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Krieg, Versprechen, Blasphemie. Über die Zukunft globaler Nachbarschaft

Krieg, Verbrechen, Blasphemie - das schienen mir die Begriffe, mit denen man den 11. Sept. und die Konsequenzen am besten erklären konnte. Das hing ja schon damit zusammen, dass die Amerkianer selber etwas unsicher waren, was sie nach dem 11. Sept. eigentlich taten: Ob sie den Krieg erklären sollten, oder ob sie sie als Verbrecher behandeln wollten; die Blasphemie bezog sich auf die religiöse Dimension, doch nach einer Weile - besonders den Zeugnissen des Haupttäters Atta - wurde deutlich, dass hier eine Intensität des Hasses zum Ausbruch gekommen war, die nur aufgrund der religiösen Motivlage der Täter zu erklären ist. Das ist der Grund jener Trias "KVB".

Eike Gebhard | 20.02.2003
    Auf den ersten Blick eine skurrile Trias, die der Politologe und Verfassungsrechtler hier entfaltet. Dass Krieg und Verbrechen enge Nachbarn seien, verkündete nicht nur Tucholsky mit seinem skandalträchtigen Spruch, alle Soldaten seien Mörder. In der Tat: Rein rechtlich ist Totschlag mit Vorsatz eben Mord. Um genau diese Grenzziehung geht es auch Preuß - nur dass er Krieg als einen Rechtszustand beschreibt, um ihn sogleich vom Verbrechen wiederum zu scheiden: dem Zustand der Rechtlosigkeit bzw. des Rechtsbruchs. Das Verhalten der kriegführenden Parteien ist bzw. war durch internationale Übereinkunft geregelt - wie die Genfer Kriegsrecht-Konvention - und fordert z.B. die Schonung der Zivilbevölkerung, die achtungsvolle Behandlung von Kriegsgefangenen usw. Zählt der Dschihad bzw. der heilige Krieg auch dazu?

    Dschihad ist eine Institution des islamischen Rechts bzw. der Religion - im Islam ist die Unterscheidung zw. Recht und Religion längst nicht so strikt wie im Christentum - die daher sehr vieldeutig ist. Er heißt ursprünglich nur, dass man sich intensiv bemüht um den Glauben. Es gibt aber auch eine eher säkulare Version, die besagt, dass man die Ungläubigen bekämpfen soll (eine aggressive Wendung)... Manche Gruppen nennen sich ja "bewaffneter Dschihad" - ein Zeichen, dass der Dschihad als solcher nicht notwendig aggressiv ist.

    Freilich ist es ein Gemeinplatz, dass der Islam nicht dasselbe ist wie der Islamismus, der fundamentalistische oder gar "hegemoniale Islamismus", wie Preuß die aggressive Variante nennt. Sie interessiert Preuß vor allem aus mentalitätsgeschichtlicher Sicht: Wie kann es zu solchen Perversionen der Ursprungsideen kommen? Auch das angeblich sanfte Christentum mit seinen mit seinem Aufruf, den Nächsten zu lieben, kannte die Inquisition und die unsäglich brutalen Kreuzzüge - auch das keine momentanen Ausrutscher, sondern die herrschende Variante über lange historische Strecken. Und wie bei den Christen hehre Freude über die Rückeroberung Jerusalems herrschte - bei der schon christliche Zeitgenossen über die knöcheltiefen Blutströme der islamischen Verteidiger frohlockten -, so wird man auch den Jubel mancher Kreise über den 11. September verstehen müssen

    Mir allerdings ging es weniger um die Motivlage der Täter, sondern darum, welche geistigen Strömungen, welche Wahrnehmungen, auch Visionen und Interpretationen der Welt herrschen bei den breiten Massen jener Länder vor, die mit großer Freude dieses Ereignis 9/11 wahrgenommen haben. Es hat sicher auch so eine Art "klammheimlicher Freude" gegeben darüber - mir ging's eigentlich um diese Adressaten, und ich glaube, dass die noch weitgehend beeindruckt sind von einem Islam, den ich als hegemonialen Islam bezeichnet habe: Eine Variante, die weder auf der geistigen Höhe noch ..., sondern so eine Art Massenglaube darstellt, vor allem weil er sich ja verbindet mit rückständigen Regimen, vor allem in Arabien.

    Diese These von der Rückständigkeit der islamischen Nationen ist der eigentliche Sprengsatz des Buchs. Preuß meint es eben durchaus nicht nur im Sinne technischen Fortschritts sondern ausdrücklich mentalitätsgeschichtlich. Die letzten Manifeste der arabischen Aufklärung liegen 700 Jahre zurück, und vor allem in sozialer Hinsicht haben die islamisch geprägten Völker nie den Anschluß an die Moderne gefunden. Liegt das nun ursächlich an der Religion - oder sind die Direktiven des Korans nur von opportunistischen Machthabern missdeutet und missbraucht worden? Gibt es so etwas wie objektive moralische Entwicklungsstufen für ganze Kulturen so wie wir sie in der Entwicklung des individuellen Charakters eines Menschen kennen? Und wenn es solche Entwicklungsstufen mit unterschiedlichen moralischen Standards gibt: Sind rückständige Kulturen - sozusagen wie Jugendliche - nicht einsichtfähig, damit nicht schuldfähig und handeln sie damit gar nicht strafbar, weil Straffähigkeit ja die Fähigkeit voraussetzt, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden? Schlimmer noch: Wenn die Religion diese Unterscheidungen gar nicht erst dem Individuum überlässt, sondern Unterwerfung unter Gottes Willen - in der berufenen Deutung durch die Kirche oder die Mullahs - zur Tugend, ja zur Voraussetzung für den Eingang ins Paradies erklärt?/(Ein Paradies übrigens, das höchst irdische Freuden verspricht wie z.B. jene 72 minnediensteifrigen Jungfrauen, die der Koran verspricht.

    Dennoch meine ich, dass man nicht umhin kann zu unterscheiden, dass es bestimmte Standards gibt, die wir... als Maßstab für zivilisierte Verhältnisse annehmen. Z.B. die Universalität der Menschenrechte ist für uns ein Maßstab, nach dem wir Länder, Kulturen, Regime beurteilen. Wenn ich auf der anderen Seite aber sehe, dass der hegemoniale Islam - nicht der Islam allgemein, sondern wo er sich verbindet mit politischen Strömungen und Gemeinschaften - diese Unterscheidung zwischen spiritueller und weltlicher Macht institutionell bisher nicht vorgenommen hat, ideologisch auch nicht unter die Massen verbreitet hat^obwohl in der Praxis durchaus, weil die Leute genügend machiavellistisch sind, um zwischen Religion und ihren weltlichen Angelegenheiten zu unterscheiden, dass aber doch in ihrer Erziehung der breiten Massen davon kaum etwas deutlich wird./ Und wenn Menschen in diesem geistigen Milieu und Klima aufwachsen, sozialisiert werden, und dann plötzlich wie solche terroristischen Gruppen Akteure der Weltpolitik werden: Das ist ja das Problem/ Es geht ja nicht um irgendein rückständiges arabisches Dorf und um irgendwelche Bauernjungs - sondern die sind ja durch AI Quaida Akteure der Weltpolitik geworden - dann ist das nicht mehr eine Frage, die wir mit einem Lächeln zur Seite schieben ("das ist nicht relevant"), s/wir müssen anerkennen, dass es ein Politikum ist, dass der Islam die Unterscheidung zwischen spiritueller und säkularer Macht nicht vornimmt, dass der hegemoniale Islam strukturelle Schwierigkeiten hat, die Menschenrechte als Maßstab der Weltverhältnisse, in denen wir heute leben, anzuerkennen. Das habe ich ausgesprochen, und das hat mir ziemlich viel vernichtende Kritik eingebracht.

    Grundlage unseres Rechtsverständnisses ist die Trennung von offenbarter Religion und konsensueller Politik. Wo diese Trennung nicht vorgesehen, ja untersagt ist: Müssen wir da nicht anerkennen, dass aus deren Sicht Krieg gegen uns geführt wird, oder müssen wir unterstellen, dass es Verbrechen sind unabh. von den Motiven und dem Weltverständnis der Täter?

    Das scheint mir eindeutig. Es ist weder aus unserer noch aus deren Sicht ein Krieg, sondern eindeutig ein Verbrechen. Auch aus Sicht des hegemonialen Islamismus kann die Tötung von Unschuldigen, Unbeteiligten nicht als Krieg bezeichnet werden. ... Durchaus ein Verbrechen.

    Es gibt so etwas wie eine Ethik der Feindschaft. ... Man bekämpft den Feind, aber verrät nicht seine eigenen Werte. D.h. man bekämpft die feindliche Streitmacht, aber Massaker an Zivilisten können so nicht als eine Kriegsform anerkannt werden ...

    Es ist diese Gratwanderung zwischen Mentalitätsgeschichte und Massenpsychologie, die diesen Versuch so spannend macht. Ganz nebenbei gelingt Preuß der Nachweis, dass ein lang tot Geglaubter munter weiterlebt und -wirkt: Die politische Theologie ist das vorpolitische Weltverständnis: die Grundlage unseres Rechtsbegriffs.