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"Krieg dem Kriege"
Wohl durchdachter Bilderdiskurs

"Krieg dem Kriege" schrieb der deutsche Pazifist Ernst Friedrich bereits 1924. Es ist von bitterem Sarkasmus geprägt und thematisiert den Ersten Weltkrieg. Krieg erscheint als Massaker an einfachen Soldaten und Zivilisten, eine unbeschreibliche Geschichte von Zerstörung, Blut und Hoffnungslosigkeit. Jetzt hat das Anti-Kriegs-Museum eine Neuauflage herausgebracht.

Von Martin Zähringer | 29.06.2015
    Sturm auf das Winterpalais in St. Petersburg (Petrograd) am 7. November 1917.
    Friedrich zeigt den Krieg als Massaker am einfachen Soldaten. (picture-alliance / dpa / UPI)
    Die Wucht des Krieges trifft immer ihre Opfer, aber selten trifft die Wucht des Pazifismus die Krieger. Eines dieser seltenen Ereignisse ist ein Buch mit Fotografien aus dem Ersten Weltkrieg und Texten aus dem Jahr 1924, "Krieg dem Kriege"von Ernst Friedrich, das jetzt neu herausgegeben wurde. Die Eröffnung: ein neunseitiger radikalpazifistischer Text gegen den Krieg an sich und gegen die psychologische Kriegsvorbereitung schon der Kinder, vor allem aber gegen staatliche Kriegstreiber und private Kriegsgewinnler:
    "Der Generalstreik sei die erste Waffe!
    Die Männer werden den Dienst verweigern!
    Das wahre Heldentum liegt nicht im Morden,
    sondern in der Weigerung, den Mord zu tun!
    Füllt lieber alle Gefängnisse und Zuchthäuser,
    und alle Irrenanstalten aller Länder,
    als für das Kapital zu morden und zu sterben!
    Vom Staat bezahlte Berufsmöder
    Das ist der Ton. Soldaten gelten als vom Staat bezahlte Berufsmörder, nachgewiesen in zahlreichen Fotos von mörderischen Übergriffen auf Zivilisten. Die Kriegsdienstverweigerung dagegen gilt als erste Pflicht des Proleten, den Ernst Friedrich als Kanonenfutter für die Interessen des internationalen Kapitals begreift. Und sollte sich der Mann als zu schwach für die Kriegsverhinderung erweisen, so ergeht ein letzter Aufruf zur Sabotage durch die Frau: "Mütter aller Länder vereinigt Euch!"
    Durchdachter Bilddiskurs
    Verfasst ist der Text jeweils in Deutsch, Französisch, Englisch und Holländisch, der Hauptteil aber sind die Bilder. Über 200 Seiten Plakatabdrucke, Dokumente und vor allem Schwarz/Weiß-Fotografien mit ebenfalls viersprachigen Kommentaren von Ernst Friedrich. Der Bilderdiskurs ist inhaltlich und formal wohl durchdacht. Er beginnt mit Abbildungen von Kriegsspielzeug, dann kommen Opferfotografien von den Fronten des Ersten Weltkrieges.
    So grauenerregend die Abbildungen von den Toten und Verwesenden auch sind, Logik und Gewalt des Krieges erscheinen in einer klaren Dialektik der Gegenüberstellung. So sieht man auf einer Doppelseite links ein Foto mit lachenden Soldaten, der Text dazu lautet:
    "Aus den Augusttagen 1914.
    Begeistert ... wofür? ..."
    Rechts ein Foto mit einem Leichenhaufen, der Text dazu:
    "... für das "Feld der Ehre".
    Der gesamte Text ist geprägt von einem bitteren Sarkasmus. Ganz klar und unverstellt kommt Friedrichs politische Haltung zum Ausdruck. Ein weiteres Beispiel: Links ein Foto vom Kronprinzen der Hohenzollern, der Text dazu:
    "In der Etappe: Der deutsche Kronprinz (mit seinen Windhunden), der den Satz prägte: "Immer feste druff":"
    Kritik an herrschender Klasse
    Rechts in Halbtotale die Aufnahme von drei toten, in Verwesung übergehenden Soldaten im Dreck des Schlachtfeldes, Text: "An der Front: Der Kronprinz ist nicht dabei."
    Der Krieg erscheint als Massaker an einfachen Soldaten und Zivilisten, eine unbeschreibliche Geschichte von Zerstörung, Blut und Hoffnungslosigkeit, das Massengrab ist sein Leitmotiv und das Schlachtfeld seine menschenvernichtende Wahrheit. Ernst Friedrich schreibt zur Einleitung:
    "Doch aller Wortschatz, aller Menschen, aller Länder, reicht in aller Gegenwart und Zukunft lange nicht, um dieses Menschenschlachten richtig auszumalen. Hier aber ist das nüchtern-wahre, das gemein-naturgetreue Bild des Krieges - teils durch Zufall, teils durch Absicht - fotografisch festgehalten."
    Und so steigert sich das Grauen in diesem Buch bis zu jenen Nahaufnahmen von völlig entstellten Gesichtern überlebender Soldaten, die von Sprenggranatensplittern zerfetzt worden waren. Sie stammen vermutlich meist aus Archivbeständen der Mediziner und sollen hier nicht näher beschrieben werden. Denn die Bildwirkung, auf die es aus pazifistisch-erzieherischer Sicht ankommt, besteht in der direkten Konfrontation. Ältere Zuhörer erinnern sich vielleicht an den Schock, den sie auslösen - das Buch war noch in der Friedensbewegung der 80er Jahre eine schlagende Waffe des Pazifismus. Zu Friedrichs Zeit lebten Zehntausende der für immer verstümmelten Opfer abgesondert von der Welt, ihr Anblick war schlicht unerträglich. Es war ein schmutziges Geheimnis einer Gesellschaft, die bereits auf dem Weg zu neuem Unheil war.
    Und was sagt uns das Buch heute? Tommy Spree, pensionierter Geschichtslehrer, ist Enkel von Ernst Friedrich. Er hat das von seinem Großvater einst gegründete Anti-Kriegs-Museum in Berlin 1982 mit neugegründet. Spree zeigt sich zum einen angetan davon, dass die Erinnerung an einen internationalistischen Pazifisten durch die Neuauflage im Christoph Links Verlag lebendig bleibt. Das weltweit bekannte Buch ist natürlich in zahlreichen Sprachen und Auflagen im Berliner Museum zu besichtigen. Spree berichtet auch von einem direkten Bezug zur deutschen militärischen Gegenwart:
    Friedrichs Worte wirken auch heute
    "Ja, ich hatte neulich eine Gruppe da mit einem Bundeswehrsoldaten, der selber traumatisiert war und deutlich gesagt hat, dass er das seit vielen Jahren mit sich herumträgt und damit nicht klar kommt. Er musste auch um eine Anerkennung von Gesundheitsämtern kämpfen, dass er als arbeitsunfähig eingestuft wird und eine entsprechende Rente bekommt, und er wirkte doch sehr depressiv."
    "Krieg ist Krankheit, keine Lösung", so wird der Theologe Eugen Drewermann in einer Schrift des Anti-Kriegs-Museums zitiert, eine äußerst üble Krankheit muss hinzugefügt werden. Sie zeigt sich nackt in diesen kaum zu ertragenden zerschlagenen Gesichtern aus dem Ersten Weltkrieg, jedem neuen Krieger als Entscheidungshilfe dringend zu empfehlen. Das Anti-Kriegs-Museum in einer ehemaligen Ladenwohnung m Berliner Arbeiterbezirk Wedding hat übrigens täglich ab 16 Uhr bei freiem Eintritt geöffnet
    Ernst Friedrich:
    Krieg dem Kriege. Neu herausgegeben vom Anti-Kriegs-Museum Berlin. Vorwort Gerd Krumeich. Christoph Links Verlag 2015, 242 Seiten