich jetzt nachweisen, ob Frauen diese "Fruchtbarkeitsgene" fehlen und es deshalb Probleme gibt:

    "Wenn ich mir jetzt meine Frauen mit dem Kir-Profiling ansehe und das sind jetzt fast 100, da ist keine einzige dabei, die einen unauffälligen Schwangerschaftsverlauf hatte oder von der man sagen könnte, die gesamte Behandlung läuft so erfolgreich und üblich ab wie bei anderen Patienten."

    Manche Frauen lassen sich jetzt schon auf das Krebsmedikament ein. Andere warten auf weitere Ergebnisse. Wolfgang Würfel plant mit seinem Team gerade eine eigene Studie, um für mehr Fakten zu sorgen. Die Ergebnisse aus Florenz sind ein erstes positives Signal in eine ungewöhnliche Richtung, die Kinderwunsch- und Krebsforschung zusammen bringen könnte.