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Krieg der Frequenzen

Du weißt doch: Radiomachen ist wie Kriegführen. Da gibt es Angreifer und Feinde, Kampflinien und Gefechtslagen, Marschrouten und Manöverkritik, Herbstoffensive, Grabenkämpfe, offene Flanken, Verluste und Verlierer, und nur einer kann der Sieger sein.

Von Olaf Karnik | 25.06.2004
    Mit historischen Romanen, die einen Blick hinter die Kulissen der Literaturgeschichte werfen, hat sich Renate Feyl einen festen Leserkreis aufgebaut. Ihr neuer Roman "Streuverlust" aber spielt hier und heute – es geht um den verschärften Wettbewerb der kommerziellen Privatradios. Auf knapp 300 Seiten werden detaillierte Informationen und profundes Fachwissen über diese Branche verbreitet – Renate Feyl weiß, wovon sie spricht. Denn über viele Jahre war die Autorin Mitglied im Berlin-Brandenburgischen Medienrat, der über die Vergabe von Rundfunklizenzen bestimmt. So hat sich die Geschichte um den karrieristischen Radiomacher Roland Zarth und seine als freiberufliche Architektin arbeitende Partnerin Vera Pflüger scheinbar wie von selbst in Feyls Feder diktiert.

    Zarth steht am Anfang einer vielversprechenden Karriere. In kürzester Zeit hat er den Spartensender "Taff" am Markt etabliert, nun engagieren ihn amerikanische Inverstoren, um ihr defizitäres "Metropolenradio" auf Erfolgskurs zu bringen. Dieser Aufgabe widmet sich der passionierte Radiomacher und Vater einer Tochter aus erster Ehe mit ganzer Kraft. Vera aber ist hin- und hergerissen ist: Soll sie ihre Karriere verfolgen oder ihrem tiefen Wunsch nach Familie und eigenen Kindern nachgeben? Letztlich hat Vera aber gar keine Wahl, denn als erfolgssüchtiger Radio-Maniac diktiert Zarth das Geschehen und instrumentalisiert die Partnerin für seine Zwecke – sie soll ihm das "Hinterland freihalten". Sich auch für ihre Karriere zu interessieren oder auf ihre Wünsche einzugehen, dafür hat Zarth keine Zeit. Natürlich kommt es dabei zur Krise, Vera lernt andere Männer kennen, aber letztlich kompensiert sie ihre Enttäuschung mit einem schnellen Auto und lauter Musik. Feyls Figuren sind den Verhältnissen und dem Realitätsprinzip vollständig unterworfen. Dadurch wirken sie oft lächerlich. Doch lässt die Autorin immer wieder die menschliche Seite ihrer Figuren durchscheinen, als brächte sie ihnen eine gewisse Sympathie entgegen.

    Ja, sympathisch ist mir an den Figuren, sie gehören ja zur jüngeren Generation der heute 30 bis 40-jährigen, dass sie einfach noch was wollen. Die meisten wollen ja gar nichts mehr. Die wollen ja nur noch angestellt sein, abgesichert sein, gegen jede Unbill des Lebens geschützt sein, einen schönen Feierabend haben, das ist das Morgenrot für den durchschnittlichen Menschen, der Feierabend. Und in hilla-lila-Laune dann noch irgendwo was zum Spaß und zum Zeitvertreib tun. Die sind anders, die wollen schon noch etwas verändern, auch wenn es alles unter merkantilistischem Gesichtspunkt ist und das Geld an erster Stelle steht. Es ist doch der Druck, mit einem Kommerzradio schwarze Zahlen zu bringen, die schwarze Null zu schreiben, und da sind sie dann von der Phantasie, von der Vorstellungswelt her ständig genötigt, sich was einfallen zu lassen, um im Businessplan Gewinne zu machen. Das ist das Sympathische, das Unternehmerische. Und sympathisch ist mir auch an ihr dieses risikovolle Leben einer Freiberuflerin. Sie ist ja Architektin, Innenarchitektin, ohne Chef, ohne Stellvertreter, ganz auf sich allein gestellt, und deswegen ist auch die Beziehung zunächst mal eine Art..., wird geführt auf einer Art Guthabenbasis. Alles was kommt, kommt dazu. Je länger sie mit ihm zusammen lebt, dem Mann mit einer 70-Stunden-Woche, desto mehr gerät sie ins Abbuchungsverfahren. Das ist also das, was den Roman, den Lebensabschnittsroman umzeichnet.

    Renate Feyls Darstellung des Geflechts zwischen Karrierismus, Beziehungsmangament und kurzen Momenten profanen Glücks ist ziemlich ausufernd. Die standardisierte Rhetorik der Marketingsprache, die Worthülsen einer pragmatischen Liebesbeziehung und die durchschaubaren Selbstkonditionierungen der Figuren werden bis ins kleinste Detail ausgebreitet und wiederholt – mitunter ganz schön quälend für den Leser. Auch wenn die Agonie des Szenarios durch guten Sprach-Rhythmus, Formulierungskunst und amüsante Konstellationen abgefedert wird, so stellt sich bald Überdruss an der von Feyl beschriebenen Welt ein. Dies scheint beabsichtigt – ganz ohne moralischen Zeigefinger, sondern auf ironische, fast suberversive Weise gelingt der Autorin so eine Demontage der Medienwelt.

    Die Demontage ergibt sich ja schon an sich, die brauch ich nicht zu erfinden, die liegt in dem medialen Bereich selber. Ich hab ja den Roman aufgebaut wie ein Privatradio funktioniert, wie die Programmplätze sind: also Morningshow, Lifestyle, Wellness, Megamix, Late Night und wieder Morningshow. Also, ich zeige auch diese Rotation, in der sie sich befinden, und dazwischen baue ich drei Werbeinseln, wie das heute üblich ist. Und in diesen Werbeinseln konterkariere ich eigentlich diesen Sprachschatz. Ich präge ja da diesen Ausdruck Linguatainment und zeige dieses Aufgeblähte, ständig dieses Benutzen der Anglizismen als Nachweis dafür, dass man nicht nur kompetent, sondern kernkompetent ist. Also, das zeige ich schon und zeige eben nicht nur Kleider, sondern vor allem im medialen Bereich: Worte machen Leute. Das sagt der ja auch mal an einer Stelle: das richtige Wort zum richtigen Zeitpunkt vor den richtigen Leuten vorgetragen, und schon machst du eine steile Karriere. Schon ist die Wirkung perfekt. Und in dieser Welt ist Wirkung alles, eine Welt ohne Tiefgang, ohne Tradition, ohne Geistigkeit.

    Längst steht es fest: Das Linguatainment ist Führungsstil geworden. Darum vernachlässigen Sie die kleine Silbe "ing" nicht. Sie weist zum einen auf permanente, nimmermüde Tätigkeit hin, geschäftig bei Tag, geschäftig bei Nacht, wie man es vom Spitzenmanagement erwartet. Zum anderen macht sie die kleinste Nebentätigkeit zum bedeutungsschweren Vorgang, gibt ihr Größe und Gewicht. Haben Sie einen Stand, haben Sie im Grunde noch gar nichts. Erst wenn Sie ein Standing haben, haben Sie ihn. Bilden Sie sich nichts auf Ihren Rang ein. Marktwert hat erst, wer Ranking hat. Und selbst Tiefkühlfrost wird durch ein entsprechendes Catering für den Gourment bekömmlich. Sollte Ihr Chef Sie einmal am Schreibtisch bei einem Nickerchen erwischen, so verbitten Sie sich lauthals, nochmals beim Powernapping gestört zu werden. Konferieren Sie nicht mit den Mitarbeitern, da sitzt zuviel Langeweile am Tisch. Laden Sie zum Conferencing, und Sie brauchen sich nicht mehr über ständiges Gähnen zu ärgern. Schlurfen Sie nicht herum, bleiben Sie immer und überall going, und heißt es gar, Sie bereiten das Going Public vor, können Sie davon ausgehen, das perfekte Linguatainment hat Sie weit gebracht. Dann steht der Gang an die Börse bevor, und jeder weiß, der Advent für den Tüchtigen ist gekommen.

    Analog zu den Programmen des Kommerzradios rotiert auch Feyls Story ständig um die eigene Achse. Gegen Ende erlebt Zarth mit dem "Metropolenradio" zwar einen Karriereknick, aber schon bald startet er mit einem Lokalradio wieder durch. Aus seinem Erfolgs-Motto "Content, Community, Commerce" wird "Change, Community, Creativity", und aus Veras Ehewunsch eine funktionale Wochenendbeziehung. Alle arrangieren sich bloß mit den Verhältnissen. Der Roman endet schließlich wie er begonnen hat. Nebenbei hat man eine Menge erfahren über absurde Lizensierungenpraktiken der Medienanstalten, über wirtschafts-juristische Augenwischerei und steuerpolitischen Unsinn – nichts funktioniert gut, alles Murks. So lässt sich "Streuverlust" unterschwellig auch als herbe Gesellschaftskritik lesen. Feyls amüsanter Stil täuscht nicht über ihren ernüchternden Befund hinweg.

    Die monokulturelle Medienszene, ich sag’s mal so, diese Monokultur geht den Leuten auf den Geist. Weil sie nämlich im Alltag etwas ganz anderes erleben, eine Differenzierung nach allen Seiten hin, und dem müssen wir uns wieder annähern. Und insofern haben Sie recht, ist das Buch, obwohl es amüsant geschrieben ist, einer sagte sogar witzig, hat eine nüchterne Basis. Und das ist aber unser Leben. Und etwas aus dieser Nüchternheit muss aufbrechen, dass man wirklich wieder vom Kopf auf die Füße kommt. Wir leben ja in einer Umkehrung der Verhältnisse, die uns ja allen so zu Schaffen macht. Wir können ja nicht einen Verbrecher als einen großen Humanisten darstellen. Und wir können auch nicht für alle Niedrigkeiten und Unsinnigkeiten ein endloses Verständnis haben, wir können auch nicht weiter die Tabuisierungsgrenzen aufheben. Wenn wir das machen, dann schreiten wir zielgericht in Pisaland weiter nach unten. Und nach unten ist eben alles offen. Das ist der Mikrokosmos und der Makrokosmos, der Geistige, der ist nach unten offen. Und es liegt an jedem selber, den zu stoppen. Deswegen sage ich ja, inmitten der Dinge, die vorhanden sind, ist das einzige, was uns fehlt, das Bildungsgut. Die Bildung haben wir vergessen, die haben wir auch für uns verloren. Und dies muss erneuert werden. Also, all das ist der Urgrund für dieses Buch.

    Renate Feyl
    Streuverlust
    Kiepenheuer & Witsch, 294 S., EUR 18,90