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Krieg in Syrien
"Wir brauchen keinen Assad"

Der Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat könne auch ohne Syriens Präsident Assad erfolgreich sein, sagte der syrische Oppositionelle Sadiqu Al-Mousllie im DLF. Werde der Präsident entmachtet, würde auch der IS schrumpfen. Im Moment müssten die Rebellen gegen beide Seiten kämpfen.

Sadiqu Al-Mousllie im Gespräch mit Martin Zagatta | 15.11.2014
    Der syrische Oppositionsvertreter Sadiqu Al-Mousllie
    Der syrische Oppositionsvertreter Sadiqu Al-Mousllie (dpa / picture-alliance / Stefan Jaitner)
    Martin Zagatta: Über Syrien haben wir in den letzten Wochen und Monaten immer wieder berichtet, dabei vor allem aber über das Vorrücken der Terrororganisation Islamischer Staat, über den Abwehrkampf der Kurden vor allem in der Stadt Kobane, direkt an der türkischen Grenze. In den Hintergrund ist dabei gerückt, dass das Regime von Präsident Assad, dass seine Truppen sich nach wie vor heftige Kämpfe mit den Aufständischen liefern, die wir gemeinhin als gemäßigte Rebellen bezeichnen, also besonders mit der Freien Syrischen Armee. Sadiqu Al-Mousllie gehört dem oppositionellen Syrischen Nationalrat an, eine Art Exilregierung. Guten Morgen, Herr Al-Mousllie!
    Sadiqu Al-Mousllie: Guten Morgen, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Al-Mousllie, von Kobane abgesehen, wie sieht es denn aus Ihrer Sicht sonst im Moment in Syrien aus, vor allem in der Stadt Aleppo? Die gilt ja als ganz besonders betroffen und besonders umkämpft.
    Al-Mousllie: Ja, wir haben in der Tat in den letzten Tagen und Wochen die anderen Orte in Syrien nicht so sehr im Visier gehabt in den Medien. Es ging zum Teil auch darum, dass das, was in Kobane gelaufen ist, relativ prestigeträchtig ist für die Mächte, die sich da auch bekämpfen. Aber man weiß, auch in den anderen Orten Syriens ging es weiter, das Regime hat weiter Menschen bombardiert, Leute getötet und verhaftet, insbesondere dann auch sehen wir das in Aleppo und anderen Orten. Homs beispielsweise leidet sehr, sehr stark in den letzten Tagen, die humanitäre Hilfe, die eigentlich auch durch die UNO genehmigt worden ist beziehungsweise mit Konvois dahin gelangen sollte, wurde von den Assad-Truppen bekämpft und auch angegriffen. Leider Gottes haben wir wenig davon gehört.
    "Die USA hat uns gezeigt, dass viel geredet wird und wenig passiert"
    Zagatta: Wie steht es um Aleppo? Wir hatten ja in der Vergangenheit gehört, die Stadt stünde kurz vor dem Fall, Assads Truppen vor einem Sieg. Das trifft nicht zu, da wird immer noch nach wie vor gekämpft?
    Al-Mousllie: Es wird nach wie vor sehr stark gekämpft in Aleppo und Umgebung. Sicherlich gibt es einige Orte, die etwas strategisch wichtiger sind als andere Orte, und man hat, leider Gottes, Teile dieser Orte auch an Assads Truppen verloren. Allerdings muss man sagen, auch die Revolutionäre da und die Rebellen sind relativ gut positioniert. Nur natürlich, ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten durch die mangelhafte Bewaffnung bleibt eingeschränkt. Und da braucht man auf jeden Fall Hilfe. Und man hat gehofft, dass man durch die Allianz, die sich eigentlich geschmiedet hat, auch doch ein bisschen Hilfe gegen die Assad-Truppen kommen würde und seine Luftwaffe zumindest eingeschränkt würde. Das ist leider ausgeblieben.
    Zagatta: Die USA hatten ja zumindest versprochen, der syrischen Opposition, also Ihnen, Ihren Kämpfern Hilfe zukommen zu lassen. Tut sich da inzwischen etwas oder waren das nur Versprechungen?
    Al-Mousllie: Die USA hat uns gezeigt in den letzten Jahren, dass viel geredet wird, nur leider Gottes sehr wenig passiert. Das liegt auch zum einen daran, dass das Interesse daran, das Ganze so schnell zu beenden, nicht da ist. Denn manche regionale und internationale Spieler und Akteure auf dieser Welt profitieren sehr gut davon, dass Syrien in diesem Fall fast der totalen Zerstörung sich nähert.
    "Russland und Iran profitieren von Bürgerkrieg"
    Zagatta: Wen meinen Sie da?
    Al-Mousllie: Teilweise beispielsweise Russland und auch der Iran in diesem Fall, weil sie damit natürlich mehr die Kontrolle haben. Wir wissen, dass die USA eine Politik pflegt, die nicht gerade sehr Syrer-freundlich ist, eine sehr zurückhaltende Politik. Man hat gesehen, dass es da in mehreren Situationen so weit gekommen ist, dass man doch etwas gegen Assad unternehmen konnte, dann hat man sich damit begnügt auf Kosten der Syrer und das Töten ging weiter. Ich brauche hier nicht mehr noch mal zu erinnern an den Giftgasangriff, den Assad und seine Truppen südlich von Damaskus auch verübt haben, wo 1.300 Menschen getötet worden sind. Wir waren so weit, dass Assad wirklich auch von Damaskus weggerückt ist, wir haben dann die festen Informationen damals gehabt, und plötzlich hat Herr Obama wieder seine Truppen zurückgezogen.
    Zagatta: Herr Al-Mousllie, wer ist denn im Moment überhaupt Ihr Hauptgegner? Diese Terrororganisation IS, gegen die Sie sich ja auch zur Wehr setzen müssen, oder Assad?
    Al-Mousllie: Wir kämpfen auf beiden Seiten. Und das nicht seit einigen Wochen oder Monaten, das ist jetzt mittlerweile seit ungefähr eineinhalb Jahren, seitdem ISIS sich formiert hat. ISIS war eine kleine Gruppe, wir haben schon damals gerufen, dass diese Lage sich verschlechterte, man sollte international mehr agieren. Und zwar in der Unterstützung der hiesigen Gruppen, die da sind, die sicherlich nicht ganz so organisiert waren, aber die Chance, sich zu organisieren, war da, und es gab einige moderate Kräfte, mit denen man gut arbeitet. Leider Gottes hat man das versäumt und diese Gruppe ist auch größer geworden, sie hat immer mehr Gebiete eingenommen. Und der Ursprung dafür war nicht jetzt, dass diese Gruppe eine menschenfreundliche Politik beziehungsweise Ideologie pflegt, der Grund dafür, dass diese Leute sehr schnell vorangekommen sind, war, dass sie brutale Waffen haben auch und Unterstützung haben. Und natürlich hat die Unterdrückung der Menschen in den Gebieten auch dazu beigetragen, dass man gesagt hat, wir wollen einfach weg vom Regime. Und deswegen haben sie einfach den Nächstbesten gefunden und der Nächstbeste war für sie in diesem Fall ISIS in dem Moment, weil sie die gewisse Sicherheit haben für ihr Leben. Beim Regime war es nicht der Fall und sie konnten absolut nicht sicher sein.
    "Ohne Assad würde IS schrumpfen"
    Zagatta: Braucht man denn Präsident Assad? So scheinen ja viele im Westen auch inzwischen wieder zu denken. Braucht man den vielleicht, um den Islamischen Staat zu besiegen? Geht das überhaupt ohne ihn?
    Al-Mousllie: Leider gibt es einige, die so denken, und man merkt schon, dass durch bestimmte diplomatische Bewegungen und Interaktionen auch man versucht, diesen Eindruck zu vermitteln. Wir sagen: Nein, wir brauchen keinen Assad, im Gegenteil. In dem Moment, wo wir Assad beseitigen und sein Regime beseitigen – und das ist nämlich die Quelle des Terrors im Nahen Osten in diesem Fall jetzt –, würde dann auch ISIS schrumpfen, und das sehr schnell. Wir müssten einfach die Gründe behandeln, und nicht die Symptome. Wenn wir jetzt irgendwo darangehen und einfach nur teilweise das behandeln, dann haben wir mit Sicherheit das etwas eingedämmt, aber mit Sicherheit nicht behandelt. Und hier sagen wir ganz klar, syrische Opposition: Ohne Assad zu beseitigen, wird man den Terror in der Region absolut nicht beseitigen. Und dann darf man hier auch nicht vergessen, dass der Iran und auch seine Milizen, die ständig nach Syrien kommen, das sind auch terroristische Gruppierungen, die jetzt mittlerweile mehr als 39 Gruppen an der Zahl. Die kommen mit sektiererischen Absichten, also so, als ob sie dann Schiiten gegen Sunniten setzen.
    Zagatta: Herr Al-Mousllie, noch ganz kurz: Es gibt ja Verhandlungen – das ist bekannt geworden – mittlerweile der UNO mit Assad, da setzt man nach wie vor auf eine Art Waffenstillstand. Das schließen Sie aus, wenn ich Sie recht verstehe?
    Al-Mousllie: Wir haben das dankenswerterweise erhalten von der UNO. Man merkt aber auch, dass das sehr ineffektiv ist. Denn das, was angeboten worden ist, wurde von Assad so angenommen, ja, wir werden das studieren und wir werden sehen, was man macht. Man hat aber den Revolutionären – insbesondere in Aleppo übrigens, in der Stadt, über die wir geredet haben – dann sichere Orte immer Aleppo-Umgebung angeboten. Und das würde auf gar keinen Fall gehen, denn das würde dem Regime auch wieder Zeit geben, in Daraa und Hama gegen die Revolutionäre zu gehen. In Daraa und Hama im Süden und auch vor Ort von Hama gehen die Revolutionäre sehr gut voran und drängen auch die Regimetruppen zurück, und das würde auf jeden Fall, sage ich mal, das Regime entlasten. Und damit wollen natürlich die Revolutionäre nichts zu tun haben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.