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Krebsstammzellen
Saat für tödliche Metastasen

Aus Stammzellen entstehen alle Organe und Gewebe des Menschen. Aber auch seine Tumore. Sogenannte Krebsstammzellen liefern den Tumoren nicht nur Nachschub für ihr aggressives Wachstum, sie stählen sie auch gegen Therapien. Laut einem Heidelberger Forscher entscheiden sie ganz direkt über das Schicksal der Patienten.

Von Michael Brendler | 22.12.2014
    Brustkrebs ist ungerecht. Gefährliche Tochtergeschwüre wachsen bei manchen Frauen erst nach Jahren. Bei anderen dagegen streut der Tumor seine Metastasen schon viel früher. Gerade diese Metastasen entscheiden aber oft über das Schicksal der Patientinnen. Nur, was unterscheidet jene Frauen, die ihren Brustkrebs überleben, von jenen, die daran sterben? Andreas Trumpp, der Leiter der Abteilung Stammzellen und Krebs am Deutschen Krebsforschungsinstitut in Heidelberg, hat genauer nachgesehen:
    "Über die letzten vier Jahre haben wir über 350 Brustkrebspatientinnen untersucht und zwar haben wir im Blut nach Zellen gefahndet, die die Fähigkeit hatten, neue Metastasen auszubilden."
    Die medizinische Detektivarbeit hat sich gelohnt:
    "Wir konnten zeigen, dass nur ganz bestimmte Tumorzellen die Fähigkeit haben, neue Metastasen im Patient auszulösen."
    Bei Zellen gibt es eine Hierarchie
    Je mehr dieser Zellen der Biologe im Blut fand, desto häufiger entwickelten die Patientinnen auch Metastasen. Der Wissenschaftler nahm darauf die kritischen Zellen genauer unter die Lupe. Auf ihrer Oberfläche entdeckte er eine bekannte molekulare Signatur: Trumpp hatte Stammzellen aufgespürt, die auch im Tumor eine entscheidende Rolle spielen.
    "Wir wissen heute, dass Krebs nicht einfach eine Ansammlung ist von gleichartigen Zellen, sondern dass im Krebs eine bestimmte Hierarchie besteht. Ganz oben in der Hierarchie sitzen die Stammzellen, diese bilden Nachkommen und diese Nachkommen verlieren im Laufe der Zeit ihre Stammzellaktivität und sind daher weniger gefährlich und sind auch weniger resistent zum Beispiel gegen Chemotherapie oder Radiotherapie."
    Krebsstammzellen fördern das Tumorwachstum
    Unsterblich und fähig, sich unendlich zu vermehren, heizen die Krebsstammzellen das Tumorwachstum an. Für Nachschub ist stets gesorgt. Denn immer wieder verwandeln sich auch normale Tumorzellen in Krebsstammzellen zurück. Besonders gefährlich sind die von Trumpp entdeckten Metastasen-Stammzellen. Denn sie sind gerade für die Kolonialisierung anderer Gewebe speziell gerüstet - dank bestimmter Oberflächeneiweiße, wie der Wissenschaftler erläutert:
    "„Die drei Rezeptoren, die wir identifiziert haben, haben unterschiedliche Funktionen für die Krebsstammzellen. Ein Rezeptor ist wichtig für die Wanderung, ein zweiter ist wichtig für die Invasion in andere Gewebe - zum Beispiel Knochen, Lunge oder Leber - und der dritte Rezeptor macht die Zellen unsichtbar für das Immunsystem."
    Deshalb hängt auch das Schicksal der Patientinnen maßgeblich von diesen Zellen ab. Das konnte der Wissenschaftler kürzlich in einer Studie zeigen.
    "Patienten die bereits solche Metastasenstammzellen im Primärtumor haben, war die Wahrscheinlichkeit achtmal höher an Metastasen zu erkranken verglichen mit Patienten, die das nicht haben."
    Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen
    Im Schnitt lebten die betroffenen Frauen deshalb zehn Jahre kürzer als ihre Leidensgenossinen. Trumpps Erkenntnisse lassen sich auch therapeutisch nutzen. Vision Nummer eins: Durch eine Stammzell-Analyse im Blut könnte man besonders gefährdete Patientinnen herausfiltern und intensiver behandeln.
    "Zum zweiten arbeiten wir zusammen mit Biotechnologieunternehmen und auch der Pharmaindustrie, um spezielle Möglichkeiten zu entwickeln, alle diese drei Rezeptoren zu blockieren und hoffen dadurch, die Metastasierung zu verhindern und bereits metastasierte Patienten eventuell auch effizient behandeln zu können."
    So der Plan des Wissenschaftlers. Noch hat er allerdings einen Haken: Nebenwirkungen sind nicht ausgeschlossen. Normale Stammzellen, die mit der Entstehung von Krebs nichts zu tun haben, besitzen dieselben Ziel-Rezeptoren.