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Tagung "Krieg der Welten"
Die Lehren aus dem Kalten Krieg

Vor 70 Jahren fand die Konferenz von Jalta statt, auf der die USA, die Sowjetunion und Großbritannien sich auf eine neue Weltordnung einigten. Doch statt in Stabilität mündete ihr Entwurf in einen Kalten Krieg. Der ist lange zu Ende. Aber die Verhaltensmuster, die damals erlernt wurden, sind in West und Ost immer noch tief verwurzelt. Forscher diskutierten in Berlin auf der Tagung "Krieg der Welten" über die Geschichte und die Folgen des Kalten Krieges.

Von Andreas Beckmann | 05.03.2015
    Eine Pershing-Rakete wird gefechtsbereit gemacht. (Undatierte Aufnahme). Pershing-Raketen können mit atomaren Gefechtsköpfen ausgerüstet werden.
    Eine Pershing-Rakete wird gefechtsbereit gemacht (undatierte Aufnahme) (dpa/Egon Steiner)
    "I come from the Crimean Conference with a firm belief that we have made a good start on the road to a world of peace."
    Als Präsident Franklin Roosevelt am 1. März 1945 den Kongress in Washington um die Zustimmung zum Abkommen von Jalta bat, schien es tatsächlich Indizien dafür zu geben, dass ein Zeitalter des Friedens anbrechen könnte. Die großen drei, Roosevelt, Stalin und Churchill, die gerade dabei waren, den Zweiten Weltkrieg zu gewinnen, hatten sich auf eine neue Weltordnung geeinigt. Doch statt in Stabilität mündete ihr Entwurf binnen weniger Jahre in einen Kalten Krieg - einer Epoche, die alles andere als friedlich war, betont der Zeithistoriker Bernd Greiner vom Hamburger Institut für Sozialforschung.
    "Zwei fest gefügte Bündnissysteme, die sich beiderseits benehmen, als wären sie in einem heißen Krieg, die beiderseits aufrüsten, die irrsinnige Summen ausgeben für ihre Rüstungen, die in der Dritten Welt Krieg führen und, und, und."
    Der Keim des Unfriedens war schon im Abkommen von Jalta angelegt. Es teilte die Welt in Einflusszonen auf. Ein westliche, die sich unter Führung der USA bald zur Nato zusammenschloss. Eine östliche, bestehend aus der Sowjetunion und ihren Anrainer-Staaten, die bald den Warschauer Pakt bildeten. Und auf der Südhalbkugel durften Großbritannien und bald auch Frankreich ihre alten Kolonialreiche noch einmal stabilisieren. Der Breslauer Historiker Krzysztof Ruchniewicz nennt diesen Plan "die Tragödie von Jalta".
    "Durch dieses globale Denken, durch diese allgemeine Aufteilung der Karte der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg, viele Völker, die dazwischen waren, ich würde sagen, das sogenannten Zwischeneuropa, das spielte keine Rolle mehr, weil die Sicherheitsinteressen Stalins durchgesetzt werden sollten."
    Leichtes Spiel für Stalin
    "Stalin wollte in Jalta im Grunde dasselbe, was er schon 1939 mit seinem Pakt mit Hitler angestrebt hatte: er wollte einen Gürtel ihm ergebener Puffer-Staaten an den Außengrenzen der Sowjetunion, um seinem Land auf diese Weise einen größtmöglichen Schutz zu verschaffen, vor allem an seinen Grenzen im Westen, von wo in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder Angreifer gekommen waren."
    In Jalta, so der Moskauer Politologe Vladimir Pechatnov, hatte Stalin leichtes Spiel, weil der Westen ihn noch brauchte, um Deutschland und Japan endgültig zu besiegen. Nach dem Krieg schien es einen Moment so, als bekämen die USA die Oberhand, weil sie im Sommer 1945 die einzige Atommacht waren. Aber schon in der Deutschlandfrage erwies sich die Atomwaffe als stumpf. Die Berlin-Blockade wurde 1948 mit friedlichen Mitteln gebrochen, mit der Luftbrücke. Im August 1949 gelang der Sowjetunion ihr erster erfolgreicher Test einer Atombombe. Von nun an galt für das Verhältnis der Supermächte: wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter.
    "Das Paradox der Abschreckungspolitik, die die gesamte Diplomatie des Kalten Krieges hintergründig begleitet, bestand eben daran, dass von den Mitteln, die für die Gewährleistung größtmöglicher Sicherheit aufgeboten wurden, die größte Gefahr ausging. Wer in diesem Zusammenhang glaubwürdig abschrecken wollte, musste dem Gegner stets Rätsel aufgeben, er musste ihn verunsichern, wieweit die Berechenbarkeit der Gegenseite reichte."
    Wichtige Stellvertreterkriege in Korea und Vietnam
    Nur eines, so Bernd Greiner, war dabei klar: weder die USA noch die Sowjetunion konnten die jeweils andere Seite direkt angreifen. Doch unterhalb dieser Schwelle waren Konfrontationen nicht nur möglich, sondern nach der Logik der Abschreckung sogar geboten.
    "Es ging permanent darum, diesen neu gewonnenen militärischen Status der Atommacht immer wieder politisch zu beglaubigen, unter Beweis zu stellen, um es mal salopp zu formulieren, dass man eben kein Papiertiger ist."
    Zu diesem Zweck führten beide Atommächte Stellvertreterkriege. Sie mischten sich in Konflikte anderer Nationen ein, blieben aber weit genug im Hintergrund, um nicht direkt miteinander in Konflikt zu geraten. Gleichzeitig waren sie sichtbar genug, um aller Welt zu zeigen, dass sie militärisch handlungsfähig waren. Die beiden wichtigsten Stellvertreterkriege der Supermächte waren die in Korea und Vietnam.
    "Sie wussten, dass ein solcher Krieg nur im Fiasko enden konnte oder allenfalls mit einem Patt. In beiden Fällen haben wir es erst mit einer beiderseitigen Eskalation zu tun, mit Toten in Millionenhöhe, bevor beide Seiten sich verstanden haben auf einen diplomatischen Comment und das ist die Tragik für die Beteiligten vor Ort."
    Nach Jahren der Eskalation schickten die Supermächte ihre Diplomaten aus, um Modalitäten für einen Rückzug auszuhandeln. Selbst wenn die USA in Vietnam und die Sowjets Ende der 80er-Jahre beim Stellvertreterkrieg in Afghanistan wie Verlierer aussahen, hatten diese Kriege im Rahmen der Abschreckungsdoktrin ihren Sinn, weil sie zeigten, dass beide Seiten überall auf der Welt jederzeit intervenieren konnten. 1962 drohte dieses Modell der kontrollierten Eskalation allerdings in einen heißen Krieg überzugehen. Damals begann die Sowjetunion, Atomraketen auf Kuba aufzustellen. US-Präsident Kennedy antwortete mit einer Seeblockade gegen die Insel.
    "To hold this offensive build-up a strict quarantine on all offensive military equipment under shipment to Cuba is being initiated."
    Ein Krieg auch um Anerkennung
    Bis heute streiten Historiker, ob KPdSU-Generalsekretär Chruschtschow die USA tatsächlich bis zum atomaren Showdown herausfordern wollte.
    "Man muss den persönlichen Aspekt sehen: Chruschtschow besaß keinerlei Reputation als Revolutionär, so wie etwa der kubanische Revolutionsführer Fidel Castro. Ein solches Image war aber sehr wichtig für den Anführer des sozialistischen Lagers. Da er die Rolle des Revolutionärs nun mal nicht spielen konnte, wollte er wenigstens allen zeigen, dass er derjenige war, der die kubanische Revolution vor dem amerikanischen Imperialismus rettete."
    Der russische Historiker Sergey Radchenko, der in Aberystwyth in Wales lehrt, weist darauf hin, dass der Kalte Krieg immer auch um Anerkennung geführt wurde. Beide Supermächte wollten nicht nur von der jeweils anderen respektiert werden, sondern auch von möglichen Konkurrenten aus dem eigenen Lager. Vor allem für die Sowjets war das ein Problem: schon kurz nach Beginn des Kalten Krieges war ihnen mit Maos Volksrepublik China ein ernsthafter Rivale zugewachsen.
    "Mit der Stationierung von Raketen auf Kuba wollte Chruschtschow sowohl Castro wie Mao und allen anderen klar machen, dass die Sowjetunion die Nummer Eins im sozialistischen Lager war. Dass sie die einzige Macht war, die den USA die Stirn bieten konnte."
    Und er hatte Erfolg: als Gegenleistung für den Rückzug der sowjetischen Raketen verpflichteten sich die USA, nicht mehr wie zuvor zu versuchen, Castros Regime zu stürzen. Für Chruschtschow war das ein enormer Prestigegewinn, nach innen wie nach außen. Mit Kuba hatte er einem Land beigestanden, das noch als Hoffnungsträger für die Idee des Sozialismus galt. Und der Kalte Krieg war schließlich auch ein Wettbewerb der Gesellschaftssysteme. Den schien die Sowjetunion schon sehr früh verloren zu haben, bilanziert Vladimir Pechatnov.
    "Der Marshall-Plan brachte hier schon Ende 1948 die Vorentscheidung. Nachdem die USA sich entschlossen hatten, ihre gesamte ökonomische Macht einzusetzen, um ihren Einflussbereich in Europa zu stärken, wurde schnell klar, dass die Sowjetunion auf diesem Gebiet mit ihnen nicht würde mithalten können."
    Unterstützung für zahlreiche asiatische Despoten
    Wirtschaftliche Unzufriedenheit war der Hauptgrund für Aufstände in der DDR, in Polen und Ungarn, die die Sowjets blutig niederschlugen, was ihrem Ansehen in Europa nachhaltig schadete. Aber auch die USA verließen sich nicht allein auf ihre sogenannte soft power, also auf die Attraktivität ihres Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells. Von Südkorea über Taiwan bis Indonesien unterstützten sie zahlreiche asiatische Despoten. Und in Lateinamerika half die CIA regelmäßig, demokratisch gewählte linke Regierungen wie etwa 1973 die von Salvador Allende in Chile wegzuputschen. In den 80er-Jahren verschärfte Ronald Reagan noch einmal das Vorgehen gegen Befreiungsbewegungen in Mittelamerika und Afrika. Gleichzeitig stationierte er neue Mittelstreckenraketen in Europa und startete umfangreiche Rüstungsprogramme, die in einem weltraumgestützten Raketenabwehrsystem gipfeln sollten.
    "My fellow Americans. I'm pleased to tell you today that I've signed legislation that would outlaw Russia forever. We begin bombing in five minutes."
    Als er vor einer Radioansprache ankündigte, die Sowjetunion zu bombardieren, war das zwar als Scherz gemeint. Aber nicht nur in Moskau erweckte Reagan während seiner ersten Amtszeit den Eindruck, er könnte versuchen, die Sowjets in einem Atomkrieg zu besiegen. Nach seiner Wiederwahl 1984 handelte er dann mit dem neuen KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow ein Abrüstungsabkommen aus, das den Anfang vom Ende des Wettrüstens einleitete. Vor allem US-Historiker stellen deshalb heute Reagan gern als denjenigen dar, der den Kalten Krieg entschieden habe.
    "Reagans Aufrüstung und sein SDI-Programm haben zweifellos Sorgen in Moskau ausgelöst, doch, und das ist ein entscheidendes Argument gegen diese Überbetonung von Reagan, der von Gorbatschow eingeschlagene Kurs war eben nicht der einzige mögliche, der einem Kremlführer offengestanden hätte. Statt einer Politik hin zu einer Entspannungspolitik wären auch verschiedene Eskalationsszenarien denkbar gewesen."
    Mehr Angst vor innenpolitischer Erstattung als vor US-Raketen
    Andreas Etges, Amerikanist an der Uni München, sieht in russischen Akten viele Quellen, die darauf hindeuten, dass Gorbatschow nicht aus Angst auf eine Eskalation verzichtete, die ja der Logik des Kalten Krieges durchaus entsprochen hätte. Vielmehr sah Gorbatschow die Sowjetunion weniger durch amerikanische Raketen bedroht, als durch ihre innenpolitische und wirtschaftliche Erstarrung.
    "Gorbatschow hatte von Beginn an das Ziel, den Kalten Krieg mindestens zu entschärfen, wenn nicht zu beenden, auch weil dieser Konflikt groß angelegte Reformen im Innern fast unmöglich machte, denn er band zu viele Kräfte und Ressourcen. Nur wenn der Kalte Krieg endete, würde das genügend Kräfte frei machen, die Sowjetunion zu reformieren in der Hoffnung, sie erhalten zu können."
    Gorbatschow wollte weder den Warschauer Pakt noch die Sowjetunion auflösen und er wollte bis 1990 auch nicht die deutsche Vereinigung.
    "By the grace of God America won the cold war." So wie Georg Bush der Erste haben es fast alle Politiker aus Nato-Staaten als Sieg des Westens verbucht, dass der Kalte Krieg mit der Charta von Paris 1990 formell beendet werden konnte. Dabei übersehen sie allerdings die Rolle der osteuropäischen Bürgerbewegungen, meint Basil Kerski, der das Europäische Solidarnosc-Zentrum in Danzig leitet.
    "Die Solidarnosc ist insofern wichtig, als sie etwas Neues war mit dem Wunsch, diese Gesellschaft grundlegend zu verändern, aber auf friedlichem Wege, auf evolutionärem Wege. Europa zu verändern, aber nicht durch einen Dritten Weltkrieg, sondern auch auf einem evolutionärem Wege."
    Von Ungarn über die Tschechoslowakei bis in die DDR folgten weitere Bürgerbewegungen, die den Warschauer Pakt von innen heraus aushöhlten. Die amerikanische Aufrüstung sei in diesem Prozess keine große Hilfe gewesen, sagt Basil Kerski.
    "Die Angst war weltweit die gleiche, dass diese Rüstungsspirale außer Kontrolle gerät. Man hat sich eine materielle Unterstützung des ideologischen Kampfes gewünscht. Sehr wichtig war die finanzielle Hilfe dann in den 80er-Jahren für die Familien der politischen Opfer, das war viel wichtiger als das Wettrüsten."
    Keine echte Friedensordnung geschaffen
    Der Mut der Bürgerrechtler, der Reformwille Gorbatschows, Amerikas Bereitschaft, die deutsche Teilung zu beenden - viele Faktoren haben zum Ende des Kalten Krieges beigetragen. Doch anschließend haben es alle Seiten versäumt, diesmal eine echte Friedensordnung zu schaffen, kritisiert Bernd Greiner.
    "Weil die unterschiedlichen Konfliktparteien in gewissem Sinne als politisch Geschädigte aus diesem Kalten Krieg herausgegangen sind. Das hängt auch mit dem triumphalistischen Weltbild zusammen, dass während des Kalten Krieges von vielen Akteuren gepflegt worden ist. Wir haben diese Auseinandersetzung gewonnen. Die Tatsache, dass wir sie gewonnen haben, muss daraufhin deuten, dass wir die überlegene Sache vertreten, also: es ist nicht an uns, unsere eigene Position kritisch reflektieren."
    Seit Mitte der 90er-Jahre wächst wieder das Misstrauen. Russland fühlt sich von der größer gewordenen Nato inzwischen so sehr bedrängt, dass Präsident Putin wieder zu versuchen scheint, Pufferstaaten an seiner Westgrenze zu schaffen.
    "Unterstellen wir mal das als seinen politischen Willen, Pufferstaaten zu schaffen, dann geht es ihm doch darum, instabile Pufferstaaten zu schaffen, die für den Westen nicht attraktiv sind. Also die Ukraine zu spalten und einen Kordon von Staaten um sich zu legen, die aus westlicher Perspektive nicht interessant sind als Kooperationspartner. Während des Kalten Krieges hat die Sowjetunion etwas ganz anderes versucht in ihren jeweiligen Satellitenstaaten zu schaffen, nämlich wirtschaftlich konsolidierte Staaten, um die Überlegenheit ihres Gesellschaftsmodells zu demonstrieren."
    Von einem sozialistischen Gegenmodell zum Kapitalismus ist längst keine Rede mehr. Es geht auch nicht mehr darum, das eigene System auf der ganzen Welt durchzusetzen. Aber eines, sagt Sergey Radchenko, ist geblieben.
    "Was sich nicht ändert ist die Tatsache, dass Russland Anerkennung verlangt."
    Der Kalte Krieg ist zu Ende. Aber die Verhaltensmuster, die in ihm erlernt wurden, sind in West wie Ost immer noch tief verwurzelt.