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"Kriegen wir noch genügend Strom zu wirtschaftlichen Preisen?"

Energie aus Wind und Sonne muss über weite Strecken transportiert werden: Das sei bislang nicht immer gut gelungen, meint Markus Kerber vom Bundesverband der Deutschen Industrie - und fordert ein besseres Management dieser dezentralen Stromerzeugung.

Das Gespräch führte Sandra Schulz | 19.12.2012
    Sandra Schulz: Drei Minus – vielleicht wäre das die Schulnote, die die Bundesregierung jetzt von der Expertenrunde bekommen hat. Im vergangenen Herbst hatte das vierköpfige Gremium die Aufgabe übernommen, die Fortschritte der Energiewende unter die Lupe zu nehmen. Deutschland soll ein Land mit sauberer und billiger Energie werden; bisher spüren viele Verbraucher davon aber vor allem nur eins, nämlich steigende Strompreise. Der Monitoring-Bericht zur Energiewende, er wird heute offiziell vorgestellt.
    Deutlicher ist die Kritik, die aus der Wirtschaft kommt. Die Zukunft des Landes stehe auf dem Spiel, so hat es BDI-Chef Hans-Peter Keitel formuliert. Warum? – Unter anderem darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen, mit dem Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie, mit Markus Kerber. Der ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!

    Markus Kerber: Guten Morgen, Frau Schulz.

    Schulz: Herr Kerber, jetzt ist das Zwischenzeugnis für die Energiewende eher mäßig ausgefallen. Sie haben sich im Sommer dafür ausgesprochen, den nationalen Alleingang bei der Energiewende aufzugeben. Das heißt, wenn die Noten jetzt mäßig sind, das ist aus Ihrer Sicht eine gute Nachricht?

    Kerber: In der Tat gab es vor einigen Monaten Anlass zur Vermutung, der Schüler könne hier vielleicht sogar ein "mangelhaft" bekommen und nicht versetzt werden. In diesem Sinne ist der jetzt vorliegende Monitoring-Bericht eine realistische Einschätzung der Aufgaben, die vor uns liegen. Er gibt ja ein gemischtes Bild wieder und er deckt sich, wie ich meine, in großen Teilen mit den Vermutungen und mit den Ergebnissen, die wir mit unserer eigenen Kompetenzinitiative zur Energiewende erarbeitet haben. Und nun wird es darum gehen, in den nächsten Monaten die beiden Monitoring-Ansätze der Regierung mit unserer eigenen Kompetenzinitiative abzugleichen und nach Wegen zu suchen, wo wir die auch von den vier Experten genannten Schwächen in der Energiepolitik beheben können.

    Schulz: Wenn Sie das für uns möglichst kurz fassen können: Welche Probleme haben die Unternehmen mit der Energiewende?

    Kerber: Die Unternehmen haben vor allen Dingen ein Problem mit dem Zieldreieck, das Sie ja auch in der Anmoderation genannt hatten, saubere, sichere und umweltfreundliche Energie zu bekommen bei einem Komplettumbau des Energiesystems. Was meine ich damit? Wir haben früher dort die Energie produziert, mit unterschiedlichen Kraftwerkstypen, wo sie gebraucht wurde, also in den Ballungsgebieten und in einzelnen industriellen Regionen des Landes und dicht bevölkerten Regionen. Wir machen nun durch die von allen gewünschte Änderung hin zu mehr erneuerbaren Energien den Weg, dass wir die Stromproduktion dort in die Wege leiten, wo wir günstige physikalische Bedingungen haben, Wind und Sonne, und müssen nun den Strom dorthin transportieren, wo wir ihn brauchen. Das ist uns nicht immer bislang so gut gelungen, und es muss nun darum gehen, diesen Prozess der gleichzeitigen Dezentralisierung und Entkoppelung so zu managen, dass es keine Brüche gibt, denn vor genau diesen Brüchen (nicht nur in der Versorgungssicherheit, sondern auch in der Einschätzbarkeit der Preise) haben die Unternehmen Sorge oder Angst. Das ist das zentrale Problem der fehlenden Berechenbarkeit: Kriegen wir noch genügend Strom zu wirtschaftlichen Preisen in den nächsten fünf bis zehn Jahren.

    Schulz: Aber wir haben es gerade wieder gehört: Der Preis an der Strombörse, der ist niedriger als vor einem Jahr. Überhaupt haben sich die Ausgaben für Elektrizität ja gar nicht erhöht nominal seit 1991. Woher kommt dann immer Ihre Klage über den hohen Strompreis?

    Kerber: Was Sie geschildert haben, Frau Schulz, stimmt. Die Betrachtung 1991 bis in die Gegenwart stimmt. Aber dieselben vier Experten in ihrem Bericht warnen ja auch, dass in den kommenden Jahren, also in der Zeit, die vor uns liegt, der Strompreis überproportional zum nominalen Bruttoinlandsprodukt steigen wird. Das heißt, die Industrie und die Experten sind sich hier einig. In der Vergangenheit hatten wir einen auskömmlichen und einen verlässlichen und berechenbaren Strompreis. Genau dies scheint nun aber in Gefahr zu geraten, und die Sorgen, die die Industrie hat, richten sich auf die Zukunft. Das ist ein entscheidender Unterschied, den aber die vier Experten ja auch bestätigt haben.

    Schulz: Ist doch aber so, dass gerade bei den Stromkosten die Unternehmen aktuell ja stark privilegiert sind. Anders als die Verbraucher müssen sie ja kaum aufkommen jetzt für den Ausbau auch der erneuerbaren Energien. Wie viel sollen die Verbraucher Ihnen da noch abnehmen?

    Kerber: Na gut, also ich darf vielleicht mal auf die Tatsache hinweisen, dass von mehreren Hunderttausend Unternehmen, die wir in Deutschland haben, im Moment, während wir beide sprechen, ungefähr 750 eine Befreiung haben. Da kann ich keine Mehrheit sehen, sondern das sind diese wenigen, aber für die Produktion von industriellen Gütern und Dienstleistungen wichtigen energieintensiven Unternehmen, die wir in Deutschland haben: Stahlhersteller, Aluminiumhersteller und ähnliche, die aufgrund ingenieurwissenschaftlicher Grundtatsachen eben viel Strom brauchen. Die sind befreit, aber wie gesagt: 750 von mehreren Hunderttausend. Ich kann hier keine große Belastung sehen. Wir haben Berechnungen, dass, wenn es diese Befreiungen nicht gäbe, es sich bei der Kilowattstunde um einen Cent mehr oder weniger handeln würde. Sie sehen also: Die Befreiungen, die es für ganz, ganz wenige Unternehmen nur gibt, wirken sich nicht preistreibend auf den Strompreis der Verbraucher und Verbraucherinnen aus.

    Schulz: Die Befreiungen oder die Entlastungen, die bewegen sich natürlich trotzdem im Milliardenbereich. Ich würde da gerne mit Ihnen noch mal auf die Anreize schauen. Es ist im Moment ja so: Je mehr Energie ein Unternehmen verbraucht, verplempert könnte man auch sagen, desto leichter ist es, an die Privilegierung ranzukommen. Es gibt Berichte über Unternehmen, die ihre Maschinen extra laufen lassen über Weihnachten, über Nacht, über die Feiertage, eben um an diese Privilegien ranzukommen. Gibt es da nicht Trittbrettfahrer?

    Kerber: Es gibt bei jeder ökonomischen Anreizstellung, die Sie in einem marktwirtschaftlichem System marktwidrig geben, immer Trittbrettfahrer, und vor dem Hintergrund begrüße ich es ja auch, dass Herr Bundesumweltminister Altmaier einerseits die Bereitschaft erklärt hat, mit uns gemeinsam eine Prüfung dieser Anträge, die jetzt in einer neuen Gesetzgebung für 2012 gestellt wurden, zu prüfen. Und unser Präsident, Hans-Peter Keitel, hat beim eigenen Energiewende-Kongress vor mehreren Wochen auch gesagt, dass wir dort transparent und für alle nachvollziehbar mitmachen werden bei der Überprüfung. Es geht bei diesem Problem wohl gemerkt nicht um die 750, sondern durch eine Gesetzesänderung der Regierung haben wir heute eine niedrige Energieintensitätsschwelle für die Antragsstellung und wir haben jetzt, ich glaube, an die 2000 noch nicht bearbeitete und nicht beschiedene Anträge vorliegen und hier geht es um eine Prüfung von Trittbrettfahrern, die es im einen oder anderen Fall durchaus geben mag. Aber die große Mehrzahl der Unternehmen, glaube ich, sind von einem steigenden Strompreis betroffen und versuchen, hier eine Linderung ihrer Kostensituation zu erreichen, die der Gesetzgeber ja selbst angeboten hat durch die neue Novellierung.

    Schulz: Wenn es diese Novellierung gibt, dann verstehe ich Sie richtig, dann hätten Sie auch nichts dagegen, wenn da Unternehmen oder auch mehrere Unternehmen rausfallen würden?

    Kerber: Bei jedem staatlichen Handeln muss überprüft werden, ob die Antragsvoraussetzungen bestehen. Und wenn die Antragsvoraussetzungen nicht bestehen – das ist völlig egal, ob Sie einen Hartz-IV-Antrag stellen oder eine Entlastung im EEG wollen -, wenn Sie die Voraussetzungen nicht erfüllen, können Sie auch nicht in den Genuss der Regelung kommen.

    Schulz: Wie müssen die Unternehmen denn nachweisen, dass sie Energie sparen?

    Kerber: Durch eigene Energiemanagement-Systeme und indem sie unter Beweis stellen – das müssen sie übrigens nicht nur gegenüber staatlichen Stellen, sondern in der Regel auch gegenüber ihren Eigentümern und Aktionären -, dass sie denselben Output pro Jahr mit weniger Energie-Input hinbekommen. Und es ist Tradition der deutschen, generell der europäischen Industrie seit Jahrzehnten, wenn sie auf ein Produkt oder auf eine Dienstleistung runterrechnen, stetig weniger Energie zu verbrauchen, weil Energie und Energieträger sind Kosten und jeder gute Betriebswirt wird probieren, diese Kosten zu minimieren.

    Schulz: Gleichzeitig ist natürlich die Frage, fossile Brennstoffe werden immer knapper. Ist es da nicht logisch, dass Energie, dass auch Strom teurer werden muss? Warum können sich die Unternehmen darauf nicht einstellen?

    Kerber: Wenn Sie mir die Vorbemerkung erlauben, dass wir im Moment ja eine ganz interessante Situation haben, dass anscheinend – ich habe das nicht zu bewerten – die fossilen Energieträger nicht knapper werden, weil wir die Entwicklung der unkonventionellen Gasförderung haben, auch unter dem Stichwort "shale gas" bekannt, wenn ich das vorausschicken darf, will ich Ihre Frage beantworten. Wenn wir tendenziell in der langen Frist höhere Preise haben bei den fossilen Trägern, werden natürlich deren Preise ansteigen und das führt ganz natürlich zu einer Einsparung. Wenn Sie in Ihren privaten Bereich schauen: Das Fahrzeug, das Sie wahrscheinlich vor 20 Jahren gefahren haben, hat bei selber Lauf- oder KW-Leistung deutlich mehr fossilen Brennstoff verbraucht, und die Industrie hat alles daran gesetzt, aufgrund der steigenden Preise diese Verbrauchsfunktionen nach unten zu bringen. Deswegen braucht ein Auto heute wesentlich weniger Brennstoff, als das noch vor Jahren der Fall war. Hier hat man vorausschauend geplant.

    Schulz: Sorry! Mit Blick auf die Uhr müssen wir an der Stelle zum Ende kommen. - Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie, heute morgen hier im Deutschlandfunk. Haben Sie ganz herzlichen Dank für das Interview.

    Kerber: Danke Ihnen, Frau Schulz. Tschüß!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.