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Trash-Kurzfilmfestival in Brüssel
Der mit dem Brot tanzt

Ein unabhängiges Kurzfilmfestival in Brüssel zeigt Filme, die die Organisatoren ganz selbstbewusst als "Trash" bezeichnen. Die Streifen sind übertrieben, manchmal ekelerregend oder einfach nur brutal ehrlich. Das Motto: "Courts Mais Trash" - kurz aber trash.

Von Carolin Born | 21.01.2020
Regisseurin Alice Khol steht vor einem bunten Plakat des Festivals
Regisseurin Alice Khol hat sich in ihrem Festivalbeitrag "Je mange du pain" mit Brot beschäftigt (Deutschlandradio/Carolin Born)
Der kleine Kinosaal des Kulturzentrums ist voll, manche stehen am Rand oder sitzen auf dem Boden. Das Licht ist noch an, denn bevor es los geht, stürmt Organisator François Marache die Bühne – um das Kurzfilmfestival zu eröffnen:
"Bonsoir, wohooo, je suis la, je suis la, bievenue au Courts Mais Trash. C’est le 15 ans …"
Es ist bereits die 15. Ausgabe des unabhängigen Festivals. François holt zuerst alle Filmemacher auf die Bühne vor den roten Vorhang. Gezeigt wird eine Vorführung mit lauter belgischen Filmen. Dann geht das Licht aus und auf der Leinwand erscheint eine alte Mühle, die auf einem satten grünen Hügel steht.
Wenn der Bäcker Jesus trifft
Im Videoclip geht es um Brot: Der Sänger, ein Brotbäcker, isst viermal am Tag Brot. Er tanzt mit einem Baguette – das Publikum lacht. Dann ist plötzlich kein Mehl mehr da und der Bäcker macht sich auf die Suche. Die ist voll von biblischen Anspielungen: Der Bäcker begegnet Jesus, der ihn wie ein Kreuz trägt, eine Nonne nimmt ihn auf dem Fahrrad mit und ein Engel sorgt schließlich für Mehl.
Die Regisseurin Alice Khol hat für ihren Beitrag alles selbst gemacht: Die Schauspieler sind Freunde. Für die Frisuren und die Kostüme haben alle mit angepackt. Trashig ist am Video aber nicht die Machart, sondern dass ein profanes Thema wie Brot biblisch überhöht wird. Alice Khol mag am Festival, dass zwar ganz unterschiedliche Filme gezeigt werden – aber bei allen immer etwas zu dick aufgetragen wird:
"Auf dem 'Courts Mais Trash' sieht man immer wieder Überraschendes, das anderswo nicht ausgewählt wird. Weil es zu ausgeflippt, zu absurd oder zu sexuell ist – also von allem immer ein bisschen zu viel."
Ihr Kurzfilm ist zwar ein bisschen drüber, aber kommt dafür ganz ohne Dialoge aus – genau wie Blackface. Der Kurzfilm von Quentin Moll-Van Roye ist jedoch wesentlich düsterer: Ein weißer Mann schminkt sich schwarz und setzt sich eine Perücke mit wuscheligen schwarzen Haaren auf – sogenanntes Blackfacing. Bösen Blicken begegnet er mit einem überheblichen Lachen.
Wieder zuhause in seinem Apartment beginnt für ihn eine Tortur: Die schwarze Schminke lässt sich nicht abwischen. Er rubbelt immer fester. Als das nicht geht, zieht er sich schwarze Hautfetzen aus dem Gesicht. Vereinzeltes Lachen im Publikum. Der Mann macht weiter und sklapiert sich selbst komplett. Die Kamera zeigt das in Nahaufnahme. Einige im Publikum stöhnen auf – oder können gar nicht mehr hinschauen, wie eine Zuschauerin beschreibt:
"Ich kann kein Blut sehen. Deswegen habe ich mir an manchen Stellen die Augen zugehalten."
Blackfacing bis es weh tut
Genau auf solche Reaktionen hat Regisseur Quentin Moll-Van Roye gehofft: Der Trash bei "Blackface" ist die bis ins Absurde gesteigerte Brutalität, so dass es beim Zuschauen weh tut. Das Publikum möchte zum einen, dass es schnell vorbeigeht. Andererseits liegt bei vielen gerade in der Erfahrung der eigenen Grenzen der Reiz am Trash:
"Das Publikum ist offensichtlich genau deswegen gekommen. Sie wollen ein bisschen aufgerüttelt werden, wenn sie sich hier eine Vorführung ansehen".
Indem er den körperlichen Schmerz ins Übertriebene steigert, will er darauf hinweisen, welche Folgen Rassismus haben kann, so der Regisseur weiter.
Auch in den anderen Filmen geht es viel um Gewalt, Drogen und Sex, manchmal verharmlosend, manchmal drastisch. Für Festivalorganisator François Marache lässt sich Trash auch an der Menge am körperlichen Schmerz der Zuschauer messen.
"Ich mache das jetzt schon seit 15 Jahren, und in dieser Rubrik zeigen wir jedes Jahr die fürchterlichsten Filme – manchmal sind sie schwer auszuhalten und man muss wirklich einen starken Magen haben."
Sei du selbst!
Wenn es nach François Marache geht, dann sollen die Zuschauer beim Festival ihre Komfortzone verlassen. Und zwar immer wieder aufs Neue: Die Filme dauern nicht viel länger als fünf Minuten und folgen direkt hintereinander. Fast alle brechen irgendwie mit der Erwartungshaltung – auch Blackface endet überraschend mit einem Triumph des skalpierten Protagonisten.
Nach der Vorführung gibt es genug Redebedarf – vor dem Kinosaal stehen kleine Grüppchen zusammen und diskutieren bei einem Bier – vor allem über den Film "Mother‘s". Es geht darin um eine selbsternannte Mutter von jüngeren Dragqueens. Sie erzählt ihren Schützlingen von ihrer eigenen Mutter: vom Outing als schwul und als Dragqueen. Die Drag-Mutter gibt den Rat: Wenn du glücklich sein willst, musst du Du selbst sein.
Deswegen stellt sich die Dragqueen gleichzeitig immer als Frisör, Stylist, Visagist und schwul vor – da wisse keiner, welches Klischee er wählen soll. "Mother‘s" hält zwar keine unerwarteten Wendungen bereit, übertreibt auch nicht, dafür gibt der – mit 20 Minuten Länge gar nicht so kurze – Film einen ruhigen Einblick in eine für viele unbekannte Welt: Dragqueens schminken sich gemeinsam, trinken dabei Sekt und reden über die Beziehung zu ihren Müttern.
"Ich habe dadurch die Sichtweise einer Dragqueen kennengelernt. Ich fand das auch sehr schön, dass der Film dem Bruder des Regisseurs gewidmet ist – ich schätze, einer Dragqueen."
Das Courts-Mais-Trash-Festival ist eine Nische für ungewöhnliche Filme, die schockieren, mit Tabus brechen oder nur schwer auszuhalten sind. "Mother’s" passt deswegen so gut in diese Nische, weil die Inszenierung der Dragqueens mit ihren prächtigen Perücken und den voll geschminkten Lippen so wunderbar übertrieben ist und sich gegen gesellschaftliche Geschlechternormen stellt. Und außerdem zeigt, dass sich Trash auch leise erzählen lässt – indem das Brutale an diesem Film seine radikale Ehrlichkeit ist.