Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Krieg durch Klimawandel

Gerade die hochentwickelten westlichen Länder haben aus Sicht des Sozialpsychologen Harald Welzer eine besondere Verantwortung, wenn es darum geht, die Folgen des Klimawandels einzudämmen. Denn da der Klimawandel vor allem die ärmeren Länder benachteiligt, drohe eine erneute Verschärfung des Nord-Süd-Konflikts.

Von Martin Hubert | 17.04.2008
    "Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird". Das Buch des Essener Sozialpsychologen Harald Welzer, das gerade im Frankfurter Fischer-Verlag erschienen ist, trägt einen dramatischen Titel. Also erwartet man eine Studie, die den Leser mit düsteren Prognosen für ein neues, kriegerisches Zeitalter erschüttert. Einerseits wird diese Erwartung erfüllt, denn Harald Welzer verbreitet tatsächlich alles andere als Optimismus - andererseits will er dem Leser aber keineswegs vorschnelle Prognosen präsentieren.

    "Es wird ja immer so gedacht, als könnte man den Ist-Zustand hochrechnen auf einen fiktiven Zukunftszustand. Das kann man erstens in ökologischer Perspektive nicht, weil es da Wechselwirkungen gibt, die sich gegenseitig aufschaukeln, aber man kann es natürlich auch in sozialer Perspektive überhaupt nicht, weil wir gar nicht wissen, was passiert denn eigentlich, wenn zum Beispiel eine der neuen Mega-Citys überschwemmt wird? Was ist denn in New Orleans passiert? Innerhalb kürzester Zeit bricht die komplette soziale Ordnung zusammen, innerhalb kürzester Zeit fangen Leute an, Gewalt auszuüben und niemand hat eigentlich eine konkrete Idee, was da passiert. Jetzt kann man das mal hochrechnen, was passiert eigentlich, wenn eine Stadt wie Lagos überflutet wird, mit 17 Millionen Einwohnern? Das ist noch überhaupt nicht vorgekommen, man hat überhaupt gar keine Hypothese darüber, wie so etwas zu bewältigen sein wird."

    Harald Welzer hat weniger ein Prognose - als ein Warnbuch geschrieben. Er will klar machen, wie wenig wir eigentlich bisher über die Gewaltpotenziale nachgedacht haben, die der globale Klimawandel freisetzen könnte. Also sortiert er ausführlich das Terrain. Er bilanziert die Gewaltgeschichte der vorherigen Jahrhunderte, beschreibt, was sich momentan schon an neuen Trends abzeichnet, und diskutiert, was kommen könnte, wenn wir so weiter machen wie bisher. Im 20. Jahrhundert, so stellt er fest, wurden Kriege vor allem aus ideologischen und machtstrategischen Gründen geführt: Es ging darum, seinen Einflussbereich zu vergrößern, eine gesellschaftliche Utopie oder rassistische beziehungsweise nationalistische Wahnideen zu verwirklichen. Im 21. Jahrhundert dagegen werde wohl vor allem deshalb getötet werden, weil die Täter Ressourcen beanspruchen, die die Opfer haben oder auch nur haben möchten. Denn obwohl in den letzten Jahren oft an ein globales Verantwortungsgefühl appelliert wurde, glaubt Welzer nicht daran, dass im Zeichen des Klimawandels die Solidarität zunimmt.

    "Also ich glaube, es gibt gar keinen Anlass, optimistisch zu sein. Weil: Jemand, der in der südliche Sahelzone wohnt und dem irgendwie nicht mehr genügend Möglichkeiten zur Verfügung stehen, genug zu essen zu haben, der hat eine andere Interessenlage als ein Konzernmanager in Mitteleuropa oder ein Landarbeiter in China oder ein Taxifahrer in China, das sind vollkommen verschiedene Interessen."

    Die Kämpfe, die seit Jahren in Dafur toben, zeigen für Welzer modellhaft, wie klimatisch bedingte Interessenskonflikte schon auf engstem Raum zur Katastrophe führen können. Dürren in dieser afrikanischen Region hatten dazu geführt, dass sesshafte Bauern ihr Weideland gegenüber den Nomaden absperrten, um es vor der völligen Erosion zu schützen. Die Nomaden erzwangen sich daraufhin den Zugang durch Gewalt. Dadurch wurden die Weiden völlig ausgezehrt, Flüchtlingswellen setzten ein, und die Kämpfe um das verbleibende Weideland wurden nur noch heftiger. Dabei deuteten die Kämpfenden den Konflikt zunehmend entlang ethnischer Grenzen: hier die afrikanischen Bauern - dort die arabischen Nomaden. Die Gewaltspirale drehte sich daher immer weiter.

    Modellhaft daran ist für Harald Welzer, dass ökologische Faktoren zwar dem ursprünglichen Konflikt zugrunde lagen, aber rasch durch andere Faktoren überlagert wurden. Klimaprobleme sind also nur ein neuer Faktor, der die überkommenden Mechanismen kriegerischer Auseinandersetzungen zusätzlich in Gang setzen kann. Ob es versiegende Wasserquellen sind oder ausgetrocknete Seen, verdorrte oder überschwemmte Landstriche - sie alle können für Harald Welzer das Gewaltpotenzial freisetzen, das immer schon in den menschlichen Gesellschaften steckt. Und das werde vor allem in Form dauerhafter Bürgerkriege in den armen Ländern der Erde geschehen. Aber auch auf die Länder des Westens kommen Probleme zu.

    "Wenn man sich die Geschichte anschaut, dann führen unübersichtliche, bedrohliche Situationen immer zu erhöhter Gewalt, also das ist immer ein Mittel, was in menschlichen Gemeinschaften chronisch vorliegt, um Probleme zu bewältigen. Sprich: Wenn man es jetzt mit erhöhten Migrationsaufkommen zu tun hat, weil die Lebensbedingungen in einem Teil der Welt schwieriger werden, wird man nicht um die Frage herumkommen, was machen wir denn mit denen? Und auch da weiß man, ab einem bestimmten Grenzwert gibt es gewaltsame Lösungen für diese Probleme, also man kann da ethnische Säuberungen anwenden, man kann die Leute abtransportieren, aber wir wissen auch aus der Geschichte, dass das auch noch viel radikaler ausfallen kann. Ich will den Teufel gar nicht an die Wand malen, aber ich möchte auch an dieser Stelle sagen: kulturelles Problem. Welche Modelle von Partizipation haben wir, welche Modelle von Ausschließung haben wir? Was werden unsere Gesellschaften, also welche Optionen werden die wählen . Ausschließung oder Partizipation? - und über so was müssen wir uns Gedanken machen."

    Gerade die hochentwickelten westlichen Länder, so Harald Welzer, hätten eine besondere Verantwortung, wenn es darum geht, die negativen Folgen des Klimawandels einzudämmen. Denn da der Klimawandel vor allem die ärmeren Länder benachteiligt, drohe eine erneute Verschärfung des Nord-Süd-Konflikts.

    "Was ich interessant finde, ist zum Beispiel, dass über Gerechtigkeit diskutiert wird. Aber wie wird über Gerechtigkeit diskutiert genau an der Stelle, dass man sagt, die Schwellenländer, und diejenigen, die sich danach noch industrialisieren werden, haben das gleiche Recht, so viele Autos zu haben, wie wir sie haben oder unseren Lebensstandard zu erreichen? Da wird ein Gerechtigkeitsargument situiert. Man kann sich ja die Frage stellen, warum wird nicht das Gerechtigkeitsargument so aufgehängt, das man sagt, welche Verpflichtung haben wir eigentlich als die Hauptemittenten, technologische Entwicklung und Energiepolitik sozusagen in diese Länder kostengünstig einzubringen, damit die die Fehler nicht wiederholen, die wir irrsinnigerweise gemacht haben?"

    Harald Welzer fordert daher ein grundlegendes kulturelles Umdenken innerhalb der westlichen Gesellschaften - und schließt dabei auch eine grundsätzliche Systemkritik mit ein.

    "Wenn die Globalisierung weiter voranschreite, nach dem Gesellschaftsmodell, was die Globalisierung hervorgebracht hat, nämlich, ein westlich-kapitalistisches System, das darauf basiert, dass es immer weiter Wachstum gibt und immer weitere Vernutzung von Ressourcen, dann kommt man irgendwann an die Grenzen und stellt fest, die Erde ist eine Insel, wir können nicht extraterrestrisch weitere Rohstoffe ausbeuten, das ist eine fiktive Idee. Und man muss sich an so einer Stelle natürlich die Frage stellen inwieweit ist eigentlich dieses System, indem wir existieren, tatsächlich geeignet, noch ein paar hundert Jahre zu funktionieren. Das ist etwas anderes als die klassische Kapitalismuskritik, das ist eher ein rein rational begründbares Beschreiben des Endes der Fahnenstange, das kann nicht endlos weitergehen."

    Harald Welzer fordert also dazu auf, neu über die Kultur eines lebenswerten Lebens nachzudenken, das sich nicht allein an Wachstum oder materiellem Konsum orientiert. Das ist zwar keine neue Idee, aber es ist ein Verdienst von Welzers Buch, solche kulturellen und politischen Dimensionen wieder verstärkt in die Klimadebatte einzubringen. Denn die steht in Gefahr, sich in technischen Debatten über Modellrechnungen, Reduktionszahlen oder Vertragssysteme zu erschöpfen.

    Harald Welzer: Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird
    Fischer Verlag Frankfurt
    Harald Welzer: Klimakriege
    Harald Welzer: Klimakriege. (S. Fischer Verlag)